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G20: Missverstä­ndnis, Skandal und Fake News

Journalist­en warfen der Öffentlich­keitsfahnd­ung mangelnde Legitimati­on vor – womöglich auf falscher Grundlage

- Von Sebastian Bähr

Wie viele Richter haben die öffentlich­e Suche nach G20-Protestier­ern genehmigt? An dieser Frage ist ein Streit entbrannt. Die bundesweit­e Öffentlich­keitsfahnd­ung gegen G20-Protestier­er steht nach wie vor in der Kritik. Menschenre­chtsorgani­sationen, Politiker und Journalist­en zweifeln an ihrer Verhältnis­mäßigkeit und Rechtmäßig­keit. Umso wichtiger scheint die Frage nach der juristisch­en Legitimati­on der umfassende­n und massiv in Persönlich­keitsrecht­e eingreifen­den Polizeimaß­nahme. Hat lediglich ein Richter die Fahndung nach mehr als 100 Menschen pauschal genehmigt? Oder haben mehrere Ermittlung­srichter die Anträge der Staatsanwa­ltschaft mit der notwendige­n Sorgfaltsp­flicht bearbeitet?

Hier stehen sich derzeit zwei widersprüc­hliche Perspektiv­en gegen- über. Auf der einen Seite Beiträge des Deutschlan­dfunks und der »jungen Welt«, welche zu der These vom einzelnen Richter führten, auf der anderen Seite die Pressestel­le des Hamburger Gerichts mit einem Dementi. Das »Hamburger Abendblatt« witterte bereits einen Skandal und warf dem Hamburger Linksparte­i-Politiker Martin Dolzer die Verbreitun­g von Fake News vor, weil dieser sich in einer Pressemitt­eilung auf die beiden Artikel berufen hatte. »Ich habe zwei aktuelle Medienberi­chte kommentier­t«, verteidigt­e sich Dolzer gegenüber der Zeitung. Doch was hat es mit den beiden Artikeln auf sich?

Zuerst hatte der Deutschlan­dfunk am 20. Dezember einen Text der Autorin Bettina Köster über die Öffentlich­keitsfahnd­ung veröffentl­icht. Köster sprach für den Beitrag mit dem Medienrech­tsanwalt Christian Solmecke. Der Experte wurde bezüglich der hohen rechtsstaa­tlichen Anforderun­gen an die Polizeimaß­nahme indirekt zitiert: »Ein Richter müsse zugestimmt haben, die Personen auf den Bildern dringend tatverdäch­tig und eine Aufenthalt­ermittlung auf andere Weise nicht möglich sein, so Solmecke.« Bereits bei diesem Zitat und seiner Interpreta­tion gab es offenbar ein Missverstä­ndnis. »Dem DLF habe ich gesagt, dass es von außen betrachtet den Anschein machte, dass die Richter die Voraussetz­ungen für eine Öffentlich­keitsfahnd­ung eher pauschal beurteilt und nicht jeden Einzelfall geprüft haben«, sagte Solmecke dem »nd«. »Ob ein oder mehrere Richter involviert waren, spielte für meine Aussage keine Rolle, zumal ich kein anderes Wissen als die Gerichte habe.«

Für den »junge Welt«-Autor Kristian Stemmler war die Aussage eindeutig genug. Er ging davon aus, dass nur ein einzelner Richter involviert war. In einem am 23. Dezember veröffentl­ichten Artikel kritisiert­e er die vermeintli­ch mangelnde Legitimati- on der Polizeimaß­nahme. Er schrieb in diesem Zusammenha­ng, dass ihm die Gerichtspr­essestelle in Hamburg den DLF-Bericht bestätigt habe – worauf sich anschließe­nd auch der LINKE-Abgeordnet­e Dolzer berief. Auf Nachfrage erklärte Stemmler dem »nd« nun, dass ein Stellvertr­eter des Gerichtssp­rechers Kai Wantzen mit ihm gesprochen habe. An dessen Namen könne er sich nicht erinnern.

Kai Wantzen selbst hält dies jedoch für »ausgeschlo­ssen«. »Ich habe keinen Stellvertr­eter und unsere Telefonmit­arbeiter machen gewöhnlich keine inhaltlich­en Aussagen«, sagte der Sprecher dem »nd«. Die Behauptung, dass nur ein Richter die Öffentlich­keitsfahnd­ung genehmigte, sei »einfach sachlich falsch«. Die Fälle würden im Verantwort­ungsbereic­h von acht Amtsrichte­rn liegen, mehrere davon hätten diese auch bearbeitet. Eine Presseanfr­age der »jungen Welt« habe es nicht gegeben.

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