Der Rechtsstaat steht unter Druck
Nicht nur in Polen, sondern auch in Rumänien arbeitet die Regierung daran, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen
Die EU leitet gegen Polen ein Strafverfahren ein. In Rumänien demonstrieren Zehntausende gegen die Aushöhlung des Rechtsstaats. Die Regierungen bleiben unbeirrt.
Ob in Polen, Ungarn oder nun in Rumänien: Es ist der teilweise bereits realisierte Versuch von Regierungen, die Justiz unter ihre direkte Kontrolle zu bringen, der deren Unabhängigkeit aushöhlt – und damit die Gewaltenteilung und das Gleichgewicht der Kräfte im Staat bedroht. Das Ziel ist eine Justiz nach Maß für die Macht. In Rumänien will die Regierung mehr Einfluss auf die Staatsanwaltschaft, um lästige Korruptionsermittlungen zu verhindern. In Polen soll das Justizministerium Gerichtspräsidenten nach Belieben abberufen können. In Ungarn sind die Rechte des Verfassungsgerichts bereits seit der Verabschiedung der neuen Verfassung 2011 kräftig beschnitten.
Um die Presse- und Meinungsfreiheit ist es eher schlecht bestellt. Ob bei EU-Anwärtern wie Montenegro und Serbien oder EU-Mitgliedern wie Bulgarien, Polen und Ungarn: Die Kontrollbegehrlichkeiten der Macht gehen längst über die von den Regierungen gleichgeschalteten öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen oder staatlichen Nachrichtenagenturen hinaus. Mit dem Entzug staatlicher Anzeigenaufträge wird die ohnehin schwächelnde Presse gefügig gemacht, mit Lizenzvergaben und Übernahmen durch regierungsnahe Investoren selbst einstige Oppositionssender auf Linie gebracht.
»The winner takes it all« – oder anders gesagt: die Mehrheit kann schalten und walten, wie sie will, scheint das Grundprinzip vieler Machthaber. Entweder werden lästige Kontrollorgane wie Ombudsmänner, Datenschutzbeauftrage oder Rundfunkräte negiert – oder mit hörigen Gefolgsleuten besetzt. Der Opposition werden notfalls Mikrofone abgedreht, der Zugang zu den vom Staat kontrollierten Medien beschränkt – oder Untersuchungsausschüsse verweigert.
Auf die fortgesetzten Verstöße Budapests und Warschaus gegen EUPrinzipien reagiert Brüssel wie ein beleidigt-besorgter, aber überforderter Oberlehrer: Empörte Warnungen gehen mit eher hilflosen und jahrelangen Strafverfahren gepaart. Denn die nun gegen Polen angedrohte Höchststrafe, den Klassen- oder Schulrauswurf in Form des Verlusts des EUStimmrechts, vermag Brüssel kaum zu vollziehen. Zum einen können sich die beiden EU-Störenfriede Ungarn und Polen ihrer gegenseitigen Veto-Hilfe sicher sein. Zum anderen kann Un- garns Regierungschef Viktor Orban noch immer auf den Rückhalt konservativer Schwesterparteien in den Reihen der EVP bauen. Wer einmal im EU-Klub ist, scheint kaum etwas zu befürchten müssen, so die folgerichtige Erkenntnis.
Die demokratische Aufbruchstimmung von 1989 ist in Mittel- und Osteuropa völlig verflogen. Das heftige Tauziehen um die beabsichtige Zähmung der rumänischen Justiz und die Massendemonstrationen zu Jahresbeginn sind jedoch auch ein Indiz, dass viele Rumänen keineswegs mehr zum Parteienfilz und in den Korruptionssumpf der 90er und 2000er Jahre zurückkehren wollen.