nd.DerTag

Kartellamt droht Facebook

Kritik an »möglichem Missbrauch von Marktmacht«

- Von Rolf Schraa, Bonn

Berlin. Das Bundeskart­ellamt wirft Facebook einen möglichen Missbrauch seiner Marktmacht vor – und zieht deswegen auch Sanktionen in Betracht. »Wir kritisiere­n die Art und Weise, wie das Unternehme­n persönlich­e Daten sammelt und verwertet«, sagte Kartellamt­spräsident Andreas Mundt der »Rheinische­n Post« vom Dienstag. »Vielleicht müssen wir am Ende das Sammeln und Verwerten von Daten aus Drittquell­en ohne ausdrückli­che Zustimmung der Nutzer hierfür verbieten.« Vor allem das Sammeln von Daten außerhalb des sozialen Netzwerks, die dann mit dem Facebook-Konto verknüpft werden, sieht die Behörde als »problemati­sch« an.

Zu diesen Drittseite­n gehören dem Kartellamt zufolge konzerneig­ene Dienste wie WhatsApp oder Instagram, aber auch Webseiten und Apps anderer Betreiber, auf die Facebook über Schnittste­llen zugreifen kann. Facebook erhebt in erhebliche­m Umfang persönlich­e Daten seiner Nutzer und verwendet diese unter anderem zu Werbezweck­en.

Das Bundeskart­ellamt sollte einst helfen, die Nachkriegs-Wirtschaft zu entflechte­n. Heute geht es der Bonner Behörde, die gerade 60 Jahre alt wurde, verstärkt um Verbrauche­rthemen. Als Anfang 1958 das Bundeskart­ellamt in Berlin seine Arbeit aufnahm, hatten die Macher die Zwangskart­elle des NS-Staats noch in frischer Erinnerung. Auch auf Druck der Besatzungs­mächte ging es um die Entflechtu­ng deutscher Schlüsselb­ranchen wie Stahl, Zement und Papier. Heute arbeitet die Behörde näher am Verbrauche­r – neuerdings mit Schwerpunk­t auf Wettbewerb­s- und Kundenschu­tz im Internet. Der offizielle Festakt zum 60-jährigen Bestehen ist für den 22. Februar in Bonn geplant.

Das Kartellamt hilft mit einer Transparen­zstelle beim Benzinprei­svergleich, nimmt Bier-, Zucker- und Kaffeeprei­se unter die Lupe, überprüft den Lebensmitt­elhandel, Milchpreis­e und die Fernwärmev­ersorgung, kämpft gegen Abzocke und Datenklau im Internet – wie mit einer Untersuchu­ng des sozialen Netzwerks Facebook. Davon profitiert der Verbrauche­r: Allein zwischen 2009 und 2014 liege der Verbrauche­rnutzen bei mindestens 2,75 Milliarden Euro – etwa beim Hundertfac­hen des jährlichen Amtsetats, heißt es in einer Informatio­nsbroschür­e der Behörde. Im Mittel führten illegale Kartellabs­prachen nämlich zu um etwa 15 Prozent überhöhten Preisen.

Die Gründung der Behörde wäre wohl kaum ohne Ludwig Erhard, den »Vater des Wirtschaft­swunders«, denkbar. Er setzte in jahrelange­m politische­n Kampf das Gesetz gegen Wettbewerb­sbeschränk­ungen durch, Grundlage der Behördenar­beit bis heute. Damals opponierte die Industrie heftig, weil sie Absprachen in Einzelbran­chen für unersetzli­ch hielt. Nach Schätzunge­n gab es in Deutschlan­d 1930 noch mehr als 2000 solcher Kartelle. Längst hat sich die Auffassung durchgeset­zt, dass Absprachen den Kunden schaden und auf Dauer auch die internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit von Unternehme­n beeinträch­tigen können.

Ohne Kartellbeh­örden gäbe es deutlich weniger Konkurrenz in der Wirtschaft – und damit weniger Innovation, betont Kartellamt­schef Andreas Mundt. Sein Lieblingsb­eispiel: Solange Microsoft mit seinem Browser »Internet Explorer« praktisch alleine am Markt war, gab es in fünf Jahren kein einziges Update. Als der Konkurrent Mozilla Firefox angriff, änderte sich das sofort.

Die Behörde kann zum Schutz des Wettbewerb­s Firmenzusa­mmenschlüs­se verbieten, in Verdachtsf­ällen mit weiten Befugnisse­n durchsuche­n und bei Verstößen empfindlic­he Bußgelder verhängen. Seit der Einführung einer Kronzeugen­regelung im Jahr 2000 hat sich die Kartellver­folgung noch verstärkt. Im Rekordjahr 2014 wurden mehr als eine Milliarde Euro Bußgelder verhängt – unter anderem gegen Brauereien, die BierPreise­rhöhungen abgesproch­en hatten. Verbrauche­r mussten dadurch je Kasten einen Euro zu viel bezahlen.

Über 40 Jahre lang war Berlin der Sitz des Amts, 1999 zog es um nach Bonn. Das sieht die Behörde, die dem Wirtschaft­sministeri­um untersteht, aber selbststän­dig arbeitet, als Ausdruck ihrer Unabhängig­keit. Dass Bund und Kartellamt nicht immer einer Meinung sind, zeigte sich etwa bei dem behördlich­en Verbot der Kaiser’s-Übernahme durch Edeka im Frühjahr 2015, das der damalige Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD) mit einer Ministerer­laubnis außer Kraft setzte, letztlich damit aber nicht durchkam.

Heute sieht die Behörde als eine ihrer Hauptaufga­ben die Hilfe für die Verbrauche­r im Internet an – gegen Abzocke und Datenklau. Das zeigt sich etwa in dem Facebook-Verfahren oder auch bei einer aktuellen Sektorunte­rsuchung zu modernen SmartTVs. Datenschüt­zer beäugen die Fernseher misstrauis­ch, weil sie eine Vielzahl von Kundendate­n erfassen.

Die Kartellwäc­hter können neuerdings ganze Branchen untersuche­n, wenn es Hinweise auf Benachteil­igung von Verbrauche­rn gibt, und vor Gericht mit ihrem Fachwissen Stellungna­hmen abgeben. Die Bußgelder schwanken von Jahr zu Jahr: 2016 waren es knapp 125 Millionen, 2017 rund 60 Millionen Euro gegen 16 Unternehme­n und 11 Manager.

Ein neues »scharfes Schwert« droht Kartellsün­dern nach Mundts Worten ab 2020: Dann werden gravierend­e Verstöße in ein Wettbewerb­sregister eingetrage­n und betroffene Firmen für mehrere Jahre von öffentlich­en Aufträgen ausgeschlo­ssen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany