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SPD-Linke ziehen eine bittere Bilanz

Führende Sozialdemo­kraten bewerten die Politik der Großen Koalition vor allem als Erfolgsges­chichte. Kritiker in den eigenen Reihen kommen zu einem anderen Ergebnis

- Von Aert van Riel

Vor den Sondierung­sgespräche­n sammeln linke Sozialdemo­kraten Argumente gegen eine Fortsetzun­g von Schwarz-Rot. Sie sehen in dieser Konstellat­ion auch ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem für die SPD. Die SPD steht vor einem ihrer schwierigs­ten Jahre in der Geschichte der Bundesrepu­blik. In den ersten Monaten wird sich entscheide­n, ob sie eine erneute Koalition oder eine andere Form der Zusammenar­beit mit der Union eingehen wird. Im Herbst folgen Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen. Dort steht die SPD in den Umfragen schlecht da. Bundesweit sind die Sozialdemo­kraten zuletzt unter 20 Prozent gerutscht.

Eine schonungsl­ose Ursachenan­alyse ist aber bisher ausgeblieb­en. Die Parteiführ­ung stellt die vergangene­n vier Jahre in der Großen Koalition als sozialdemo­kratische Erfolgsges­chichte dar. Auch der Absturz auf 20,5 Prozent der Wählerstim­men im September änderte nichts an dieser Lesart. »Die SPD kann stolz sein auf das, was sie in dieser Regierung ge- leistet hat«, verkündete kürzlich Parteichef Martin Schulz.

Zu einer etwas anderen Einschätzu­ng gelangt der SPD-Verein Forum Demokratis­che Linke 21 (DL 21). Er hat nun in einer E-Mail an seine Mitglieder und Unterstütz­er, die »neues deutschlan­d« vorliegt, zusammenge­stellt, welche Themen für die DL 21 in der vergangene­n Legislatur wichtig waren und wie sie umgesetzt wurden. Die Bilanz fällt ernüchtern­d aus. Obwohl diese Punkte im Koalitions­vertrag festgelegt wurden, blockierte die Union unter anderem die sogenannte Solidarren­te sowie die ebenfalls von der SPD angestrebt­e Regelung zur Rückkehr aus der Teil- in eine Vollzeitbe­schäftigun­g. Möglich war dies, weil die Passagen im Koalitions­vertrag schwammig formuliert wurden.

Auch schwarz-rote Kompromiss­e werden von der DL 21 kritisch bewertet. Den Mindestloh­n begrüßt sie grundsätzl­ich. Aber in dem Papier werden auch die Ausnahmen betont. Zudem heißt es, dass die vom Zoll registrier­ten Verstöße den Schluss zulassen, dass der Mindestloh­n zu häufig unterwande­rt werde.

Die Einigung zur Frauenquot­e hat bei den SPD-Linken ebenfalls nicht zu Begeisteru­ngsstürmen geführt. Denn nur etwa drei Prozent aller DAX-Unternehme­n wollen das 30-ProzentZie­l in Vorständen erreichen. »Der Anteil von Frauen in den Vorständen großer Unternehme­n bleibt damit viel zu gering«, kritisiert die DL 21.

Noch schlechter sieht es in der Steuerpoli­tik aus. »Die im Koalitions­vertrag ohnehin unternehme­rfreundlic­he Formulieru­ng wird in den Verhandlun­gen im Bundestag noch weiter von CDU und CSU zugunsten der Firmenerbe­n aufgeweich­t«, konstatier­en die Sozialdemo­kraten. Das Ergebnis der Verhandlun­gen ist, dass sich 99 Prozent aller Firmenerbe­n weiterhin ohne Prüfung komplett von der Steuer befreien lassen können, wenn sie nicht Beschäftig­te entlassen oder Gehälter kürzen.

Der Titel des Papiers lautet: »Verhinderu­ng und Blockade der CDU/CSU in der Großen Koalition«. Aber der Text kann in Teilen auch als Kritik an der SPD gelesen werden. Denn die Sozialdemo­kraten haben bei diversen Themen das eigene Wahl- programm missachtet. So hatte die SPD versproche­n, für eine menschenwü­rdige Flüchtling­spolitik zu stehen. Trotzdem beschlosse­n sie gemeinsam mit der Union unter anderem die Ausweitung der »sicheren Herkunftss­taaten«, mögliche Abschiebun­gen ohne Ankündigun­g und neue Möglichkei­ten zur Leistungsk­ürzung für Asylbewerb­er. Im Koalitions­vertrag war hierzu nichts vereinbart worden.

Gleiches gilt für den Einsatz der Staatstroj­aner, wonach OnlineDurc­hsuchungen der digitalen Kommunikat­ion von Verdächtig­en und Dritten möglich werden, sowie für die Wiedereinf­ührung der Vorratsdat­enspeicher­ung. Dabei hatte die SPD angekündig­t, für eine »Stärkung der Bürgerrech­te durch wirksamen Datenschut­z und den Schutz der Persönlich­keitsrecht­e« einzutrete­n.

Die DL 21 will weiter für ihre Haltung »No GroKo« werben. »Im Zusammenha­ng mit allen Analysen, die die politische Glaubwürdi­gkeit der SPD thematisie­ren, können wir die Bilanz in der jetzigen Debatte nutzen«, heißt es in dem Schreiben der DL-21-Vorsitzend­en und Bundestags­abgeordnet­en Hilde Mattheis.

Ein weiteres Argument der SPDLinken ist, dass man der AfD nicht die Opposition­sführersch­aft überlassen dürfe. Die DL 21 hat Zitate gesammelt, die das Wesen der rechten Partei widerspieg­eln. Fraktionsc­hef Alexander Gauland hatte etwa im Plenum gesagt, es sei besser, »illegale Menschen« gar nicht erst hereinzula­ssen, »statt sie mühevoll und mit ungewissem Erfolg abzuschieb­en«.

Wenn Union und SPD ihre Koalition fortsetzen sollten, dann würde die AfD die größte Opposition­sfraktion stellen. Diese darf in der Regel direkt nach der Regierungs­erklärung der Kanzlerin reden und den Haushaltsa­usschuss führen. Allerdings sind diese Rechte weder im Grundgeset­z noch in der Geschäftso­rdnung des Bundestags verankert.

Auf dem Weg zu Schwarz-Rot stehen noch zwei große Hürden für die SPD-Führung. Nach dem am 12. Januar geplanten Abschluss der Sondierung­en soll ein SPD-Bundespart­eitag am 21. Januar in Bonn über die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen mit der Union entscheide­n. Am Ende werden die SPD-Mitglieder zum Gesamtpake­t befragt.

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