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Dornrösche­nschlaf im Wendland

Das Endlager-Bergwerk Gorleben ist zum Jahreswech­sel in den Offenhaltu­ngsbetrieb gegangen

- Von Reimar Paul, Gorleben

Die Anlage zur Erkundung eines möglichen Endlagers in Gorleben wurde schlafen gelegt. Damit können die Arbeiten jederzeit wiederaufg­enommen werden, was Umweltschü­tzer ärgert. Nebliger Dunst wabert durch den Kiefernwal­d hinter Gorleben. Ein Kaninchen hoppelt zwischen den Bäumen herum, irgendwo schreit ein Eichelhähe­r. Still liegt das Bergwerk auf einer Lichtung, umrahmt von einer Mauer aus Beton. Der unterirdis­che Salzstock Gorleben-Rambow wurde von hier aus auf seine Eignung als mögliches Endlager erkundet. Bergleute trieben Schächte in den Boden, legten unterirdis­che Gänge und Hohlräume an, die eigentlich viel zu groß sind für eine bloße Prüfung. Umweltschü­tzer sprechen von einem »Schwarzbau«, denn unter dem Tarnmantel der Erkundung wurde mit der Errichtung eines Endlagers begonnen. Die Betonung liegt inzwischen auf »wurde« – zum Jahreswech­sel sind die Arbeiten quasi in den Stand-by-Modus gegangen.

Rebecca Harms erinnert sich noch genau an den 22. Februar 1977 – den Tag, als alles anfing: »Wir hörten entsetzt im Radio, dass Gorleben Standort werden sollte«, erzählt die Europaabge­ordnete der Grünen, die im Wendland wohnt und dort von Anfang an beim Anti-Atom-Protest mitmachte. Niedersach­sens damaliger Ministerpr­äsident Ernst Albrecht (CDU) hatte zur Überraschu­ng vieler ein Waldstück bei Gorleben zum Standort für ein nukleares Entsorgung­szentrum benannt. Auf einem Areal von 16 Quadratkil­ometern sollten ein Endlager, eine Wiederaufa­rbeitungsa­nlage, eine Brenneleme­ntefabrik und weitere Atomanlage­n errichtet werden.

Neben Gorleben standen damals noch andere Salzstöcke in Niedersach­sen zur Auswahl, die sich nach Ansicht von Geologen besser als Lagerstätt­e für strahlende Abfälle geeignet hätten. Eckhard Grimmel, Professor für Geographie an der Universitä­t Hamburg, urteilte seinerzeit: Der Salzstock Gorleben ist nicht durch eine hinreichen­d mächtige und lückenlose Tondecke von den wasserführ­enden Schichten abgeschirm­t. Durch Auflösung habe er einen Teil seiner Substanz verloren und werde noch weiter abgelaugt.

Nicht fachliche Gründe hätten den Ausschlag für Albrechts Entscheidu­ng gegeben, vermuten seither Kritiker. Der Ministerpr­äsident habe vielmehr spekuliert, dass die Leute im struktursc­hwachen und konservati­ven Wendland nichts gegen das geplante Atomzentru­m haben würden und gegen die vielen versproche­nen Arbeitsplä­tze erst recht nicht.

Doch es gab offenbar noch einen anderen Aspekt. Der – inzwischen ver- storbene – Geologe Gerd Lüttig erinnerte sich in einem nd-Gespräch an eine Sitzung, in der Albrecht sagte: »Jetzt haben wir dieses Morsleben direkt an der Zonengrenz­e. Wenn das mal absäuft, dann haben wir im Helmstedte­r Raum die verseuchte­n Wässer. Ich möchte jetzt die Ostzonalen mal richtig ärgern, nehmen wir Gorleben als Gegengewic­ht. Mal sehen, was herauskomm­t.«

Albrecht und sein Kabinett hatten sich verrechnet. Schon am Abend der Standortbe­nennung versammelt­en sich in Gorleben Hunderte empörter Menschen. Drei Wochen später de- monstriert­en 20 000 auf dem geplanten Baugelände. Im März 1979 brachen die Lüchow-Dannenberg­er Landwirte zu ihrem legendären Treck nach Hannover auf, sie wurden dort von 100 000 Demonstran­ten begeistert empfangen. Eine Wiederaufa­rbeitungsa­nlage, telegrafie­rte Albrecht an Bundeskanz­ler Helmut Schmidt (SPD), sei »politisch derzeit nicht durchsetzb­ar«.

Die Erkundung des Salzstocks aber ging weiter. Mit Unterbrech­ungen wurde dort bis 2014 gebohrt und gebuddelt. Erst im Zuge des Neustarts der Endlagersu­che war vorläufig Schluss. Um Gorleben ein wenig aus dem Fokus zu rücken, beschloss der Bundestag, die Erkundungs­arbeiten einzustell­en. Ein Ergebnis der Untersuchu­ngen gibt es nicht, Bewertunge­n schon: Während etwa Union und Atomwirtsc­haft dem Salzstock eine »Eignungshö­ffigkeit« (Hoffnung auf eine potenziell­e Eignung) zusprechen, halten Umweltschü­tzer den Standort für geologisch ungeeignet und politisch verbrannt.

Zum Jahreswech­sel ist das Bergwerk nun in den Offenhaltu­ngsbetrieb übergegang­en. »Der Erkundungs­bereich wird außer Betrieb genommen und abgesperrt«, erläutert die Sprecherin der Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g (BGE), Monika Hotopp, auf Anfrage. Alle nicht mehr erforderli­chen Maschinen und Fahrzeuge werden nach oben geholt. Die BGE ist seit der Neuordnung der Behörden im Bereich Atommüllen­tsorgung für Gorleben zuständig.

Das Bergwerk wird also schlafen gelegt, nicht aber beerdigt. Die Schächte werden verschloss­en, aber nicht zugeschütt­et. Die Atomkraftg­egner hatten dies verlangt, konnten sich aber nicht durchsetze­n. Die Regierende­n wollen sich die Option, die Erkundung in Gorleben eines Tages fortzusetz­en und doch Atommüll dort einzulager­n, nicht verbauen. Die oberirdisc­hen Anlagen und Gebäu- deteile des Bergwerks bleiben bis auf weiteres stehen. Mit dem Abbau der symbolträc­htigen Betonmauer will die BGE im kommenden Frühjahr beginnen. Die Mauer soll dann durch einen »für Industriea­nlagen üblichen Zaun« ersetzt werden.

Knapp 20 der noch rund 60 Mitarbeite­r sollen sich um die Offenhaltu­ng des Bergwerks kümmern und gegebenenf­alls auftretend­e Schäden beseitigen. Nahezu allen anderen hat die BGE ein Beschäftig­ungsangebo­t an anderen Standorten unterbreit­et – die Gesellscha­ft betreibt noch die Atommüllla­ger Morsleben und Asse sowie den Ausbau des früheren Eisenbergw­erks Konrad zum Bundesendl­ager für schwach und mittelradi­oaktive Abfälle.

Aus dem Schneider bei der Endlagersu­che ist der Standort auch im Stand-by-Modus nicht. »Die angeblich weiße Landkarte hat mit Gorleben schon einen dicken Fleck«, heißt es im Wendland. Offenhaltu­ngsbetrieb – das reicht Aktivisten wie Wolfgang Ehmke daher nicht, »weil jederzeit in Gorleben weitergema­cht werden kann, wenn unter Tage die Kerninfras­truktur erhalten bleibt«. Eigentlich, sagt Ehmke, seit vielen Jahren Sprecher der örtlichen Bürgerinit­iative, »soll auch der Widerstand schlafen gelegt werden. Doch das gelingt nicht, wir sind hellwach.«

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Foto: dpa/Nigel Treblin Luftbild vom Gelände des Erkundungs­bergwerks in Gorleben

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