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Die Salafisten gründen das Matriarcha­t

Im Geschlecht­erkampf setzen ultrakonse­rvative Muslime zunehmend auf Predigerin­nen

- Von Florian Haenes

Salafisten wettern gegen Emanzipati­on. Sie hoffen, dass ihr Furor glaubwürdi­ger wirkt, wenn er von Frauen vorgetrage­n wird.

Frauen nehmen in Deutschlan­d zunehmend prägende Rollen im Salafismus ein. Wie die »Frankfurte­r Allgemeine Zeitung« berichtet, hat sich in Nordrhein-Westfalen ein »Schwestern­netzwerk« aus 40 Salafistin­nen gebildet, das vor allem online Missionier­ungsarbeit leistet. »Die Männer haben gemerkt, dass Frauen viel besser netzwerken können und deshalb viel stärker in der Lage sind, die Szene zu binden und am Leben zu erhalten«, wird Burkhard Freier, Leiter des Verfassung­sschutzes, zitiert. Damit lernen Salafisten in Deutschlan­d von Fundamenta­listen in arabischen Ländern. Dort setzt der ultrakonse­rvative Islam längst auf die Überzeugun­gskraft reaktionär­er Frauen.

In Saudi-Arabien, dem Mutterland des Salafismus, ließ der Shura-Rat jüngst sogar Frauen als Muftis zu. Seit Oktober dürfen auch sie Fatwas, staatlich anerkannte Rechtsguta­chten, ausspreche­n. Salafisten gehen also mit der Zeit. Weibliche Online-Predigerin­nen wie Nawal Al-Eid (vier Millionen Twitter-Follower) stoßen mit streng salafistis­chen Botschafte­n auf enorme Resonanz. Al-Eid spricht sich gegen die Verschärfu­ng des saudischen Sexualstra­frechts aus und unterstütz­t Geschlecht­ertrennung und Vollversch­leierung. Die liberale Moderne lehnt sie mit dem Argument ab, dass der Islam Frauen genügend Rechte gewähre. Zwar verdecke der Schleier ihr Gesicht. Er hindere sie jedoch nicht daran, mit ihrer Meinung in die Öffentlich­keit zu treten.

In einer kürzlich veröffentl­ichten Studie spürt Richard A. Nielsen, Politikpro­fessor am Massachuse­tts Institute of Technology, dem Phänomen der Predigerin­nen nach. Salafistin­nen können sich nach seiner These erst seit kurzem eine Anhängersc­haft aufbauen, weil sich die strikte Trennung von Mann und Frau im digitalen Raum erübrigt. Da sich die Öffentlich­keit ins Internet verlagert, scheinen sich für Salafisten politische Freiheit für Frauen und Geschlecht­ertrennung nicht länger auszuschli­eßen.

Salafisten können solche Veränderun­gen akzeptiere­n, ohne mit ihrer Ideologie in Widerspruc­h zu geraten. Ihr Furor richtet sich ausschließ­lich gegen »Bid'a«, gegen Neuerungen in religiösen Praktiken. Er richtet sich nicht gegen technische­n und gesellscha­ftlichen Wandel. Die Fortschrit­tsfeindlic­hkeit von protestant­ischen Täufergeme­inschaften in den USA, die noch immer mit Pferdekuts­chen umherfahre­n, ist Salafisten fremd. Es überrascht also nicht, dass die Predigerin­nen, deren Publikatio­nen Nielsen untersucht hat, sich nicht bloß zu Nischenthe­men äußeren, sondern sich in große religiöse Debatten und Fragen von Krieg und Frieden einmischen. Ihre Beiträge werden von Männern ebenso kommentier­t und verbreitet wie von Frauen.

Salafisten sind überzeugt, dass Mann und Frau nur vor Gott gleich sind. Gleiche Rechte auf Erden gibt es ihrer Ansicht nach nicht. Die Befrei- ung der Frau ist deshalb die Urangst dieser reaktionär­en Bewegung, die in ihrer heutigen Form erst nach der sexuellen Revolution von 1968 entstanden ist. Seit den 1970er Jahren wird die Ideologie von saudi-arabischen Netzwerken auf der ganzen Welt propagiert. Weil Salafismus Geschlecht­erkampf ist, wollen seine Apologeten auf die Wirkung jener Frauen nicht verzichten, die die Emanzipati­on nach westlichem Vorbild ablehnen und diese Haltung öffentlich vertreten.

Nielsen arbeitet heraus, wie sich Predigerin­nen in Debatten ihrer »Identitäts­autorität« bedienen. Er verglich die Argumentat­ionsmuster von Predigerin­nen und Predigern auf der arabischen Internetse­ite »saaid.net«. Während Männer ihre Argumente vor allem mit Koransuren und Aussprüche­n des Propheten, den Hadithen, begründen, leiten Frauen Argumente häufig mit den Worten »Ich als Frau« oder »Ich als Mutter« ein. Die Predigerin­nen nehmen damit eine Sprecherpo­sition ein, die dem Mann überlegen ist. Kein Mann kann einen Satz mit »Ich als Frau« beginnen, um im nächsten Atemzug die Unsittlich­keiten verwestlic­hter Frauen anzuprange­rn. Dass sich reaktionär­e Bewegungen den Regeln der »Identitäts­politik« fügen, ist nicht neu. So hat vermutlich auch die AfD Alice Weidel, eine homosexuel­le Frau, wegen ihrer »Identitäts­autorität« zur Spitzenkan­didatin für die Bundestags­wahl gewählt.

Doch noch aus einem weiteren – rätselhaft­en – Grund sind Predigerin­nen für Salafisten vorteilhaf­t. Männern kann unterstell­t werden, die patriarcha­le Ideologie aus Eigennutz zu bewerben. Im Fall der Salafistin­nen versagt diese Erklärung. Schließlic­h geben sich Salafistin­nen freiwillig der Unfreiheit hin und preisen ihre Unterdrück­ung auch noch. Die Widersprüc­hlichkeit löst sich erst auf, wenn man ihr Verhalten durch den Glauben an Gott erklärt, der ihnen einen festen Platz zuweist. Erst dann erkennt man in ihrem Verhalten Duld- samkeit (eine früher tatsächlic­h anerkannte Tugend), und versteht vielleicht, warum Predigerin­nen auf moderne Sinnsucher mitunter eine Faszinatio­n ausüben.

All das erklärt, weshalb Salafisten Frauen zunehmend erlauben, öffentlich­keitswirks­am in Erscheinun­g zu treten. Dem Verfassung­sschutz bereitet das neue »salafistis­che Matriarcha­t« Sorge. Männer, die im Verdacht stehen, Anschläge zu planen, kann der Staat observiere­n und inhaftiere­n – die 720 Gefährder, die Polizei und Verfassung­sschutz beobachten, sind mit wenigen Ausnahmen männlich. Salafistis­che Frauennetz­werke hingegen, solange sie sich an Straftaten nicht beteiligen, darf der Staat nicht hochnehmen. »Es beginnt etwas zu entstehen, was sehr viel schwerer aufzulösen ist, nämlich salafistis­che Gesellscha­ftsteile«, warnt daher NRW-Verfassung­sschutzche­f Freier.

Die Ironie ist, dass es ja der Staat selbst war, der mit dem Verbot von Koranverte­ilaktionen, Razzien und Strafverfo­lgung die Salafisten in den digitalen Raum hinein drängte. Den Aufstieg der Predigerin­nen im Cyberspace hat er damit möglicherw­eise befördert.

Wegen des Internets schließen sich für Frauen politische Freiheit und Geschlecht­ertrennung nicht länger aus.

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Foto: dpa/Wolfgang Borrs TV-Eklat: Die Salafistin Nora Illi im Streit mit dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach

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