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Für einen Rabbi ist die Gemeinde zu klein

In Rangun gibt es heute 20 Juden und eine prachtvoll­e Synagoge

- Von Michael Lenz, Rangun

Juden leben seit 150 Jahren in Rangun. Das Judentum kam mit Kaufleuten aus Irak nach Birma, ins heutige Myanmar. Wie groß die jüdische Gemeinde Ranguns einst war, zeigt die prächtige Synagoge.

Die Straße 26 in Rangun sollte man gesehen, erlebt, gerochen haben. Die Enge ist ein orientalis­ches Gewusel, wie es im Buche steht. An Ständen bieten Händler Obst, Gemüse, Fleisch, Reis und Gewürze feil. Dazwischen drängen sich Fußgänger, Lastenträg­er schleppen säckeweise Nachschub an, Autos quetschen sich durch das Gewühl.

An der Ecke 26. Straße, MahaBandul­a-Straße hängt an einer Hauswand ein blaues Schild, auf dem ein weißer Pfeil die Richtung zu einer im zu 90 Prozent buddhistis­chen Myanmar unerwartet­en Sehenswürd­igkeit weist: eine Synagoge. Die jüdische Gemeinde in Rangun ist sehr klein. »Wir sind 20 Juden«, erzählt Sammy Samuels. »Wir sind Nachfahren von Juden aus Irak, die Mitte des 19. Jahrhunder­ts als Händler nach Birma kamen.«

Samuels ist Direktor des familienei­genen Reisebüros Myanmar Shalom Travels. Zwischen den vielen geschäftli­chen Terminen fungiert der 36-Jährige als Führer von Besuchergr­uppen durch die Musmeah-Yeshua-Synagoge. An diesem Tag ist eine birmanisch­e Schulklass­e zu Gast. Samuels, mit einer Kippa auf dem Kopf, erzählt von Sitten und Gebräuchen der Juden. Einen Rabbi gebe es allerdings nicht. Dafür sei die Gemeinde zu klein. Aber zu hohen Feiertagen werde ein Rabbiner aus Australien oder den USA eingefloge­n.

Einstmals umfasste die jüdische Gemeinde von Rangun mehr als 3000 Mitglieder. Damit war es 1943 vorbei. Die Japaner besetzten Birma, die Juden flohen über Indien nach Israel. »Wegen unserer Nähe zu den Engländern haben uns die Japaner verfolgt«, erzählt Samuels. Von diesem Aderlass habe sich die jüdische Gemeinde in Rangun nie erholt. Heute sei die Gemeinde eben klein, »aber einzigarti­g«, sagt Samuels. Dieses Selbstvert­rauen hat der jungenhaft wirkende Samuels von seinem Vater. »Als Kind habe ich die großen religiösen Feste der Buddhisten, Muslime, Hindus und Christen mit einem gewissen Neid gesehen. Mein Vater sagte mir: ›Zahlen sind nicht wichtig.‹«

Daran musste Samuels dieser Tage wieder denken, als Papst Franziskus in Myanmar zu Besuch war, einem Land im schwierige­n und komplexen Übergang von Jahrzehnte­n Militärdik­tatur zu einer demokratis­chen Gesellscha­ft. Die Armee spielt Dank ihrer in der Verfassung garantiert­en Privilegie­n noch immer die dominieren­de politische Rolle. Im Kampf um die Macht instrument­alisiert sie mithilfe willfährig­er buddhistis­cher Mönche den Buddhismus als politische­s Werkzeug.

Samuels, der als Vertreter der jüdischen Gemeinde bei dem Treffen des Papstes mit den Vertretern der Religionen Myanmars dabei war, erzählt: »Ich habe dem Papst gesagt, dass in meiner Kindheit die Religionen in Myanmar friedlich zusammenle­bten. Heute ist Religion zu einem sehr heiklen Thema geworden.« Dann berichtet Samuels den Schülern mehr von seiner Begegnung mit Franziskus: »Der Papst hat über die Religionen gesagt: ›Wir sind unterschie­dlich. Aber wir sollten vor diesen Unterschie­den keine Angst haben, sondern stolz darauf sein. Um diesen Unterschie­d zu erleben, seid ihr heute hier.‹«

Die Synagoge liegt mitten im muslimisch­en Viertel von Rangun. In trauter Nachbarsch­aft finden sich neben Moscheen die goldene SulePagode, katholisch­e und protestant­ische Kirchen sowie hinduistis­che Tempel. »Das ist doch ein wunderbare­s Beispiel für das harmonisch­e Zusammenle­ben der Religionen«, findet Samuels. Er räumt aber auch ein, dass die Situation außerhalb Ranguns »eine andere Sache ist«.

Die Armee hat seit August über 630 000 muslimisch­e Rohingya nach Bangladesc­h vertrieben und erhält dafür innerhalb von Myanmar viel Beifall. Weltweit wird dem Land jedoch »ethnische Säuberung« vorgeworfe­n. Selbst von Israel, das nach den Menschenre­chtsverlet­zungen an den Rohingya seine Waffengesc­häfte mit Myanmar suspendier­t hat.

Myanmar und Israel pflegen seit mehr als 60 Jahren diplomatis­che Beziehunge­n, wie historisch­e Fotos in der Synagoge zeigen. Als erstes südostasia­tisches Land erkannte das damalige Birma Israel als Staat an. Premiermin­ister U Nu besuchte 1955 Israel. 1961 kam Israels Regierungs­chef Ben Gurion nach Rangun und widmete sich während seines zweiwöchig­en Aufenthalt­s auch Buddhismus­studien.

In den vergangene­n Jahren hatte die jüdische Gemeinde Vertreter aller Religionen zu Chanukka – dem jüdischen Lichterfes­t – in die Synagoge eingeladen. Daraus wurde in diesem Jahr nichts. Nicht etwa wegen der Anerkennun­g Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA, sondern weil Samuels auf Geschäftsr­eise ist. »Jerusalem hat überhaupt keine Auswirkung­en auf die Synagoge«, schrieb Samuels in einer E-Mail. »Ich bin mir sogar sicher, wenn wir wieder zu Chanukka eingeladen hätten, hätten die Muslime nicht abgesagt.«

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Sammy Samuels führt eine Schulklass­e durch die Synagoge.
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Fotos: Michael Lenz Der Eingang zur Synagoge in Rangun

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