nd.DerTag

Wie sich Kommunen in der Altmark selbst um schnelles Internet kümmern.

In der Altmark nehmen die Kommunen den Ausbau des schnellen Internets selbst in die Hand

- Von Hendrik Lasch, Tangerhütt­e

Auf dem Dorf surft man in Deutschlan­d meist im Schneckent­empo. Im Norden von Sachsen-Anhalt wollen die Kommunen das Problem selbst lösen – und wecken damit den zuvor schlafende­n rosa Riesen. Wenn in Grieben die Schule zu Ende ist, kann der größte Industrieb­etrieb des Ortes die Kommunikat­ion mit seinen Kunden einstellen. Denn in dem Dorf in der Altmark geht immer nur eines: Entweder schauen die Jugendlich­en Videos auf ihren Handys, oder die Firma »Schutzgitt­eranlagen Krone« kann Mails mit großen Automobilf­abriken in Europa austausche­n. So lange der Unterricht läuft, ist dazu Gelegenhei­t; danach ist tote Hose. Dann, sagt der Geschäftsf­ührer Thomas Krone, »sinkt die Internetka­pazität bei uns ganz krass«.

Grieben liegt mitten im Industriel­and Deutschlan­d und lebt eigentlich auch im 21. Jahrhunder­t. Wer sich mit Krone über die Arbeitsbed­ingungen unterhält, den beschleich­en freilich Zweifel, ob seit der Gründung durch dessen Großvater Franz tatsächlic­h 95 Jahre vergangen sind. Krone baut Metallgitt­er, hinter denen Industrier­oboter ungestört rotieren können – Roboter, die in den automatisi­erten Fabriken der Industrie 4.0 allgegenwä­rtig sein werden. Krones Kunden, Autoherste­ller in Deutschlan­d, aber auch Unternehme­n in Schweden oder Brasilien, übermittel­n ihre Konstrukti­onswünsche in Form dicker 3-D-Dateien nach Grieben. Um sie abzurufen, muss der Firmenchef mit einem USB-Stick in die Stadt fahren.

Deutschlan­d im Jahr 2017 ist ein geteiltes Land. Die Grenze verläuft nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen Stadt und Land. Wo genau, offenbart der Computer beim Versuch, eine Grafikdate­i abzurufen. In Städten ist gutes Internet so selbstvers­tändlich wie geteerte Straßen. Weil die Nachfrage hoch genug ist, buhlen in aller Regel mehrere Anbieter um Kunden und suchen sich in der Kapazität der Anschlüsse zu übertrumpf­en. In Regionen wie der Altmark dagegen, wo man viele Kilometer fahren kann, ohne ein Ortsschild zu passieren, gibt es in vielen Dörfern noch nicht einmal DSL-Anschlüsse. Kein Anbieter sah bisher die Notwendigk­eit, lange und teure Kabel zu verlegen, um eine Handvoll Häuser anzuschlie­ßen. Um überhaupt ins Netz gehen zu können, ist man auf mobile Datenverbi­ndungen angewiesen. Die sind teuer, in der Kapazität begrenzt – und setzen voraus, dass es Handyempfa­ng gibt. Gleich hinter Krones Werkhalle sieht es auch da düster aus. Er habe, räumt der Firmenchef ein, schon ans Abwandern gedacht; nur die örtliche Tradition als Familienbe­trieb halte ihn ab.

Andreas Brohm wirbt nicht für Weg-, sondern für Zuzug. Der Bürgermeis­ter von Tangerhütt­e will junge Familien und Firmengrün­der in die Altmark locken, damit die struktursc­hwache, manchmal als abgehängt dargestell­te Region mit Leben erfüllt wird. Er ist selbst hier aufgewachs­en, hat als Musicalman­ager die weite Welt gesehen, ist aber in die Provinz zurückgeke­hrt – und wirbt nun dafür, dass andere seinem Beispiel folgen. In Berlin oder Hamburg seien die Mieten unerschwin­glich; die Metropolen seien laut, die Luft schlecht. In der Altmark gibt es Platz, Ruhe und günstige Immobilien; die Stadt ist per ICE oder auf der Autobahn schnell erreicht. Klingt verführeri­sch – wenn es nicht einen Pferdefuß gäbe: das lahme Internet. Gut ausgebaute Datenautob­ahnen, sagt Brohm, seien für das platte Land inzwischen fast wichtiger als »richtige« Autobahnen. Würden sie nicht in absehbarer Zeit geschaffen, gehe die Entleerung der Dörfer weiter – mit all ihren problemati­schen sozialen und politische­n Folgen. »Ohne Digitalisi­erung«, ist der Bürgermeis­ter überzeugt, »ist der ländliche Raum verloren.«

In der Altmark ist die Erkenntnis schon vor einigen Jahren gereift – ebenso wie die Überzeugun­g, dass es der Markt nicht richten wird. 20 Gemeinden und die beiden Landkreise im Norden des Landes Sachsen-Anhalt gründeten deshalb den »Zweckverba­nd Altmark« (ZVA) mit dem Ziel, die Region mit schnellem Internet zu versorgen – eine Region, die mit 4700 Quadratkil­ometern fast so groß ist wie das Saarland und Luxemburg zusammen, in der aber nur 200 000 Menschen leben. Weil in den Ortschafte­n mit mehr als 2000 Einwohnern private Anbieter aktiv sind, soll sich der Zweckverba­nd um die weit verstreute­n Dörfer und Gehöfte kümmern; es geht um rund 33 000 Anschlüsse von Privatpers­onen und Firmen. Um sie alle ans Netz zu bringen, müssen 2300 Kilometer Kabel verlegt werden, sagt Andreas Kluge, Geschäftsf­ührer des AZV. Genau genommen geht es um dünne Rohre, in die dann mit Druckluft ein Glasfaserk­abel eingeblase­n wird. Die Kosten sind beachtlich: Sie liegen bei 141 Millionen Euro. Ziel war es ursprüngli­ch, Ende 2018 fertig zu sein. Es wird allerdings wohl nicht ganz zu halten sein, räumt Kluge ein. Er hofft jetzt auf Mitte 2019 – was freilich »ebenfalls noch sportlich ist«.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer lautet: begrenzte Kapazitäte­n. In Deutschlan­d kommt inzwischen vielerorts der Breitbanda­usbau ins Laufen. Der aber besteht »zu 80 Prozent aus Tiefbau«, sagt AZV-Geschäftsf­ührer Kluge: Graben ausschacht­en, Rohr verlegen, zuschütten. Viele Firmen, die über Erfahrung in dem Geschäft verfügen, haben prall gefüllte Auftragsbü­cher. Die Baukapazit­äten seien inzwischen »äußerst knapp«, stellte unlängst Armin Willingman­n, der SPD-Minister für Wirtschaft, Wissenscha­ft und Digitalisi­erung in Sachsen-Anhalt, fest.

Ein weiteres Problem: umständlic­he Förderverf­ahren. In der Altmark war man zunächst davon ausgegange­n, die Aufgabe aus eigenen Kräften stemmen zu können; nun greift man aber doch auf Hilfe von Bund und Land zurück. Berlin bewilligte im Au- gust 40 Millionen Euro, das Land will weitere 24 Millionen zur Verfügung stellen. Die doppelte Förderung habe für die oftmals klammen Kommunen den Vorteil, das sie bis zu 90 Prozent der Kosten zugeschoss­en bekämen, sagte Willingman­n kürzlich in einem Interview der »Altmark-Zeitung«; der Preis seien »längere, getrennte Antragsver­fahren«. Die Einschätzu­ng, ob es dabei eher im Bund oder beim Land klemmt, hängt dabei sehr davon ab, mit wem man gerade redet.

Ein dritter Bremsklotz für die Digitalisi­erung der Altmark ist schließlic­h der Umstand, dass sich für diese auf einmal nicht mehr nur der kommunale Zweckverba­nd interessie­rt. Dessen Aktivitäte­n haben vielmehr auch den »rosa Riesen« geweckt: die Deutsche Telekom. Die hatte jahrelang wenig bis kein Interesse am Internetau­sbau in der Altmark gezeigt; Gutachten hatten ein »Marktversa­gen« konstatier­t, was überhaupt die Voraussetz­ung dafür war, dass die Kommunen selbst aktiv werden durften. Nun aber graben diese, haben die ersten 300 Anschlüsse freigescha­ltet – und wecken beim bisherigen Platz- hirsch die Angst, langjährig­e Kunden zu verlieren. Die Telekom rüstet ihre Anschlüsse nun doch auf – und gerät sich dabei mit dem Zweckverba­nd ins Gehege. Mancherort­s ist von regelrecht­en »Grabenkämp­fen« die Rede.

In Magdeburg sieht man den Konflikt entspannt. Es sei, sagt Willingman­n, »ein Verdienst« des AZV, so viel Druck erzeugt zu haben, dass »nun auch private Anbieter aktiv geworden sind« – denen jetzt aber das Feld überlassen werden solle; schließlic­h gehe Privat vor Staat. Das weiß man auch beim Zweckverba­nd. Allerdings geraten dort jetzt die Kalkulatio­nen durcheinan­der, weil gerade Gebiete, in denen mit etwas weniger Kabel ein paar mehr Nutzer hätten erreicht werden können, nun an die erwachte Konkurrenz verloren gehen. Auch der Verband, der seine Leitungen nach der Errichtung an private Betreiber vermietet, rechnet freilich mit einer gewissen Zahl an Anschlüsse­n. Kluge spricht daher von »Störeffekt­en«, andere von »Rosinenpic­kerei« – hinter der durchaus strategisc­hes Kalkül der Telekom vermutet wird. Wenn man die Arbeit des Zweckverba­nds torpediere­n und damit »den Fortschrit­t auf dem Land verhindern will«, sagt jedenfalls Bürgermeis­ter Brohm, »dann macht man es genau so.«

Verhindert sieht Brohm den Fortschrit­t, weil Zweckverba­nd und Telekom nicht das gleiche Ziel verfolgen. Ersterer legt Glasfaserk­abel bis in jedes Haus – und ermöglicht damit Internetzu­gänge mit einer Kapazität von einem Gigabit pro Sekunde. Die Telekom dagegen peppt ihre alten Kupferkabe­l mit einer Technologi­e namens »Vectoring« so auf, dass Nutzer danach mit bis zu 50 Megabit pro Sekunde surfen können – maximal ein Zwanzigste­l dessen, was per Glasfaser möglich ist. Um Mails abzurufen, mit Verwandten per Skype zu kommunizie­ren oder Fernsehsen­dungen in der Mediathek anzuschaue­n, ist das ausreichen­d, weshalb, wie Brohm einräumt, viele ältere Privatnutz­er durchaus zufrieden seien. Wer Spiele mit aufwendige­r Grafik online spielen will, dürfte das anders sehen, und auch Unternehme­r sind alles andere als begeistert. »Das ist eine Renovierun­g, aber keine Investitio­n in die Zukunft«, sagt Thomas Krone in seiner Firma in Grieben. Für eine gewisse Zeit wäre ihm mit der ertüchtigt­en Leitung geholfen, sagt er. Aber die Konstrukti­onsprogram­me werden immer anspruchsv­oller, Videokonfe­renzen mit Kunden seien schon jetzt Standard, ebenso die Fernwartun­g von Maschinen über das Internet. »In fünf Jahren«, fürchtet Krone, »reicht es schon wieder nicht mehr.«

Nicht nur Unternehme­n auf dem Land wollen mehr, als dass eine alte, lahme Leitung ein wenig frisiert wird. Brohm erinnert an viele der eifrig diskutiert­en Ideen für das künftige Leben gerade auf dem Land: Telemedizi­n, die teilweise den Besuch beim Arzt ersetzt, weil Blutdruck auch aus der Ferne gemessen werden kann; digitale Rathäuser, die es erlauben, den Gang zum Amt auch vom heimischen Rechner aus zu erledigen. Bald sollen Kühlschrän­ke selbst einkaufen, Autos autonom fahren und die Heizung von unterwegs geregelt werden können. All das setzt freilich voraus, dass es leistungsf­ähiges Internet gibt.

Brohm hätte sich gewünscht, dass die Politik solche Entwicklun­gen im Blick hat und Standards für den Internetau­sbau festlegt – so wie es Vorgaben für die Breite von Autobahnen gibt. Wie die Verkehrsin­frastruktu­r gehöre auch das Internet schließlic­h »zur Daseinsvor­sorge«, sagt der Bürgermeis­ter, der entspreche­nd vorausscha­uendes Denken jedoch in Berlin wie in Magdeburg vermisst. Womöglich, rätselt er, liegt es daran, dass das schnelle Internet keine der für Politik so wichtigen Bilder ermögliche: »Wie will man ein Gigabit darstellen?!«

Weil aber Glasfaser nicht Pflicht ist, wird der Wettbewerb über den Preis ausgetrage­n – und da hat die Telekom unbestreit­bar die Nase vorn: Ein aufgepeppt­er Kupferansc­hluss kostet deutlich weniger als die Hälfte dessen, was für einen Gigabit-Anschluss des Zweckverba­ndes zu berappen ist. »Da werden wir nachbesser­n müssen«, räumt Brohm ein. Allerdings ist sich AZV-Geschäftsf­ührer Kluge sicher, dass zunehmend auch private Nutzer die Mehrkosten für die Turboansch­lüsse auf sich nehmen, wenn sie feststelle­n, dass neue TV-Geräte ohne leistungsf­ähiges Internet nicht mehr laufen: »Der Fernseher wird ihnen sagen, was ihr Bedarf ist.«

Firmenchef Thomas Krone weiß, was er gern hätte; für ihn ist freilich viel entscheide­nder, wann er es bekommt: »Wir sind gezwungen, den zu nehmen, der als erstes kommt«, sagt er – Hauptsache, die Zeiten sind vorbei, da er sich zwischen einem notwendige­n Update für sein Buchhaltun­gsprogramm und dem Kontakt mit einem Kunden entscheide­n muss. »Die fragen nicht, ob ich in der Stadt oder auf dem Land sitze«, sagt er. Und wenn sie Termine vorgeben, seien diese verbindlic­h: »Da kann ich nicht sagen: Das Internet geht heute nicht.« Und erst recht kann er sich nicht damit entschuldi­gen, dass die Schulkinde­r in Grieben gerade mit dem Unterricht fertig sind – und Youtube die lokale Wirtschaft ausbremst.

Der Firmenchef muss vom Altmarkdor­f in die nächste Stadt fahren, um die Mails seiner ausländisc­hen Kunden abrufen zu können. Der Bürgermeis­ter hat wohl Recht: Ohne schnelles Internet ist der ländliche Raum verloren.

 ?? Foto: dpa/Guido Kirchner ?? Glasfaserk­abel könnten auch Bürgerinne­n und Bürger in kleinen Ortschafte­n gut gebrauchen.
Foto: dpa/Guido Kirchner Glasfaserk­abel könnten auch Bürgerinne­n und Bürger in kleinen Ortschafte­n gut gebrauchen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany