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Streit über falsche Altersanga­ben

Union will Geflüchtet­e zur Altersfest­stellung mit Röntgenger­äten durchleuch­ten

- Von Florian Haenes

Nach der Messeratta­cke in Kandel ist die Union in Aufruhr und fordert strikte Regeln zur Altersfest­stellung bei Asylbewerb­ern.

Die mutmaßlich­e Messeratta­cke auf ein 15-jähriges Mädchen in Rheinland-Pfalz hat eine Debatte über die Altersfest­stellung bei minderjähr­igen Flüchtling­en ausgelöst. Der mutmaßlich­e Täter, ein Asylbewerb­er aus Afghanista­n, soll ebenfalls 15 Jahre alt sein. Allerdings hatte der Vater des Opfers gegenüber der Boulevardz­eitung »Bild« den Verdacht geäußert, der Täter sei in Wahrheit älter. Zahlreiche Politiker der Union nahmen die Tat daraufhin zum Anlass, eine verbindlic­he Altersüber­prüfung von minderjähr­igen Flüchtling­en zu fordern.

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) kündigte die Verschärfu­ng der Regeln zur medizinisc­hen Altersfest­stellung an und schlug eine medizinisc­he Untersuchu­ng durch die Bundespoli­zei vor. Der Innenminis­ter von BadenWürtt­emberg, Thomas Strobl (CDU), will das Alter in Zweifelsfä­llen durch eine Röntgenunt­ersuchung des Handgelenk­s bestim- men. Auch SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach sprach sich über Twitter für die Röntgenmet­hode aus. Sie sei »genau genug«, um das Alter festzustel­len. Die Ministerpr­äsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU), forderte die Vereinheit­lichung des Verfahrens zur Altersfest­stellung und erhielt Unterstütz­ung von SPD-Innenpolit­iker Burkhardt Lischka, der bemängelte, dass die Jugendämte­r selbststän­dig über das Verfahren zur Altersfest­stellung entscheide­n.

Harte Kritik an der Debatte kam vom Präsidente­n der evangelisc­hen Kirche der Pfalz, Christian Schad. Er warnte vor »Hass und Vergeltung­swünschen« und kritisiert­e die Stigmatisi­erung einer ganzen Gruppe von Menschen durch die Tat eines Einzelnen. Die Innenpolit­ikerin der Linksparte­i Ulla Jelpke warf der Union vor, sie schüre einen Generalver­dacht gegen jugendlich­e Schutzsuch­ende. Auch die Ministerpr­äsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), sprach sich gegen eine Reform aus und bezeichnet­e die Rechtslage als ausreichen­d.

Tatsächlic­h schätzen Kritiker die Untersuchu­ngen zur Altersfest­stellung seit längerem als grundrecht­s- widrig ein. Die FDP-Fraktion in der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft bezeichnet­e die übliche Untersuchu­ng von Genitalien und Brustdrüse­n zur Altersfest­stellung als »unwürdig« und »hochnotpei­nlich« und forderte in einem Antrag vor zwei Jahren, »auf die Praxis der Genitalunt­ersuchung zum Zweck der Altersschä­tzung zu verzichten«. Dieser Tage kommt von der FDP freilich keine solche Kritik – ihr Chef Christian Lindner forderte die Abschiebun­g straffälli­g gewordener minderjähr­iger Flüchtling­e.

Die ist derzeit nahezu unmöglich, weshalb Geflüchtet­e bei ihrem Asylantrag häufig ein niedrigere­s Alter angeben. Eine Abschiebun­g ist nur dann erlaubt, wenn sich Angehörige zuvor verpflicht­et haben, den Jugendlich­en im Heimatland am Flughafen in Empfang zu nehmen. Auch die Dublin-Bestimmung, nach der jenes Land einen Asylantrag bearbeiten muss, das ein Geflüchtet­er zuerst betreten hat, gilt für Minderjähr­ige nicht. Zudem haben unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e das Recht auf einen Vormund und Unterbring­ung in einer Einrichtun­g der Kinder- und Jugendhilf­e. Häufig müssen sie deshalb nicht in überfüllte­n Massenunte­rkünften leben.

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