Die Redaktion antwortet
In der Wochenend-Ausgabe vom 21./22. Oktober berichtete das »nd« über den jungen Berliner Carlos Gomez, der es sich zum Ziel gesetzt hat, alle LeninDenkmäler in Deutschland ausfindig zu machen und zumindest fotografisch für die Nachwelt zu erhalten. Unseren Leser Karlheinz Scholz aus Berlin störte u.a. die Verwendung von Anglizismen im Text: »Ich frage mich (...), was so ein Satz in dem Artikel soll: ›Sein Vorhaben ist kein freakiges Kunstprojekt für hippe Großstadtironiker mit Faible für Sowjetnostalgie.‹«
Sprache ist in erster Linie ein Medium der Verständigung und als solches an die gebunden, die sich verständigen wollen. In Teilen des Odenwalds oder des Spessarts bürgerten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wörter wie »Trottoir« oder »Scheselong« ein. Ersteres wurde synonym für Gehweg, Letzteres für das bequeme Sitzmöbel verwendet. Während bei Trottoir noch die französische Schreibweise beibehalten wurde, hat man bei »Scheselong« das französische »Chaiselongue« lautsprachlich eingedeutscht.
Die Wörter wurden den Menschen in diesen beiden Regionen nicht aufgezwungen, sie haben sie auch nicht aus politischer Solidarität mit Frankreich übernommen, sondern sie sind zum einen ein Ergebnis des jahrzehntelangen Einflusses Frankreichs auf die südwestdeutschen Regionen im 19. Jahrhundert, zum anderen ein Produkt der damaligen Globalisierung, die ab dem späten 19. Jahrhundert Teile der armen Landbevölkerung aus dem Odenwald und dem Spessart in die Stahlindustrie und die Kohlegruben Lothringens trieb, wo sie sich als Tagelöhner oder Saisonarbeiter verdingten.
Nicht anders verhält es sich mit den heute in die deutsche Sprache übernommenen Wörtern aus dem Englischen oder den in der Sprachpraxis gebildeten Anglizismen. Niemand wird gezwungen, Anglizismen zu verwenden. »Freakig« oder »Hip« sind mittlerweile aber in den Sprachgebrauch vieler eingegangen; auch in den Duden sind sie inzwischen aufgenommen.
Jürgen Amendt, Feuilleton