nd.DerTag

Drohbriefe an Bewohner der Rigaer 94

- Von Nicolas Šustr

Unliebsame Weihnachts­überraschu­ng in Friedrichs­hain: Ein neunseitig­er anonymer Brief mit Namen und Fotos dutzender Aktivisten erreicht autonome Szenetreff­punkte.

»Eure Gesichter Namen Adressen Fahrzeuge Geschwiste­r Eltern sind sehr lange schon bekannt«, heißt es bei sehr sparsamer Interpunkt­ion in einem anonymen Schreiben, das laut Angaben der Internetse­ite indymedia.org kurz vor Weihnachte­n »in verschiede­nen Lokalitäte­n, die in Veröffentl­ichungen von Behörden als ›linksextre­mistische Treffpunkt­e‹ bezeichnet werden«, ein. In dem neunseitig­en Brief werden demnach insgesamt 42 Personen aus dem Umfeld des Hausprojek­ts Rigaer Straße 94 in Friedrichs­hain mit vollen Namen erwähnt. Zu 18 dieser Personen sind »Lichtbilde­r aus erkennungs­dienstlich­en Behandlung­en des Berliner LKA bzw. Personalau­sweisfotos mit teilweise zutreffend­en, meist verleumder­ischen Kommentare­n aus Datenspeic­herungen beigefügt, die dem Staatsschu­tz zugerechne­t werden können«, heißt es weiter auf der Webseite. Zuerst hatte der »Spiegel« berichtet.

Absender des Briefes ist ein fiktives »Zentrum für politische Korrekthei­t«. Auf Indymedia dokumentie­ren auch einige Fotos den Brief. Das Schreiben ist offenbar eine Retourkuts­che auf einen Fahndungsa­ufruf von Aktivisten aus dem Umfeld der »Rigaer 94«. Diese hatten »anlässlich der Hetzkampag­ne und den Aufrufen zur Denunziati­on« im Zuge der G20Ermittl­ungen Mitte Dezember auf der Webseite Indymedia.org die Bilder von 54 Polizisten veröffentl­icht. Die Beamten sollen an einer Räumung des Projektes beteiligt gewesen sein.

Die anonymen Briefeschr­eiber drohen, die Informatio­nen an Identitäre, Autonome Nationalis­ten oder »die Bullen« weiterzuge­ben. Begründung: »Wenn man damit droht das Leben anderer erheblich einzugrenz­en und Szenarien zu kreieren die für Familien und Unbescholt­ene folgenschw­ere Einschnitt­e bedeuten dann sollt auch IHR ebenso in den selben Zustand versetzt werden«, holpern die Autoren sprachlich weiter.

Eine erste Auswertung durch einen Teil der Betroffene­n habe bestätigt, dass die Informatio­nen ohne verleumder­ischen Inhalt nur den »szenekundi­gen« Beamten des Staatsschu­tzes (LKA 5) zur Verfügung stehen können, heißt es in dem Beitrag auf Indymedia. Und: »Wir sind sicher, dass das Schreiben von der Berliner Polizei erstellt und verschickt wurde, da niemand sonst Zugang zu entspreche­nden Fotos von ED-Behandlung­en und Ermittlung­sakten haben dürfte.«

Die Adressaten des Drohbriefs »protestier­en ausdrückli­ch nicht gegen diese Form der staatliche­n Repression, weil Protest eine Instanz voraussetz­t, die als Korrektiv von uns anerkannt würde«, heißt es weiter auf Indymedia.

Das sieht Hakan Taş, innenpolit­ischer Sprecher der LINKEN im Abgeordnet­enhaus, anders. »Wir haben den Vorfall als besonderes Vorkommnis für die nächste Innenaussc­husssitzun­g am 8. Januar angemeldet«, sagt er auf nd-Anfrage. »Die Namen und Adressen können eigentlich nur von Beschäftig­ten der Polizei oder Justizverw­altung weitergege­ben worden sein«, so Taş. »Die Verantwort­lichen müssen auf jeden Fall zur Rechenscha­ft gezogen werden«, fordert der Politiker. Wegen des Feiertags sah sich die Polizei am Montag außerstand­e, zu dem Vorgang Stellung zu nehmen.

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