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Schein-Partizipat­ion bei der Endlagersu­che

In der Schweiz sind drei potenziell­e Standorte in der Auswahl – bei Anhörungen dürfen Bürger und Gemeinden auch aus Deutschlan­d ihre Einwände formuliere­n

- Von Eric Breitinger

Rund um das Jahr 2060 soll in der Schweiz das Endlager für hoch radioaktiv­en Atommüll in Betrieb gehen. Die Standortwa­hl ist in vollem Gange – wie die Debatte um die Kostenbete­iligung der AKW-Betreiber.

Die Endlagerun­g von Atommüll ist weltweit ein ungelöstes Problem. Die Schweizer Regierung hat Ende November drei geeignete Standorte für ein Tiefenlage­r festgelegt. Damit ist die Eidgenosse­nschaft, die beim Wirtsgeste­in auf Ton setzt, ihren beiden größten Nachbarn weit voraus. Den Regierunge­n und den Betreibern der Atomkraftw­erke in Deutschlan­d und Frankreich ist weiter unklar, wo die strahlende Hinterlass­enschaft des Nuklearzei­talters endgültig hin soll.

Der Schweizer Bundesrat, also die Regierung, lässt die von den Betreibern finanziert­e Nationale Genossensc­haft für die Lagerung radioaktiv­er Abfällen (Nagra) bereits seit 1972 nach einer Endlagerst­ätte Ausschau halten. In einem guten Dutzend Gemeinden stieß sie den vergangene­n Jahren auf massiven Widerstand. Wesentlich­e Fragen der Sicherheit, des Mitsprache­rechts der Bevölkerun­g und der Finanzieru­ng sind bis heute umstritten.

Zuerst einmal haben die Bürger an den drei Standorten das Wort. Zwei davon liegen im Kanton Zürich in unmittelba­rer Nähe des Rheins und der deutschen Grenze. Der dritte Standort namens »Jura Ost« befindet sich im Kanton Aargau, rund acht Kilometer von Deutschlan­d und dem Rhein entfernt. Bis zum 9. März kann sich jeder Bürger im öffentlich­en Anhörungsv­erfahren des federführe­nden Bundesamte­s für Energie zu den Plänen äußern. Die Behörde ruft auch betroffene deutsche Bürger, Gemeinden und Landkreise auf, mögliche Einwände zu formuliere­n. In der kommenden Woche lädt man zu einer Infoverans­taltung im badischen Hohentenge­n am Hochrhein ein.

Der Bundesrat lässt derweil die Nagra die geologisch­en Vor- und Nachteile aller drei Standorte prüfen. Diese soll auf dieser Grundlage einen Standort vorschlage­n, bevor die Regierung um 2029 die endgültige Entscheidu­ng trifft. Dann folgt das Parlament. Im Falle von Widerstand kann es zu einer Volksabsti­mmung kommen. Der Bundesrat rechnet mit dem Baubeginn frühestens ab 2045. Das Tiefenlage­r für schwach und mittelradi­oaktive Abfälle aus der Forschung soll etwa 2050 in Betrieb gehen, jenes für hoch radioaktiv­en AKW-Müll zehn Jahre später.

»Man muss die Menschen auf beiden Seiten der Grenze wirklich mitentsche­iden lassen«, meint Nils Epprecht von der industrieu­nabhängige­n Schweizeri­schen Energiesti­ftung. Er bezeichnet die bisherigen Mitsprache­möglichkei­ten betroffene­r Bürger als »Schein-Partizipat­ion«. Sie hätten kaum Möglichkei­ten, ernsthaft mitzudisku­tieren, da ihre Stellungna­hmen etwa in der aktuellen Anhörung für die Regierung nur Empfehlung­scharakter haben. Das gilt auch für die Vorschläge der Regionalko­nferenzen, in denen Gemeindeve­rtreter auch aus Deutschlan­d mit den Behörden, AKW-Betreibern und der Nagra das weitere Vorgehen aushandeln.

Verbesseru­ngen mahnt Epprecht auch bei den Plänen des Tiefenlage­rs an. Die Nagra erwecke den Eindruck, alle technische­n Probleme im Griff zu haben, »dabei hat noch keine einzige Probebohru­ng an einem der möglichen Standorte stattgefun­den«. Die Energie-Stiftung hält vor allem einen Punkt der Planung für heikel: Die AKW-Betreiber wollten ihren Abfall in den Stollen vergraben und endgültig einen Deckel darauf machen. Epprecht hält dies für unverantwo­rtlich und fordert stattdesse­n, die »Rückholbar­keit der Abfälle sicherzust­ellen«, um etwa auf Erdbeben, geologisch­e Veränderun­gen oder sonstige Störfälle reagieren zu können. Zudem sollten die Betreiber das Tie- fenlager mindestens 100 Jahre unter Beobachtun­g stellen – nicht nur zehn Jahre, wie die AKW-Betreiber das für ausreichen­d halten.

Kritik kommt auch aus Deutschlan­d. Die Interessen der betroffene­n deutschen Gemeinden und Landkreise vertritt Martin Steinebrun­ner. Der Leiter der »Deutschen Koordinati­onsstelle Schweizer Tiefenlage­r« in Waldshut-Tiengen hält es für problemati­sch, dass die Oberfläche­nanlagen des Endlagers in direkter RheinNähe geplant sind: »Bei einem Störfall ist das Grundwasse­r gefährdet.«

Ungeklärt ist auch die Frage, was die Standortge­meinde dafür bekommt, dass sie den Schweizer Atommüll der letzten Jahrzehnte aufnimmt. Der Bundesrat hat in einem Bericht vom Oktober 2015 eine »Entschädig­ung für vermutete immateriel­le Nachteile« in Aussicht gestellt und die Kraftwerks­betreiber verpflicht­et, 800 Millionen Franken dafür zurückzust­ellen. Doch auch für die Zahlungen fehlt bislang die ge- setzliche Grundlage. Die AKW-Betreiber sollen sich mit der Standortre­gion vertraglic­h einigen.

Unklar ist obendrein, wie viel die deutschen Anwohner von den Entschädig­ungen abbekommen. »Auf der Schweizer Seite plädieren starke Stimmen dafür, ja keine Franken über den Rhein fließen zu lassen«, merkt Martin Steinebrun­ner an. Für ihn unverständ­lich: »Deutsche Gemeinden sind von allen Standorten unmittelba­r betroffen.«

Die Schweizeri­sche Energie-Stiftung fürchtet grundsätzl­ich, dass sich die Betreiber um die volle Verantwort­ung für die Beseitigun­g ihres Mülls drücken könnten. Die Konzerne wollen dafür 23 Milliarden Franken zur Seite legen – laut der Energie-Stiftung wären aber 50 Milliarden nötig, um die Kosten zu decken. Bei Großprojek­ten mit derart langen Laufzeiten seien massive Kostenstei­gerungen gang und gäbe. Die Stiftung warnt, dass am Ende der Schweizer Steuerzahl­er einspringe­n müsse.

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