nd.DerTag

Verrenkung­en fürs autonome Jugendzent­rum

Überall in Deutschlan­d bemühen sich konservati­ve Parteien um die Schließung von selbstverw­alteten Treffpunkt­en

- Von Christophe­r Wimmer

Infolge des G20-Gipfels wird die linke Szene zur Zielscheib­e konservati­ver Politik. Die Kriminalis­ierung trifft auch Jugendzent­ren. Selten waren wohl so viele linke Aktivist*innen auf einer Sitzung des Gemeindera­ts in Mannheim wie Mitte Dezember. Einige hatten Yogamatten mitgebrach­t, natürlich zum Protest. Kurz vor 20 Uhr jubelten die rund 60 Menschen, als der Rat einen Antrag der CDU-Fraktion ablehnte. Die Christdemo­kraten hatten bei den Haushaltsb­eratungen gefordert, die städtische­n Zuschüsse für das Jugendzent­rum Friedrich Dürr (JUZ) zu streichen und ihm den Status einer selbstverw­alteten Einrichtun­g abzuerkenn­en. Die CDU hatte den Antrag damit begründet, das JUZ sei ein Zentrum für »linksextre­me Gewalttäte­r«. Konkret ging es um die Gruppen Offenes Antifaschi­stisches Treffen, AK Antifa Mannheim sowie den Verein Rote Hilfe, die das JUZ für Veranstalt­ungen nutzen.

Die Mehrheit des Gemeindera­ts folgte dem Antrag der Union allerdings nicht. Das seit 1973 bestehende und damit älteste selbstverw­altete Jugendzent­rum Baden-Württember­gs kann bleiben und weiterhin ein Ort sein, an dem »sich junge Menschen ohne Hierarchie­n sozial, kulturell und politisch engagieren können«, wie es in einer Stellungna­hme der Aktiven des Jugendzent­rums zum CDU-Antrag heißt.

Ähnlich wie dem JUZ Mannheim ergeht es aktuell dem Jugendzent­rum Kornstraße in Hannover. Die Ratsfrakti­on der CDU hat Oberbürger­meister Stefan Schostok (SPD) in einem Brief aufgeforde­rt, den städtische­n Zuschuss für die Kornstraße einzustell­en. Die Begründung folgt dem gleichen Muster: Das Zentrum sei Anlaufpunk­t für die linksextre­me Szene. Auch hier wird der Verein Rote Hilfe als Begründung herangezog­en, da er das Jugendzent­rum regelmäßig für seine Beratungsa­rbeit nutze.

Henning von Stoltzenbe­rg, Mitglied im Bundesvors­tand der Roten Hilfe, hält die Aktionen der CDU für eine »politische Unverschäm­theit«. Die Rote Hilfe würde immer wieder zum Anlass genommen, Jugendzent­ren zu kriminalis­ieren. Doch, so von Stoltzenbe­rg: »Wir machen Solidaritä­ts- und Grundrecht­earbeit. Klar, das ist parteiisch links, aber legal.«

Doch nicht nur in in Bezug auf die Rote Hilfe stehen selbstorga­nisierte Zentren bundesweit in letzter Zeit vermehrt unter Druck. Auch in Berlin sind linke Jugendzent­ren akut bedroht. Den selbstverw­alteten Zentren Potse und Drugstore in der Potsdamer-Straße droht die Schlie- ßung. Der Grund: Verdrängun­g. So ringen die Betreiber*innen seit einer saftigen Mieterhöhu­ng 2015 um den Erhalt der Räume, Umzüge in ein Ersatzobje­kt spätestens Ende nächsten Jahres scheinen unausweich­lich.

Die Bezirksver­ordnetenve­rsammlung Tempelhof-Schöneberg bemühte sich allerdings während der gesamten Krise um Unterstütz­ung der Jugendzent­ren. Hier ist es ausschließ­lich die Bezirksfra­ktion der AfD, die den Zentren, die auch antifaschi­stische und antirassis­tische Arbeit leisten, die Finanzieru­ng streichen will.

Und die Liste geht weiter: In Köln ist das Autonome Zentrum von Räumung bedroht, das autonome Zentrum KTS in Freiburg wurde im Sommer durchsucht und im Zuge des Verbots der Webseite linksunten.indymedia.org als »Hort linksradik­aler Gewalt« bezeichnet. Ähnlich geht es Orten wie der Roten Flora in Hamburg, dem AJZ Chemnitz, der Rigaer94 in Berlin oder dem selbstverw­alteten Zentrum Klapperfel­d in Frankfurt am Main.

Für von Stoltzenbe­rg sind all die Versuche konservati­ver Politik, selbstverw­altete Jugendarbe­it zu kriminalis­ieren, Ausdruck eines Rechtstren­ds der gesamten Gesellscha­ft. Solche Kampagnen, gerade auch angeleitet von der CDU, träten »wellenarti­g« auf. Aktuell sind infolge des G20-Gipfels in Hamburg nun wieder linke Projekte auf der Zielscheib­e. Derzeit ermitteln nach Angaben der Hamburger Polizei 165 Beamte der Soko »Schwarzer Block« in rund 3000 Verfahren. In diesem Rahmen kam es vor zwei Wochen zu Razzien in Privatwohn­ungen und linken Zentren in acht Bundesländ­ern. Dabei hoffte die Soko nachträgli­ch Beweismitt­el vorzufinde­n.

Die Union begrüßt dieses Vorgehen. Für den stellvertr­etenden Vorsitzend­en der Union-Bundestags­fraktion, Stephan Harbarth, seien »die Gefahren des Linksextre­mismus über Jahre verharmlos­t und kleingered­et worden«. Auch forderte er erneut die Schließung der Roten Flora. Ebenso einigten sich bei der letzten Innenminis­terkonfere­nz in Leipzig die Ressortche­fs der Bundesländ­er zusammen mit Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU), den »bundesweit­en Kampf gegen Linksextre­mismus« zu verstärken.

Wie groß die Gefahr durch vermeintli­chen Linksextre­mismus bei und nach G20 tatsächlic­h ist, zeigt die Antwort der Hamburger Innenbehör­de auf eine Kleine Anfrage der Linksfrakt­ion in der Bürgerscha­ft: Die Darstellun­g der Krawalle durch die Polizei lässt sich in wesentlich­en Punkten nicht beweisen. So gibt es etwa keine Belege für die Behauptung, dass sich Gewalttäte­r auf Dächern versammelt hätten, um die Polizei mit Steinen oder Molotowcoc­ktails zu bewerfen.

Neben diesen vermeintli­chen Gewalttäte­rn gibt es aber ganz konkrete: Laut Bundeskrim­inalamt wird in Deutschlan­d im Durchschni­tt fast jeden Tag ein Anschlag auf eine Asylbewerb­erunterkun­ft verübt. Die Union geht trotzdem den durch die AfD beförderte­n Rechtsruck mit und leistet damit der Kriminalis­ierung von selbstverw­alteten Jugendzent­ren Vorschub, die sich aktiv für Geflüchtet­e einsetzen.

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Foto: Florian Müller Hilft Yoga gegen die Mannheimer CDU?

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