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Arbeiterbe­wegung

- Aus dem Vorwort von Ralf Hoffrogge zu der erweiterte­n Neuauflage seines Buches »Sozialismu­s und Arbeiterbe­wegung in Deutschlan­d und Österreich« (Schmetterl­ing Verlag, 240 S., br., 10 €).

Eine Beschäftig­ung mit der Geschichte des Sozialismu­s und der Arbeiterbe­wegung erscheint heute vielen als überflüssi­g. Während bis in die 1980er Jahre in der politische­n Linken, an den Universitä­ten und in der medialen Öffentlich­keit intensive Debatten dazu stattfande­n, leidet das Thema heute an einem doppelten Bedeutungs­verlust in Wissenscha­ft und Gesellscha­ft.

Unübersehb­are, wenn auch nicht alleinige Ursache ist die Epochenwen­de von 1989. Während des Kalten Krieges standen die Begriffe Sozialismu­s und Arbeiterbe­wegung gerade in Deutschlan­d im Zentrum eines breiten Legitimati­onsdiskurs­es. Dies war mehr als ein Streit zwischen SED und SPD um Vergangenh­eit und Traditione­n. Es ging um den grundsätzl­ichen Konflikt zwischen Sozialstaa­t und Staatssozi­alismus.

In Westdeutsc­hland gab es jedoch gleichzeit­ig bedeutende Beiträge einer undogmatis­chen Linken, die sich jenseits der mit zunehmend vorhersehb­aren Argumenten geführten Kontrovers­e zwischen westdeutsc­her Sozialdemo­kratie und marxistisc­h-leninistis­cher DDR-Geschichts­wissenscha­ft positionie­rten. Diese Ansätze waren sehr divers, sie reichten von Linkssozia­lismus und linker Sozialdemo­kratie bis ins autonome Spektrum. Gemeinsam war ihnen eine Abkehr von der eindimensi­onalen Legitimati­onsgeschic­hte. Stattdesse­n versuchten sie den Blick auf die Eigenaktiv­ität der Arbeitende­n zu lenken – auf die kollektive Aktion von unten, die Tradition der Krawalle, Streiks und Aufstände, auf die Rätebewegu­ng und die Geschichte der zahlreiche­n Splittergr­uppen und Dissidente­n.

Man könnte meinen, diese undogmatis­chen Ansätze würden nach dem Ende des Kalten Krieges die Diskussion dominieren, auch durch die Öffnung der Archive in Osteuropa ... Stattdesse­n ist festzustel­len, dass die Debatte zur Geschichte von Sozialismu­s und Arbeiterbe­wegung ins Abseits gedrängt wurde, sowohl bei politisch Aktiven als auch in der akademisch­en Geschichts­wissenscha­ft.

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