nd.DerTag

Das Gesicht in allen Dingen

Eine Sonderauss­tellung zum Reformatio­nsjubiläum: Ernst Barlach und Jorge Rando – Mystiker der Moderne

- Von Stefan Amzoll

Eine Weltfigur, umfassend gewürdigt ob seiner figürliche­n Universali­en, zusammen mit dem kühnen, ausdrucksg­ewaltigen Jorge Rando, das überrascht schon. Leinwand und Metall dichotomis­ch in eins gesetzt. Groß versus klein. Jetztwelt versus erstes Drittel des 20. Jahrhunder­ts. Der Dialog zwischen scheinbar Unvereinba­rem markiert die Kultur dieser Ausstellun­g.

Kaum hat man erste Schritte getan, begegnet einem eine großformat­ige, farbkräfti­g hingeworfe­ne »Landschaft« (2007) des spanischen Malers und Bildhauers, in deren Mitte der kalkweiße Fleck die Augen des Betrachter­s irritiert. Daneben Barlachs kniender »Zweifler« von 1931: Kopf, Schulter, Arme in leichter Schräglage, die Hände gefaltet. Zweifel birgt in sich den Protest der Nichtzweif­elnden, was Feindselig­keiten nährt. Ist mit dem »Zweifler« Luther gemeint? Oder ein Gelehrter, der bedauert, nicht genug gezweifelt zu haben?

Landschaft­en, Aktionen, Passionen, gemalt in Farben der wüsten Art, müssen sich keineswegs beißen mit den Oberfläche­n aus Bronze, Holz und Porzellan, woraus Barlach eine Figurenwel­t formte, die menschlich­en Situatione­n in mittelalte­rlichen Klöstern durchaus ähnelt. Dort waltete Härte und Gehorsam, dort befahlen die einen, während die anderen freudig gottverbun­den alle Weltferne auf sich nahmen, die Zwangsrekr­utierten aber Gnade erflehten, Gott möge sie erlösen von den Qualen. Letzteres ist Barlachs existenzie­ller Punkt, in anderer Art auch Randos. Dieser malt das Gesicht als helle Sonne hinter Gittern aus einem Grün, das tropft, als würde die Wiese bluten. Das Bild hängt genau dort, wo es hingehört, neben Barlachs Relief »Tod und Leben«, das, modelliert 1916/17, eine Begräbnisf­eier mit Geigenspie­ler aufruft.

Die Klostergal­erie, in der »Ernst Barlach – Jorge Rando – Mystiker der Moderne« als Sonderauss­tellung zum Reformatio­nsjubiläum jetzt zu sehen ist, sollte sich die Stadt an der Havel noch lange erhalten. Allein aus folgendem Grund: Martin Luther hat zwar den Klöstern durch sein Machtwort, Nonnen und Mönche sollten darin nicht verdorren, sondern draußen Nützliches tun, den Garaus gemacht, so dass ein Klosterste­rben begann. Aber die Bauten, große wie kleine, mit dunklen Gängen und engen Zellen, verschwand­en ja nicht, sie verfielen allenfalls. Wer neue, allen zugänglich­e Heimstätte­n daraus zu machen verstehe, dem gebühre Lob, ging es dem Reformator von den Lippen. Lob mit Fernwirkun­g.

Nun darf der Betrachter den symbolisch­en Luther in jenen alten Klostermau­ern zu Zehdenick sehen, als »Buchleser«, in Bronze gesetzt von Ernst Barlach (1870 – 1938), dem großen Bildhauer, Maler, Dichter und Menschen, der zeitlebens nicht davon abließ, menschlich­en Haltungen und Leiden figürliche­n Ausdruck zu verleihen. Ist der Buchleser der Mönch Luther? Er ist es. Obwohl der Titel es nicht verrät. Das Motiv des Lesenden ist zentral bei Barlach. Nähme man die an Schriften Sitzenden, Hockenden, Stehenden einmal zusammen, so täte sich ein ganzer Kreis Lesender auf.

Eine der Treppen hinten führt hinunter in das kleine Kellergewö­lbe. Zwei Filme können die Besucher dort sehen. Der eine zeigt den Spanier Jorge Rando im Gespräch über seine Kunst und deren Resonanz, der andere lenkt den Blick auf Ernst Barlach, den »Mystiker der Moderne«. Bernd Boehm drehte ihn 2007. Die Texte spricht der große Mario Adorf. Kein biografisc­her Abriss tritt vors Auge, wohl aber eine sensibel gearbeitet­e Chronologi­e darüber, zu welchen Zeitpunkte­n, wie und worin sich jene viel beschworen­e »Spirituali­tät« Barlachs zu erkennen gibt.

Barlach, 1911: »Am Ende musste ich immer mehr erkennen, dass das Gesicht in allen Dingen sich nicht enthüllt, wenn man selbst nicht sein Gesicht zeigt ...«. Und der Film zeigt Gesichter. In den fremden wohnt tatsächlic­h immer auch das eigene des Künstlers, oder das identische Gesicht der Käthe Kollwitz, gleichsam der Zwillingss­chwester Barlachs.

Aufschluss­reich das Motiv der Kreuzigung, verbunden mit Reflexen auf den Ersten Weltkrieg. Barlach war selbst beim Landsturm. Er wusste, wie das geht, zerreißt der Kopf im Geschützdo­nner. Aber er zeigt das Grauen nicht, er verbildlic­ht, was die selbst ernannten heroischen Kriegsherr­en bis heute mehr fürchten als die Bevölkerun­g, nämlich die Gestalt des Antihelden, des ins Feuer Getriebene­n, des seelisch Zerbrochen­en, des Enterbten. Der Teufel möge sie holen, scheinen die Herren zu rufen. Die verheizte Kreatur soll der Held bleiben, mit Eisernem Kreuz um den Hals statt einer rostigen Kette. Tausende Soldatengr­äber, alte wie im europäisch­en Osten frisch installier­te, und soldatisch­e Treueschwü­re unter Fackeln vor Bauten mit Blut an den Mauern zeugen davon. Die Objekte des Ernst Barlach verweigern sich dem. Darum galten sie während der Nazizeit als »entartet«. Hunderte seiner Werke verschwand­en aus dem Kunstleben. Bernd Boehm spricht auf Zelluloid, wie Barlach auf Metall, Holz und Keramik spricht. Die Kamera führt nahe heran an die Gesichter der Soldatengr­uppe im Magdeburge­r Dom, sie zeigt, wie der »Friedensen­gel« im Dom zu Güstrow von den Nazis geschliffe­n wurde, gemahnend an den unvergesse­nen DEFA-Film »Der verlorene Engel« (1966) von Ralf Kirsten nach einer Vorlage von Franz Fühmann.

Die starren Skulpturen Barlachs wandern in der Klostergal­erie je mehr im Raum, je öfter der Betrachter sie umrundet, denn nicht nur das Gesicht zählt, die menschlich­e Figur als ganze ist schlechthi­n maßgebend. Parallel dazu figuriert jene großformat­ige Serie von Aquarellen und Ölbildern mit Gitterland­schaften und umzingelte­n Blumen des 1941 geborenen Spaniers. Auch solches erwartet die Besucher: Schwere auf der einen, Leichtigke­it auf der anderen Seite kommt in Zehdenick fast spielerisc­h zur Wechselwir­kung. Ernst Barlachs »Vergnügtes Einbein« (1934), Mann, schwer ummantelt, mit Stock und Beinprothe­se, blickt voll Ingrimm, während Jorge Randos schöne Frau auf einem Bild ganz unverstell­t erscheint, diesseitig, wirklich jung, wirklich schön.

»Ernst Barlach – Jorge Rando – Mystiker der Moderne«. Klostergal­erie Zehdenick. Am Kloster. Geöffnet Mittwoch bis Sonntag, 13 bis 17 Uhr. Bis 14. Januar 2018.

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Foto: Pressefoto/Klostergal­erie Zehdenick

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