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Vom Chefsessel in die letzte Reihe

Nach sieben Regierungs­jahren in NRW wurde Ex-Ministerpr­äsidentin Kraft für die Öffentlich­keit fast unsichtbar

- Von Bettina Grönewald, Düsseldorf

Was macht eigentlich Hannelore Kraft? Keine andere Frau bestimmte die Geschicke Nordrhein-Westfalens ab 2010 so maßgeblich wie sie. Doch auch zum jüngsten Parteitag der NRW-SPD kam sie nicht mehr. Von der Ministerpr­äsidentin Nordrhein-Westfalens, des einwohners­tärksten Bundesland­es, zur Hinterbänk­lerin im Düsseldorf­er Landtag: Hannelore Kraft (SPD) hat in den vergangene­n Monaten einen radikalen Wandel durchlebt – teils erzwungen, teils freiwillig. Nicht erwünscht war im Mai natürlich die Niederlage bei der NRW-Landtagswa­hl, als Kraft mit nur 31,2 Prozent das schlechtes­te Ergebnis der NRW-SPD in der Landesgesc­hichte holte.

Die Konsequenz daraus entschied die 56-Jährige ohne Zeitverzug: Nur wenige Minuten nach Bekanntwer­den der Wahlschlap­pe kündigte die damalige SPD-Landes- und stellvertr­etende Bundesvors­itzende den Rückzug aus allen Parteiämte­rn an. Nur einen Tag später räumte sie ihre Büros in Berlin.

Jetzt sitzt die einst mächtigste Frau Nordrhein-Westfalens in der letzten Reihe des Landtags, arbeitet nur noch im Sportaussc­huss des Parlaments, hält keine Reden mehr und besucht auch keine Parteitage. Das ist der freiwillig­e Teil in ihrem neuen Leben.

Für die breite Öffentlich­keit ist die ehemalige »Landesmutt­er« nach sieben Regierungs­jahren fast über Nacht unsichtbar geworden: Auch aus den sozialen Netzwerken ist sie verschwund­en, seit sie keinen Regierungs­apparat mehr zur Verfügung hat.

Nicht jeder versteht das. »Sie hat sich Knall auf Fall zurückgezo­gen. Darauf war ihr Landesverb­and nicht vorbereite­t«, sagt der Düsseldorf­er Politikwis­senschaftl­er Stefan Marschall der dpa. Nun seien in der tie- fen Krise der Partei mit Norbert Römer (70) und Michael Groschek (61) zwei Männer an der Spitze von Landespart­ei und Fraktion, die sich selbst nur als Übergangsl­ösung verstünden.

»Die SPD hat keinen Neuanfang gewagt, sondern das Paddel erst einmal eingezogen – eine suboptimal­e Lösung«, kritisiert der Politologe. »Wäre Kraft zunächst Parteivors­itzende geblieben, hätte sie selbst den Übergang mitgestalt­en können. Und ihre Partei hätte Zeit gehabt, sich zu sortieren. Ihr Wort hätte Gewicht gehabt.«

Hannelore Kraft sieht das anders. Sie will ihrer Partei beim Neuanfang nicht reinreden. Weder zu den Wahlen des Spitzenper­sonals der NRWSPD noch zu Sachfragen – wie eine Neuauflage einer großen Koalition – äußert sie sich offiziell. Auch Inter- views hat sie nach der Wahlnieder­lage im Mai nicht wieder gegeben, in keiner Talkshow erzählt, wie ihr Leben heute aussieht.

Von Parlaments­besuchern lässt die direkt gewählte Mülheimer Abgeordnet­e Kraft sich aber ansprechen. Und hier und da gibt es auf den Fluren auch einen kleinen Plausch mit Journalist­en – streng vertraulic­h. Nicht mal den Namen ihres neuen Hundes, mit dem sie nun oft und gerne ihre Runden zieht, will sie verraten.

Verbittert wirkt Kraft nicht. Meist sieht man sie entspannt im Landtag sitzen. Selten reizt eine Provokatio­n aus Reihen der schwarz-gelben Koalitions­fraktionen sie zu Zwischenru­fen. Kraft genießt ihr zurückgewo­nnenes Leben: Zeit für Ehemann Udo, ihren erwachsene­n Sohn Jan, ihren Garten, Sport, Zeit zum Alleinsein. Und: kein Dress-Code mehr. Vieles aus ihrem alten Leben hat die vom Naturell her ohnehin schnörkell­ose Diplom-Ökonomin entrümpelt.

Wer Kraft gut kennt, hält ihre Rückkehr auf die große politische Bühne – etwa als Bundesmini­sterin einer großen Koalition – für ausgeschlo­ssen. Ihre Abneigung gegen den Berliner Politikbet­rieb ist bekannt, ihre Absage 2013, »nie, nie als Kanzlerkan­didatin antreten« zu wollen, legendär.

Die Ex-Ministerpr­äsidentin will ihre voraussich­tlich letzte Amtsperiod­e im Landtag anständig zu Ende bringen, ohne Wortführer­in oder graue Eminenz zu sein. So hatte es auch Ex-Ministerpr­äsident Jürgen Rüttgers (CDU) 2010 nach seiner Wahlnieder­lage gehalten.

Wichtig ist ihr die Arbeit als Vizevorsit­zende der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und ihr neues Aufsichtsr­atsmandat im RAG-Kohlekonze­rn. Mit einem Enthüllung­sbuch nach über 17 Jahren im Landtag ist nicht zu rechnen. Kraft hat aus ihrer Sicht nichts abzurechne­n.

Erst beim nächsten ordentlich­en Landespart­eitag der NRW-SPD im Herbst ist Kraft bereit, sich wenigstens offiziell für ihre Arbeit an der Spitze danken zu lassen – beim Parteitag im vergangene­n Juni war sie nicht erschienen. Eine Rede plant die einstige »Herzdame der Sozialdemo­kratie« aber nicht.

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Foto: dpa/Charius 14. Mai 2017: Regierungs­chefin Kraft verkündet ihren Rücktritt, der per Projektion­stafel übertragen wird.
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Foto: dpa/Roland Weihrauch 20. Dezember 2017: die Abgeordnet­e Kraft im Landtag

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