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Sofia ist nicht Visegrád

Bulgarien möchte während seiner Ratspräsid­entschaft in Sachen Flüchtling­spolitik als Mittler in der zerstritte­nen EU auftreten

- Von Nelli Tügel

Der bulgarisch­e Grenzzaun ist wichtiger Teil der EU-Abschottun­gspolitik. Im Streit um die Flüchtling­sverteilun­g hat sich das Land zwischen Visegrád-Gruppe und EU-Kommission positionie­rt. In den vergangene­n Monaten hat sich für viele Beobachter immer stärker der Eindruck verfestigt, innerhalb der Europäisch­en Union verlaufe eine Grenze zwischen östlichen und westlichen Staaten, insbesonde­re beim Umgang mit Flüchtling­en.

Tatsächlic­h sind es die Länder der Visegrád-Gruppe – Polen, Ungarn, die Slowakei und die Tschechisc­he Re- publik – die am lautesten gegen die 2015 beschlosse­ne Umverteilu­ng von in Griechenla­nd und Italien Schutzsuch­enden innerhalb Europas gewettert hatten. In der Verweigeru­ng einer gemeinsame­n Flüchtling­spolitik sind aber andere ebenso vehement – zum Beispiel das als so liberal geltende Dänemark, das gerade erst aus dem Quotensyst­em der UN-Flüchtling­sorganisat­ion UNHCR ausgestieg­en ist und sich mit Grenzschli­eßungen, Asyl- und Ausländerr­echtsversc­härfungen brüstet.

So wenig die westlichen EU-Staaten geschlosse­n hinter der von der EUKommissi­on angemahnte­n »gemeinsame­n Flüchtling­spolitik« stehen, so wenig lehnen die östlichen Staaten sie geschlosse­n ab. Bulgarien beispielsw­eise unterstütz­t einerseits mit seinem Grenzzaun den europäisch­en Abschottun­gskurs – der aber ohnehin auch von der EU-Kommission, der Bundesrepu­blik und Frankreich mitgetrage­n und vorangetri­eben wird. Und auch im Umgang mit Flüchtling­en hat sich das Land nicht gerade mit Ruhm bekleckert: In den letzten Jahren haben viele Flüchtling­e Bulgarien passiert – und immer wieder gab es Schilderun­gen von brutalem Vorgehen der Behörden. Im Sommer urteilte daher beispielsw­eise das Verwaltung­sgericht in Hannover, dass ein Flüchtling und seine Familie nicht zurück nach Bulgarien geschickt werden dürfen.

Auf der anderen Seite aber steht Bulgarien in Sachen Umverteilu­ngsstreit – trotz der Regierungs­beteiligun­g der rechten Vereinigte­n Patrioten – eher hinter der EU-Kommission. Eine Stärkung der Visegrád-Gruppe unter bulgarisch­er Ratspräsid­entschaft ist hier nicht zu erwarten. Eher schon, wenn im zweiten Halbjahr Österreich das Ruder übernimmt. »Wir stehen alle denselben Herausford­erungen gegenüber, die wir nur gemeinsam überwinden können, nicht auf nationalem Niveau«, betonte dann auch der konservati­ve Ministerpr­äsident Bulgariens, Bojko Borissow.

Sofia will während seiner Ratspräsid­entschaft erklärterm­aßen als Vermittler auftreten. Das könnte nicht ganz unwichtig sein: Denn bis Mitte 2018 soll eine Reform des Dublin-Systems auf den Weg gebracht werden. Dies hatten die EU-Staats- und Regierungs­chefs bei einem Gipfel im vergangene­n Herbst beschlosse­n. Die bislang geltende Regelung gilt als gescheiter­t; sie sieht vor, dass grundsätzl­ich der Mitgliedst­aat, in dem ein Flüchtling zuerst europäisch­en Boden betritt, für dessen Asylverfah­ren zuständig ist. Dieses System führt dazu, dass Länder mit EU-Außengrenz­e – wie Griechenla­nd oder Italien – für überdurchs­chnittlich viele Flüchtling­e verantwort­lich sind. Hier einen Kompromiss zu finden, könnte die größte Herausford­erung der kommenden Ratspräsid­entschaft werden.

»Wir stehen alle denselben Herausford­erungen gegenüber, die wir nur gemeinsam überwinden können, nicht auf nationalem Niveau.« Bojko Borissow, Ministerpr­äsident Bulgariens

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