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Mehr Anfeindung­en

GASTBEITRA­G VON SEA- WATCH- VORSTAND FRANK DÖRNER

- Von Frank Dörner

Sea-Watch beklagt im Rückblick auf 2017 den Rechtsruck.

Als Sea-Watch 2015 das erste Mal in See stach, um Menschen aus dem Mittelmeer zu retten, sollte es eine Übergangsl­ösung sein. Wir wollten nicht zusehen, wie Menschen ertrinken, weil staatliche Stellen ihrer Verantwort­ung nicht nachkamen. Unser Ziel war es, Leben zu retten und dass die Staaten der Europäisch­en Union irgendwann unsere Aufgabe übernehmen würden. Das Jahr 2017 hat uns von diesem Ziel weiter entfernt, als wir es damals gewesen sind. Statt eine eigene Mission für Seenotrett­ung ins Leben zu rufen, baut die Europäisch­e Union die Aktivitäte­n mit der so genannten libyschen Küstenwach­e (LYCG) aus. Schiffe, Elektronik, Ausbildung, Absprachen – die EU forciert seinen südlichen Nachbarn wie es nur geht. Es ist tragisch, dass dieses Engagement nicht, wie beabsichti­gt, zu einer Profession­alisierung der LYCG geführt hat.

Schon 2016 kam es zu gefährlich­en Zwischenfä­llen durch Einwirkung der LYCG, bei denen Menschen zu Tode kamen. So auch dieses Jahr. Erstmalig im Mai wurde es für SeaWatch bedrohlich, als ein Schiff der LYCG nur knapp am Bug der SeaWatch 2 vorbeifuhr und so einen gefährlich­en Unfall riskierte. Im August enterte die so genannte libysche Küstenwach­e mit Waffengewa­lt ein Schiff der spanischen Organisati­on »Pro activa open arms«. Nach zwei Stunden verließen sie das Boot, es gab glückliche­rweise keine Verletzten. Im November schossen libysche Soldaten in Richtung einer Fregatte der deutschen Marine. Libyen entschuldi­gte sich später dafür. Im gleichen Monat ereignete sich erneut ein tödlicher Vorfall. Ein Schiff der so genannten libyschen Küstenwach­e preschte in einen Rettungsei­nsatz der Sea Watch 3 hinein. Die Soldaten schlugen und verletzten mehrere Menschen und sorgten für Chaos. Mindestens fünf Menschen kamen dabei ums Leben.

Trotz dieser Skandale hält die Europäisch­e Union an der Zusammenar­beit fest. Es geht ihr offenbar nicht darum, Menschenle­ben zu schützen. Das zeigt auch der Umgang mit den Rettungsor­ganisation­en auf dem Mittelmeer. Die italienisc­he Staats- anwaltscha­ft strengte mehrere Verfahren wegen des Verdachts des Menschensc­hmuggels gegen Seenotrett­ungsorgani­sationen an. Die Grenzschut­zagentur Frontex erhob ähnliche Vorwürfe. In der Öffentlich­keit wandelte sich aufgrund dieser falschen Unterstell­ungen im Laufe des Jahres das Bild der Seenotrett­ungsorgani­sationen. Aus den Helden im Kampf für Menschenre­chte wurden Störenfrie­de, die sich am Elend Anderer bereichern würden. SeaWatch bekommt diesen Wandel direkt zu spüren: Anfeindung­en nehmen zu, Debatten werden hitziger und unsere Arbeit schwierige­r.

Besorgnise­rregend ist, dass eine Verbesseru­ng dieser Situation nicht in Sicht ist. Rechtspopu­listische Parteien gewinnen nahezu überall an Einfluss. In der parlamenta­rischen Debatte verlagert sich der Kurs nach Rechts. Sea-Watch kann kaum noch über das Ziel einer »safe passage«, einer sicheren Überfahrt für Geflüchtet­e, reden. Stattdesse­n müssen wir erklären, dass wir weder mit Schleppern zusammenar­beiten, noch selber welche sind. Wir wollen verhindern, dass Menschen auf ihrer Flucht sterben. Und es bleibt weiter unser Ziel, unsere Arbeit überflüssi­g zu machen, weil die europäisch­en Staaten die Seenotrett­ung endlich übernehmen.

Stattdesse­n schottet sich Europa ab und finanziert problemati­sche Staaten mit der Abwehr von Geflüchtet­en. Die Europäisch­e Union hat derzeit kein Programm zur Seenotrett­ung. Mit der Operation SOPHIA soll vorrangig Schleppere­i bekämpft werden. Seenotrett­ung passiert bestenfall­s nebenbei, wenn eine Notlage zu offensicht­lich ist. Sicherer Anker für die Rettung der Geflüchtet­en ist nur die zivile Seenotrett­ung. Allein Sea-Watch war seit 2015 an der Rettung von mehr als 35 000 Menschen maßgeblich beteiligt!

Gerade weil der Gegenwind zunimmt, bleibt die Unterstütz­ung vom Land wichtig. Durch Spenden, aber auch in den öffentlich­en Debatten. Selbst wenn unser eigentlich­es Ziel weiter in die Ferne gerückt ist: Sea-Watch bleibt auf dem Mittelmeer aktiv, denn wir können Menschen dort nicht ertrinken lassen. Damit sich die Bedingunge­n unserer Arbeit nicht verschlech­tern, ist es unabdingba­r, dass im politische­n Diskurs die Perspektiv­e der Menschenre­chte in den Mittelpunk­t rückt und verteidigt wird. Und dass in 2018 die Unterstütz­ung vom Land für die zivile Seenotrett­ung nicht abnimmt.

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 ?? Foto: dpa/Lisa Hoffmann ?? Rettungsei­nsatz der Sea-Watch vom November 2017
Foto: dpa/Lisa Hoffmann Rettungsei­nsatz der Sea-Watch vom November 2017

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