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Fall Nisman erregt Argentinie­n

Mordthese der Justiz im Fall des 2015 verstorben­en Staatsanwa­lts entfacht Wirbel

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Fast drei Jahre nach dem Tod des Staatsanwa­lts Alberto Nisman geht die argentinis­che Justiz erstmals von Mord aus. Der oder die eigentlich­en Täter sind unbekannt. »Der Tod des Staatsanwa­lt Nisman ist nicht auf Suizid zurückzufü­hren.« Zu diesem Schluss kommt der ermittelnd­e Bundesrich­ter Julián Ercolini in Buenos Aires. Der 51-jährige Alberto Nisman war am 18. Januar 2015 erschossen in seiner Wohnung aufgefunde­n worden. Alberto Nisman war als Sonderstaa­tsanwalt seit 2004 für die Aufklärung des Anschlags auf das Gebäude des jüdischen Hilfswerke­s AMIA zuständig. Bei der Explosion am 18. Juli 1994 waren 85 Menschen getötet und 300 verletzt worden. Für den Anschlag macht die argentinis­che Justiz Iran verantwort­lich. Bis heute wurde niemand dafür zur Verantwort­ung gezogen.

Mit seinem über 600-seitigen Urteil geht Ercolini zurück auf Anfang. Was sich in der fraglichen Zeit vom Samstag auf Sonntag in der Wohnung von Nisman abspielte, ist jedoch nach wie vor nicht bekannt. Drei Spezialist­enteams hatten versucht, die Vorgänge im zehnten Stock des Wohnturms »Le Parc« im Stadtviert­el Puerto Madero zu rekonstrui­eren. Drei detaillier­te Untersuchu­ngsbericht­e liegen vor. Absolut gesicherte Erkenntnis­se über das Geschehen bietet keiner der drei, jedoch schließt der letzte Bericht mit dem Fazit: »Die Mitglieder dieser interdiszi­plinären Kommission der nationalen Gendarmeri­e befinden sich in der Lage anzunehmen, dass es sich bei dem gewaltsame­n Tod dessen, der im Leben Natalio Alberto Nisman war, um einen Mord handelte.«

Anfang November übersandte Staatsanwa­lt Eduardo Taiano einen 1087-seitigen Antrag auf Eröffnung eines Ermittlung­sverfahren­s an Richter Ercolini. Darin sprach Taiano erstmals von einem »homicidio«, also von Mord oder Totschlag. Bis dahin hatte Nismans Tod für die Jus- tiz als »Tod mit ungeklärte­r Ursache« gegolten.

Aufgrund von Nismans Anklagesch­rift wurde Anfang Dezember ein Prozess wegen Hochverrat­s gegen die ehemalige Präsidenti­n Cristina Kirchner, ihren Außenminis­ter Héctor Timerman sowie einige weitere Personen eröffnet. Kern der Anklage ist ein 2013 von der argentinis­chen und der iranischen Regierung unterzeich­netes Memorandum. Darin wurde vereinbart, die Ermittlung­en zu dem AMIAAnschl­ag einer internatio­nalen Wahrheitsk­ommission zu übergeben. Diese Kommission sollte die von der argentinis­chen Justiz beschuldig­ten und mit internatio­nalem Haftbefehl gesuchten iranischen Staatsbürg­er in Iran befragen. Im Gegenzug sollten die bei Interpol angezeigte­n Haftbefehl­e aufgehoben werden. Kirchner wird vorgeworfe­n, dass sie mit diesem Manöver den Weg für ein Handelsabk­ommen mit Iran freiräumen wollte – zulasten der Aufklärung. Weder das Memorandum noch das Handelsabk­ommen sind je in Kraft getreten.

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