Das Bauhaus Dessau tanzt dem Jubiläum entgegen.
Der 100. Jahrestag einer einzigartigen avantgardistischen Institution rückt näher
Das von Oskar Schlemmer entwickelte Triadische Ballett hat heute angesichts der alles beherrschenden Digitaltechnologien und der Computerisierung aller Lebensbereiche nichts an Brisanz verloren.
Wer an Bauhaus denkt, denkt an Architektur und Design. Aber nicht nur Häuser, Stühle, Tische schuf das die Institution in Dessau, die 2019 ein stolzes Jubiläum feiert, sondern auch den »Tänzermenschen«. Die von Walter Gropius 1919 in Weimar gegründete Architektur- und Designschule einte herausragende Architekten, Künstler, Handwerker und Gestalter. Sechs Jahre später, als die »nationalsozialistische« Welle nach Thüringen kam, siedelte das Bauhaus aus politischen Gründen von Weimar nach Dessau. Die aufkommende NS-Ideologie stempelte die experimentierfreudige Bauhaus-Bewegung als dekadent ab. Anfang der 1930er Jahre wurde es durch die Nazis in Dessau aufgelöst.
Die sieben Blütejahre des Bauhauses als Wirkungsstätte und Ikone der Moderne finden hohe internationale Beachtung. Hunderttausend Besucher kommen jährlich aus der gesamten Welt nach Dessau. Das Bauhaus als Denkmal wird genutzt für Bühnenexperimente, Projekte mit Hochschulen, als Bauhausforschungsarchiv und für Bauhausfeste.
Talentschmiede der Moderne
Als Ort der Avantgarde steht das weltweit berühmte Gebäude der Hochschule für Gestaltung und Moderne bis heute. Hier lebten Walter Gropius, Paul Klee, Johannes Itten, Vassily Kandinsky, Lionel Femininer, Oskar Schlemmer und viele weitere Bauhäusler in einer fruchtbaren Gemeinschaft zusammen. Die Künstler versuchten, freie und angewandte Kunst miteinander zu verbinden. Ornamentlos, funktional, schlicht, klar an geometrischen Grundformen orientiert, präsentieren sich die Bauten und Objekte. Die Häuser, die Walter Gropius und sein Nachfolger, der Architekt Ludwig Mies van der Rohe, schufen, glichen Würfeln aus Stahl, Beton, Glas. Die Wände weiß gekalkt, die Fassade ohne jegliche Schnörkelei. Wichtig waren Licht, Luft und Sonne, und ein preiswertes Wohnen.
Vom Luxus zum Volksbedarf
Die in Dessau ansässigen Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG haben jede Menge Arbeitsplätze verschleppt. Doch erschwinglicher Wohnraum war knapp. So entstand im Auftrag der Stadt Dessau und im Rahmen des Reichsheimstättengesetzes die Siedlung Törten, die vom Bauhaus als Lösung für einen preisgünstigen Massenwohnungsbau konzipiert worden war.
Jedes Gebäude des Bauhauses hatte eine andere Typologie. Es gab die Eigenheime für den kleinen Mann in der Törtensiedlung, 314 Einfamilienhäuser. Die Villen, die sogenannten Meisterhäuser und die Ateliers der Künstler. Die Laubenganghäuser, Mietswohnungen. Und das historische Arbeitsamt und die Schule. So unterschiedlich die Gebäude von ihrem Anspruch und ihrer Funktion waren und sind, alle eint die großzügige Lichtgestaltung, große Fenster, industrielle Materialien sowie ein Minimalismus in der Formensprache und immer eine intelligente Nutzungsraumfolge.
Das von Walter Gropius gebaute Hochschulgebäude gilt als das Kernstück der pädagogischen Ideen des Bauhauses. »Gropius hat das Haus als Gesamtkunstwerk betrachtet, das beginnt bei den Werkstoffen, über die Raumproportionen, den Klinken, dem Zusammenspiel der Fenster innen und draußen bis hin zu den Farbnuancierungen, dem Spiel von Licht und Schatten, das ist ein in sich stimmiges Gebäude«, berichtet stolz Dr. Helga Huskamp, die Pressesprecherin der Bauhaus Stiftung. Seit zwei Jahren wohnt die Münchnerin in Dessau. »Mir persönlich gefällt an der Architektur, dass sie lebt und niemals langweilig wirkt, trotz der einfachen, minimalen Ausstattung. Heute hat man sich an diesen modernen Baustil gewöhnt. Doch als beispielsweise unser Bauhausgebäude 1924/25 errichtet wurde, waren wir von einem wilhelminischen Historismus umgeben. Zu der Zeit war es wie ein weißes Ufo, das von einem fremden Stern hier landete. Doch es hat nichts von seiner Faszination verloren.«
Ein roter Faden durch Plattenbauten
Zum 100. Bauhaus-Gründungsjahr 2019 werden alle Häuser kuratorisch neu ausgerichtet, verspricht Helga Huskamp. »Das wird eine Art Architekturausstellung, in der sich sämtliche Häuser präsentieren, die Bauhaus-Idee sich wie ein roter Faden durch die ganze Stadt ziehen wird.« Inmitten des Stadtparkes im Zentrums der ansonsten tristen Plattenbaustadt, steht ein großflächiger hölzerner Bauzaun, bemalt mit bunten Graffitis. Hier graben Bagger die Baugrube aus für das neue Museum der Stiftung Bauhaus Dessau. Keine Trutzburg von Museums werde entstehen, betont Helga Huskamp. Durch eine gläserne Struktur soll es vielmehr ein offener, transparenter moderner Bau werden. Helga Huskamp ist optimistisch. »Wir sind im Zeitplan. Es läuft alles wie am Schnürchen.« Das Museum wird dann erstmals die Schätze ihrer wertvollen Sammlung, mit über 40 000 Exponaten die zweitgrößte Bauhaus Sammlung weltweit, umfassend repräsentieren.
Mit dabei sein werden die Klassiker mit ihrer typischen Handschrift des »Bauhaus-Stils«: Lampen von Wilhelm Wagenfeld und Christian Dell, Möbel von Marcel Breuer und Erich Diekmann, Geschirr von Marianne Brandt sowie die aus Stahlrohr gefertigten Freischwinger von Mies van der Rohe, der bekanntlich auch das Revolutionsdenkmal zur Erinnerung an die 1919 ermordeten KPDFührer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin entworfen hatte, das 1935 von den Nazis vollkommen zerstört wurde.
Die »Maschinentänzer«, tänzerische Mathematik
Wenig bekannt ist, dass im Bauhaus auch darstellendes Theater geboten und seltsame tanzende Gestalten geschaffen wurden. Oskar Schlemmer suchte nach dem neuen Menschen in einem neuen technisierten Zeitalter. Sein Triadisches Ballett, konzeptionell bereits 1912 in Stuttgart zusammen mit den Tänzern Albert Burger und Elsa Hötzel entwickelt und unterm Dach des Bauhauses perfektioniert, hat heute angesichts der alles beherrschenden Digitaltechnologien und der Computerisierung aller Lebensbereiche nichts an Brisanz verloren.
Kein Spitzentanz, kein Pas de deux. Eher etwas komisch und grotesk mu- ten Schlemmers Tänzer an: dicke Kugelbäuche. Drahtreifen drum herum, gepolsterte Beine, Röhren als Arme, quadratische Oberkörper und zylindrischer Hälse. So sahen sie aus, die abstrakten Figurinen des Triadischen Balletts auf der von Schlemmer geleiteten Bauhausbühne. Befremdlich kamen sie daher, die handlungslosen Kostümtänze. Mit Stäben, Rädern, Kegeln und Kugeln führten sie mechanisch harte Bewegungen aus, wie Roboter. Die Kostüme waren aus Holz, Draht, Leder, Aluminiumfolie und Celluloid gefertigt. Pantomimisch erkundeten die Tänzer Formen, Materialien und den Raum. Ih- re einfachen, geometrisch geschnittenen Kostüme veränderten Proportionen und Bewegungsmöglichkeiten, machten die Verbindung zwischen Mensch und dem materiellem Raum sichtbar.
Schlemmer war begeistert von der korrespondierenden Beziehung zwischen »Mensch im Raum«, dem Raum, der am besten durch den Tanz erlebbar wird. Er erforschte die mathematische Ordnung, die Geometrie, welche nicht nur dem Raum, auch dem menschlichen Körper zu Grunde liegt, wie er glaubte. Für ihn hatte das Mechanische sowohl etwas Bedrohliches als auch eine gewisse Anmut, die der Mensch auch bei maschineller Bewegung zu verkörpern vermöge. »Maschinentänzer« nannte man die Darsteller seines Triadischen Balletts.
Raumtanz, Gestentanz oder Formentanz, Metalltanz, Glastanz, Reifentanz, Stäbetanz und vieles mehr offerierte die Bauhausbühne. Schlemmer wollte jedoch nicht die Bühne mechanisieren, um der Maschine zu huldigen, sondern um sie durch eine metaphysische Verwandlung zu überwinden. In der Sorge darum, dass Maschinen das Menschliche bedrohen könnten, suchte er nach dem Idealbild eines modernen Menschen, der sich nicht durch den Fortschritt mechanisieren lasse und seine Träume und Visionen nicht verliere.
Echter Sinn für das Spiel und das Wunder
Karl Marx beschrieb in seinem ersten Band des »Kapitals«, dass die Arbeit an den Maschinen »das vielschichtige Spiel der Muskeln unterdrücke und alle freie geistige Tätigkeit konfisziere«. Schrittweise verinnerlichte der Mensch Technik, Logikistik, Automatisierung. Torsten Blume, wissenschaftlicher und künstlerischer Mitarbeiter am Bauhaus, ist mit der historischen Bauhausbühne vertraut und entwickelt selbst neue experimentelle Projekte. »So wie in den Fabriken die Maschinen den Arbeiter dazu herausfordern, sich ihrem Takt und Rhythmus anzupassen, verlangten Schlemmers Kostüme, Requisiten und Bewegungsreglements, dass sich die Tänzer ihnen nicht nur unterordnen, sondern sich der ›Mechanik‹ mit Empathie hingeben«, sagt er.
Schlemmer war einerseits fasziniert von den Möglichkeiten des technischen Fortschritts, »die Präzisionsmaschinen, die wissenschaftlichen Apparate aus Glas und Metall, die künstlichen Glieder der Chirurgie«. Andererseits war er in Sorge. »Die materialistisch-praktische Zeit hat in Wahrheit den echten Sinn für das Spiel und das Wunder verloren.«
Blume sieht den Sinn darin, nicht selbst so zu werden wie Maschinen oder Gliederpuppen, sondern diese als Modelle des sich Ausprobierens und Gestaltwandels zu nutzen und immer wieder neue Bewegungsmuster zu entdecken. »Es ging Schlemmer weniger um Choreografie, sondern um ein Erfinden von Bewegung zwischen Struktur und Improvisation«, erläutert Blume. »Ihm war der forschende Aspekt sehr wichtig, das Körperwissen, also wie eine Bewegung wirkt oder was sie verändert, auch zu reflektieren, zu begreifen und zu teilen.«