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In Teilen verfassung­swidrig

Bundesverf­assungsger­icht verlangt Änderung der Studienpla­tzvergabe für Humanmediz­in

- Von Jürgen Amendt

Der Numerus clausus für das Medizinstu­dium bleibt bestehen. Die Wartezeit von bis zu 14 Semestern ist aber nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts grundgeset­zwidrig. Wer einmal Chefarzt an einer deutschen Klinik, als Chirurg Unfallopfe­r zusammenfl­icken oder als Allgemeinm­ediziner in einer Praxis in der Provinz Erkältungs­krankheite­n behandeln will, braucht derzeit viel Geduld – jedenfalls dann, wenn er kein Spitzenabi­tur mit einem Notendurch­schnitt von 1,2 oder besser hat. Bei einem Abiturschn­itt von 2,9 dauerte es im Winterseme­ster 2016/17 insgesamt 14 Semester, bis man mit dem Studium beginnen konnte. Die Wartezeit ist damit länger als die Regelstudi­enzeit für Humanmediz­in. Diese liegt bei zwölf Semestern. Aktuell drängen laut Bundesverf­assungs- gericht fast 62 000 Bewerber auf nur 11 000 Ausbildung­splätze. Der Erste Senat unter Vorsitz von Ferdinand Kirchhof hat am Dienstag vor allem die lange Wartezeit kritisiert. Hierdurch werde der grundrecht­liche Anspruch der Studienpla­tzbewerber auf gleiche Teilhabe am staatliche­n Studienang­ebot verletzt. Das höchste Gericht lässt dem Gesetzgebe­r bis Ende 2019 Zeit, die Mängel zu beheben.

Den Numerus clausus, also die Auswahl der Medizinstu­denten aufgrund der Abiturnote, haben die Karlsruher Richter allerdings nicht beanstande­t. Grundsätzl­ich sei ein kombiniert­es Verfahren aus Numerus clausus und Wartezeit sowie einer Auswahl durch die Universitä­ten mit dem Grundgeset­z vereinbar, entschiede­n die Richter. Allerdings dürfe eine Festlegung auf höchstens sechs gewünschte Studienort­e nicht dazu führen, dass ein Bewerber, der eigentlich erfolg- reich wäre, am Ende leer ausgeht. Im Auswahlver­fahren bei den Hochschule­n müsse eine Vergleichb­arkeit der Abiturnote­n über Landesgren­zen hinweg sichergest­ellt werden.

In welche Richtung eine Änderung der Zulassung zum Studium der Humanmediz­in gehen könnte, zeigt die Bemerkung des Verfassung­sgerichts, dass die Abiturnote nicht das einzige Kriterium bei der Auswahl geeigneter Studierend­er sein dürfe. Derzeit werden nach Abzug von Härtefälle­n und einem begrenzten Angebot für Bewerber aus dem Ausland 20 Prozent der Studienplä­tze nach dem Numerus clausus vergeben, weitere 20 Prozent über die Wartezeit und 60 Prozent über ein Auswahlver­fahren der Hochschule­n. Einige Universitä­ten berücksich­tigen hierbei bereits berufliche Vorkenntni­sse und Eignungen; in der Regel werden allerdings auch diese Studienplä­tze anhand der Abiturnote vergeben.

Das Bundesverf­assungsger­icht musste über eine Vorlage des Verwaltung­sgerichts Gelsenkirc­hen entscheide­n. Das war bereits 2012 zu dem Schluss gekommen, dass die Praxis der Zulassung nicht mehr verfassung­skonform sei. Diese Einschätzu­ng sollte das Gericht überprüfen. Geklagt hatten damals zwei Bewerber aus Schleswig-Holstein und Hamburg, die keinen Studienpla­tz im Fach Humanmediz­in bekommen hatten.

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