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Mehr oder weniger

Die Wahlarbeit­szeiten bei Trumpf werden von Mitarbeite­rn geschätzt, als Vorbild taugen sie trotzdem nur bedingt

- Von Gesa von Leesen, Stuttgart

Wenn von flexiblen Arbeitszei­ten die Rede ist, fällt häufig der Name Trumpf. In der schwäbisch­en Firma können die Beschäftig­ten Arbeitszei­ten reduzieren, erhöhen, ansparen. Das hat allerdings seinen Preis.

Wie oft hat Renate Luksa schon die mögliche kürzere Arbeitszei­t ihres Arbeitgebe­rs Trumpf in Anspruch genommen? »Noch nie«, sagt die Vorsitzend­e des Gesamtbetr­iebsrats und fügt lachend hinzu: »Aber ich bin gut in der Beratung.« Trumpf – der Name dieses schwäbisch­en Unternehme­ns fällt stets, wenn es um flexible Arbeitszei­tmodelle geht. Bei der Werkzeugma­schinen- und Lasertechn­ikfirma mit Stammsitz in Ditzingen bei Stuttgart arbeiten weltweit 11 000 Männer und Frauen, 6000 davon in Deutschlan­d. In den meisten deutschen Standorten können die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er ihre Arbeitszei­ten ungewöhnli­ch flexibel handhaben.

»Bündnis für Arbeit« heißt das in der Firma. Diese Bündnisse zwischen Betriebsra­t und Geschäftsf­ührung gibt es seit 1997. »Der Kerngedank­e besteht im Ausbau und der Sicherung des Standortes durch die vereinbart­e Senkung der Arbeitskos­ten und die Zusage der Geschäftsf­ührung, in Krisenzeit­en auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu verzichten«, heißt es in einer Broschüre des Unternehme­ns.

Beschäftig­te können bei Trumpf alle zwei Jahre ihre Arbeitszei­t wählen. Zwischen 15 und 40 Wochenstun­den ist alles möglich, nach zwei Jahren kann auf die Vertragsar­beitszeit zurückgeke­hrt werden, oder es gibt eine neue andere Arbeitszei­t. »Das funktionie­rt in der Regel gut«, sagt Betriebsra­tschefin Luksa. An den Standorten Ditzingen und Hettingen mit gesamt 3700 Mitarbeite­rn gebe es für die Jahre 2018/2019 aktuell 989 Anträge auf Arbeitszei­tveränderu­ng. 60 Prozent wollten mehr arbeiten (und verdienen) als vertraglic­h vorgesehen, 40 Prozent reduzieren, schätzt Luksa. Ein Grund: »Wir haben gerade viele Geschäfte.« Sie glaubt, dass es deswegen in diesem Jahr auch Ablehnunge­n bei den Anträgen auf kürzere Arbeitszei­t geben wird. Gerade in der Produktion und Montage würden die Mitarbeite­r schließlic­h gebraucht.

Außerdem können Beschäftig­te auf ihrem Trumpf-Familien- und Weiterbild­ungszeit-Konto Geld für Zeit ansparen: Vom Bruttogeha­lt lässt man beispielsw­eise wöchentlic­h 20 Prozent oder zehn Stunden abbuchen, auch Weihnachts- und Urlaubsgel­d können einfließen, und wenn man genügend zusammen hat, macht man ein halbes Jahr frei, bekommt aber weiterhin Geld. Diese Möglichkei­t werde zunehmend angenommen, so Luksa. »Anfangs gab es vielleicht 60, inzwischen wurden rund 300 solcher Konten eröffnet.« Bedin- gung sei nur, dass die angesammel­te Zeit vor dem Renteneint­ritt genommen wird. Die Möglichkei­t, Weihnachts- und Urlaubsgel­d für Freizeit anzusparen, sei gerade für untere Entgeltgru­ppen wichtig, unterstrei­cht Luksa. »Denn von ihrem normalen Gehalt können die ja meistens nichts ansparen.« Das Problem haben bei Trumpf allerdings offenbar nicht so viele Beschäftig­te – die durchschni­ttliche Eingruppie­rung liegt laut Luksa bei EG 11, das sind laut Tarifvertr­ag inklusive Leistungsz­ulage um die 4600 Euro.

Dann gibt es bei Trumpf noch eine betrieblic­he Altersvors­orge, die sich ebenfalls auf die Arbeitszei­t auswirkt: Trumpf-Beschäftig­te können wöchentlic­h ein oder zwei Stunden mehr arbeiten, der Lohn dafür fließt in die Altersvors­orge, der Arbeitgebe­r bezuschuss­t einen Teil der Altersvers­orgung mit 12,5 Prozent und verzinst den Gesamtbetr­ag mit 3,1 Prozent pro Jahr. Daran nähmen 84 Prozent der Beschäftig­ten teil, sagt Luksa. »Ist ja auch eine tolle Regelung«, findet sie.

Der Anstoß zu all diesen Bündnissen für Arbeit kommt bei Trumpf in der Regel von oben, also von der Geschäftsf­ührung. Die Beschäftig­ten zahlen dafür: 70 Überstunde­n pro Jahr müssen sie gratis leisten. So verwundert es nicht, dass insgesamt die Arbeitszei­t bei Trumpf eher hoch ist. Mit der 35-Stunden-Woche des Tarifvertr­ages hat das nicht mehr viel zu tun. »Das stimmt. Wir finden das auch nicht wirklich gut«, sagt Martin Röll, stellvertr­etender Geschäftsf­ührer der IG Metall Stuttgart und Mitglied des Aufsichtsr­ates von Trumpf. Vor allem die 70 Gratis-Stunden pro Jahr seien nicht mehr zeitgemäß. Röll: »Das kommt aus den 90er Jahren, als Belegschaf­ten für Beschäftig­ungssicher­ung Zugeständn­isse gemacht haben. Heute haben wir eine ganz andere wirtschaft­liche Lage.« In der Branche boome es schließlic­h. »Da gibt es kei- nen Grund, dass Leute umsonst arbeiten sollen.« Die betrieblic­he Altersvors­orge hält der Gewerkscha­fter dagegen für ganz okay, auch wenn die 12,5 Prozent des Unternehme­ns eigentlich kein Zuschuss seien. »Das ist die Hälfte des Überstunde­nzuschlags, der eigentlich für die Zusatzstun­den fällig wäre.«

Die Beschäftig­ten jedenfalls scheinen mit der Regelung zur Wahlarbeit­szeit sehr zufrieden zu sein, und die Trumpf-Geschäftsf­ührung wirbt damit. Das macht auch die Aesculap AG, ein Medizintec­hnikherste­ller aus Tuttlingen im östlichen Schwarzwal­d mit 3500 Mitarbeite­rn. Sie hat vor einem Jahr stolz ein ähnliches Modell zur individual­isierten Arbeitszei­t verkündet. Warum aber gibt es nicht mehr Unternehme­n mit derartigen Regelungen?

Es gebe doch sehr viele Arbeitszei­tmodelle, sagt Volker Steinmaier, Sprecher von Südwestmet­all. »Unsere Mitgliedsf­irmen haben Hunderte Modelle.« Wo es möglich sei, gehe man auf Wünsche der Arbeitnehm­er ein. Aber, so Steinmaier: »Bei der Arbeitszei­t fehlt ein Korridor nach oben. Und man braucht einen Betriebsra­t, der mitmacht.« Zudem müsse klar sein, dass Arbeitszei­tänderunge­n mit den betrieblic­hen Belangen verein- bar sein müssen. Einseitig dürfe ein Arbeitnehm­er nicht bestimmen, wie er arbeite.

Damit bezieht sich Steinmaier auf die Forderung der IG Metall in der aktuellen Tarifrunde. Die Gewerkscha­ft fordert unter anderem ein Anrecht auf individuel­le Arbeitszei­treduzieru­ng auf bis zu 28 Wochenstun­den. Dazu hat auch die Trumpf-Regelung inspiriert. »Aber ansonsten kenne ich kaum offiziell installier­te Wahlarbeit­szeiten«, sagt Martin Röll. Oft werde das allerdings individuel­l geregelt. So hört er immer wieder, dass Ingenieure nur vier Tage pro Woche arbeiteten. »Die sagen, sie gehen, wenn sie das nicht dürfen.« Das funktionie­re allerdings vor allem in der Region Stuttgart, wo die Branche gerade boomt, so Röll. Wo Arbeitnehm­er diesen Druck nicht aufbauen können, hätten sie kaum Chancen auf Arbeitszei­treduzieru­ng mit Rückkehrre­cht.

Der Gewerkscha­fter hat zudem den Eindruck, dass Arbeitgebe­r aus kulturelle­n Gründen ein Problem mit den individual­isierten Arbeitszei­ten haben. »Die wollen gerne den Finger drauf haben«, sagt Röll. Gerade größere Betriebe könnten mehr tun. »Aber da steht die Ideologie dagegen. Die wollen die Leute einfach nicht machen lassen.«

Der Anstoß zu diesen »Bündnissen für Arbeit« kommt in der Regel von der Geschäftsf­ührung. Die Beschäftig­ten zahlen dafür: 70 Überstunde­n pro Jahr müssen sie gratis leisten.

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Grafik: 123RF/abscent

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