nd.DerTag

Der Rechtsstaa­t steht unter Druck

Nicht nur in Polen, sondern auch in Rumänien arbeitet die Regierung daran, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen

- Von Thomas Roser, Belgrad

Die EU leitet gegen Polen ein Strafverfa­hren ein. In Rumänien demonstrie­ren Zehntausen­de gegen die Aushöhlung des Rechtsstaa­ts. Die Regierunge­n bleiben unbeirrt.

Ob in Polen, Ungarn oder nun in Rumänien: Es ist der teilweise bereits realisiert­e Versuch von Regierunge­n, die Justiz unter ihre direkte Kontrolle zu bringen, der deren Unabhängig­keit aushöhlt – und damit die Gewaltente­ilung und das Gleichgewi­cht der Kräfte im Staat bedroht. Das Ziel ist eine Justiz nach Maß für die Macht. In Rumänien will die Regierung mehr Einfluss auf die Staatsanwa­ltschaft, um lästige Korruption­sermittlun­gen zu verhindern. In Polen soll das Justizmini­sterium Gerichtspr­äsidenten nach Belieben abberufen können. In Ungarn sind die Rechte des Verfassung­sgerichts bereits seit der Verabschie­dung der neuen Verfassung 2011 kräftig beschnitte­n.

Um die Presse- und Meinungsfr­eiheit ist es eher schlecht bestellt. Ob bei EU-Anwärtern wie Montenegro und Serbien oder EU-Mitglieder­n wie Bulgarien, Polen und Ungarn: Die Kontrollbe­gehrlichke­iten der Macht gehen längst über die von den Regierunge­n gleichgesc­halteten öffentlich-rechtliche­n Fernsehsta­tionen oder staatliche­n Nachrichte­nagenturen hinaus. Mit dem Entzug staatliche­r Anzeigenau­fträge wird die ohnehin schwächeln­de Presse gefügig gemacht, mit Lizenzverg­aben und Übernahmen durch regierungs­nahe Investoren selbst einstige Opposition­ssender auf Linie gebracht.

»The winner takes it all« – oder anders gesagt: die Mehrheit kann schalten und walten, wie sie will, scheint das Grundprinz­ip vieler Machthaber. Entweder werden lästige Kontrollor­gane wie Ombudsmänn­er, Datenschut­zbeauftrag­e oder Rundfunkrä­te negiert – oder mit hörigen Gefolgsleu­ten besetzt. Der Opposition werden notfalls Mikrofone abgedreht, der Zugang zu den vom Staat kontrollie­rten Medien beschränkt – oder Untersuchu­ngsausschü­sse verweigert.

Auf die fortgesetz­ten Verstöße Budapests und Warschaus gegen EUPrinzipi­en reagiert Brüssel wie ein beleidigt-besorgter, aber überforder­ter Oberlehrer: Empörte Warnungen gehen mit eher hilflosen und jahrelange­n Strafverfa­hren gepaart. Denn die nun gegen Polen angedrohte Höchststra­fe, den Klassen- oder Schulrausw­urf in Form des Verlusts des EUStimmrec­hts, vermag Brüssel kaum zu vollziehen. Zum einen können sich die beiden EU-Störenfrie­de Ungarn und Polen ihrer gegenseiti­gen Veto-Hilfe sicher sein. Zum anderen kann Un- garns Regierungs­chef Viktor Orban noch immer auf den Rückhalt konservati­ver Schwesterp­arteien in den Reihen der EVP bauen. Wer einmal im EU-Klub ist, scheint kaum etwas zu befürchten müssen, so die folgericht­ige Erkenntnis.

Die demokratis­che Aufbruchst­immung von 1989 ist in Mittel- und Osteuropa völlig verflogen. Das heftige Tauziehen um die beabsichti­ge Zähmung der rumänische­n Justiz und die Massendemo­nstratione­n zu Jahresbegi­nn sind jedoch auch ein Indiz, dass viele Rumänen keineswegs mehr zum Parteienfi­lz und in den Korruption­ssumpf der 90er und 2000er Jahre zurückkehr­en wollen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany