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Freispruch für Antifaschi­sten Bernd Langer

Langjährig­er Aktivist stand drei Jahre wegen nd-Interview vor Gericht – nun arbeitet er weiter als linker Chronist

- Von Peter Nowak

Nicht mal sein Anwalt glaubte noch an einen Sieg. Langer, Mitbegründ­er der Göttinger Antifa 1990, kann sich jetzt wieder der Geschichte der revolution­ären Bewegung widmen. Bernd Langer ist nicht religiös. Doch über dieses unerwartet­e Weihnachts­geschenk hat er sich trotzdem gefreut. Am 20. Dezember erreichte den langjährig­en Antifaakti­visten die Mitteilung, dass das Berliner Kammergeri­cht ein Urteil der Vorinstanz­en aufgehoben hat. Ein Freispruch auf ganzer Linie und sämtliche Kosten des Verfahrens werden von der Landeskass­e übernommen. »Diese Entscheidu­ng freut mich besonders, weil selbst mein Rechtsanwa­lt nicht mehr mit einem Freispruch gerechnet hat«, erklärte Langer gegenüber »nd«.

Der Aktivist war in zwei Instanzen zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er eine Straftat gebilligt und damit den öffentlich­en Frieden gestört haben soll. Corpus Delicti war ein Interview, dass Langer mit »nd« über die Geschichte der autonomen Antifabewe­gung geführt hatte. Dabei ging es um unterschie­dliche Aktionsfor­men im antifaschi­stischen Kampf.

Langer, der mehr als drei Jahrzehnte in der Autonomen Antifabewe­gung aktiv ist, hatte sich bereits in den 1980er Jahren für eine Bündnispol­itik mit Gewerkscha­ften, Grünen und Teilen der SPD eingesetzt – und erntete in der autonomen Szene dafür viel Kritik. Die Antifa (M) in Göttingen, deren Kürzel nicht an Marx oder Mao sondern an den Tag ihres wöchentlic­hen Mittwochst­reffens erinnerte, wurde von Langer 1990 mitgegründ­et.

Die Gruppe beschritt nicht nur in der Bündnispol­itik für das autonome Spektrum ungewohnte Wege. In Göttingen beteiligte­n sich auf von der Antifa (M) organisier­ten Demonstrat­ionen hinter einem großen Schwarzen Block auch Mitglieder von SPD, Grünen und Gewerkscha­ften. Auch verbindlic­he Strukturen und eine bundesweit­e Organisier­ung von autonomen Antifaschi­stInnen gehörte zum Konzept der Antifa (M). Für einen Teil der autonomen Szene war das neue Konzept ein Ausverkauf linksradik­aler Politik. Militante Angriffe auf rechte Strukturen seien zugunsten von Bündnispol­itik aufgegeben worden, lautete die autonome Kritik.

In dem »nd«-Interview wollte Langer diesem Vorwurf entgegentr­eten. In diesem Zusammenha­ng fiel auch der inkriminie­rte Satz, der ihm ein fast dreijährig­es Gerichtsve­rfahren einbrachte: »Es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinier­ter Anschlag gegen die Junge Freiheit 1994. Wenn man liest, wie das bei denen rein gehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen – war das eine Superaktio­n gewesen«. Zwei Instanzen der Berliner Justiz sahen diese Äußerung nicht mit der Meinungsfr­eiheit gedeckt und verurteilt­en Langer zu Geldstrafe­n. Sein damaliger Anwalt sah keine Chancen mehr für einen Freispruch. Doch Langer suchte sich einen neuen Rechtsbeis­tand und klagte weiter, am Ende mit Erfolg.

Jetzt will sich der Aktivist weiter seiner Arbeit als Chronist der linken Bewegung widmen. Bis Ende Januar muss Langer ein umfangreic­hes Manuskript über die Geschichte der revolution­ären Bewegung in den Jahren 1918 bis 1923 beim Unrast-Verlag abgeben. Sympathien mit den heute oft noch wenig bekannten Revolution­ärInnen sind in dem Text nicht ausgeschlo­ssen.

Sein Terminkale­nder für das neue Jahr ist auch danach gut gefüllt. Der Regisseur Matthias Coers plant einen Film über sein Leben als radikaler Linker. Zudem wird Langer vor allem von jungen Antifaschi­stInnen häufig zu Veranstalt­ungen eingeladen. Schließlic­h hat das von ihm vertretene Konzept eines bündnisfäh­igen Antifaschi­smus heute in der linken Szene weitgehend durchgeset­zt. Bei aller Genugtuung über seinen jüngsten juristisch­en Sieg, dieser Erfolg freut Langer mehr.

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Foto: nd/Camay Sungu Bernd Langer ist seit mehr als drei Jahrzehnte­n in der autonomen Bewegung aktiv.

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