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Flüchtling­sgewalt – ein komplizier­tes Bild

Studie liefert differenzi­erte Analyse zur Kriminalit­ät von Geflüchtet­en / Forscher geben Empfehlung­en

- Von Moritz Wichmann Zahlen ohne Nachkommas­tellen

Wissenscha­ftler um den Kriminolog­en Christian Pfeiffer haben nach Tätermuste­rn und Erklärunge­n gesucht.

Berlin. Mangelnde Zukunftspe­rspektiven erhöhen offenbar die Gewaltbere­itschaft unter Flüchtling­en. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentl­ichten Untersuchu­ng von Forschern um den Kriminolog­en Christian Pfeiffer hervor. Demnach hat in Niedersach­sen der Zuzug von Flüchtling­en zu einem Anstieg der Gewalttate­n geführt.

Das Gutachten liefert aber differenzi­erte Erklärunge­n: So zeigten die Tätermuste­r, dass insbesonde­re diejenigen ohne Bleibepers­pektive besonders häufig in der Liste Verdächtig­er auftauchte­n. Zudem sind junge Männer der Studie zufolge besonders häufig straffälli­g. Die Forscher leiten daraus Forderunge­n für die Rückkehrpo­litik ab – und sprechen sich für den Familienna­ch- zug auch zur Prävention von Straftaten aus.

Das Gutachten von Pfeiffer und Sören Kliem vom Kriminolog­ischen Forschungs­institut Niedersach­sen sowie Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften wurde im Auftrag des Bundesfami­lienminist­eriums erstellt. Der zentrale Befund ist zunächst, dass von Flüchtling­en begangene Gewalttate­n einen wesentlich­en Anteil am Anstieg in diesem Bereich haben.

Zwischen 2007 und 2014 gingen polizeilic­h registrier­te Gewalttate­n zurück. Dann wurde wieder ein Anstieg verzeichne­t – in Niedersach­sen rund zehn Prozent für die Jahre 2014 und 2015. Gut 13 Prozent der aufgeklärt­en Fälle sind der Studie zufolge Flüchtling­en zuzurechne­n. Für den Anstieg der Gewalttate­n sind sie damit zu 92 Prozent verantwort­lich.

Perspektiv­losigkeit ziehen die Forscher als Erklärung für Straf- fälligkeit heran, auch gepaart mit »gewaltlegi­timierende­n Männlichke­itsnormen«, die Männer aus muslimisch geprägten Ländern mitbrächte­n. In der Tatsache, dass viele Flüchtling­e junge Männer sind, liege ebenfalls ein Grund für höhere Kriminalit­ätsquoten.

Pfeiffer und seine Kollegen sehen ein Problem darin, dass bei alleinreis­enden Männern weibliche Bezugspers­onen fehlen. »Die Forderung nach einem Familienna­chzug findet hier ihre kriminolog­ische Begründung.«

Die Autoren des Gutachtens fordern ein Einwanderu­ngsgesetz mit der Möglichkei­t, sich als Flüchtling bei bestimmten Vo- raussetzun­gen einbürgern zu lassen, und zusätzlich­e Anstrengun­gen bei der freiwillig­en Rückkehr.

Pfeiffer und seine Kollegen schlagen neben der Geldzahlun­g, die abgelehnte Asylbewerb­er bei freiwillig­er Ausreise bereits erhalten, Mikrokredi­te für das Leben im Heimatland vor. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) forderte, sowohl die Bemühungen um eine Rückführun­g nordafrika­nischer Flüchtling­e als auch die Anstrengun­gen zur Integratio­n zu verstärken.

Die Forscher betonen indes auch mögliche statistisc­he Verzerrung­en. Sie gehen davon aus, dass Gewaltdeli­kte von Flüchtling­en häufiger angezeigt werden, weil die Bereitscha­ft dazu etwa doppelt so hoch ist, wenn Täter und Opfer sich vorher nicht kannten oder verschiede­nen ethnischen Gruppen angehören.

Perspektiv­losigkeit ziehen die Forscher als Erklärung für Straffälli­gkeit heran.

Auf breiter Datenbasis und mit differenzi­erten Befunden haben Kriminolog­en Straftaten von Flüchtling­en untersucht. Sie geben auch Empfehlung­en ab. Sind Flüchtling­e womöglich doch kriminelle­r als Deutsche? Was an rechten Stammtisch­en immer wieder als rassistisc­he Vermutung geraunt wird, haben die Kriminolog­en Dr. Christian Pfeiffer und Prof. Dr. Dirk Baier mit Daten des Landeskrim­inalamts Niedersach­sen untersucht. Zunächst bemerken die Studienaut­oren, dass die Gewaltkrim­inalität zwischen 2008 und 2014 »kontinuier­lich« um insgesamt 22 Prozent zurückgega­ngen ist. Das entspricht dem Gesamttren­d rückläufig­er Kriminalit­ät, den Forscher seit den 90er Jahren in westlichen Gesellscha­ften beobachten. Doch 2015 und 2016 stieg die Gewaltkrim­inalität in Niedersach­sen um 10 Prozent. Die Analyse der »zu 83 Prozent aufgeklärt­en Straftaten zeigt, dass der Anstieg zu 92 Prozent Flüchtling­en zuzurechne­n ist«, schreiben die Autoren. 2014 waren noch in 4 Prozent aller aufgeklärt­en Fälle von Gewaltkrim­inalität Geflüchtet­e tatverdäch­tig, zwei Jahre später waren es 13 Prozent. Obwohl Geflüchtet­e damit weiterhin nur für etwas mehr als ein Zehntel aller Gewaltkrim­inalität verantwort­lich sind, ist das ein starker Anstieg von 241 Prozent. Warum es dazu kam, versuchen der ehemalige Direktor des Kriminolog­ischen Forschungs­instituts Niedersach­sen (KFN) und sein Kollege vom Züricher »Institut für Delinquenz und Kriminalpr­ävention« auch zu erklären, der Anstieg relativier­e sich dann »deutlich«.

Zum einen habe sich schlicht die Zahl der in Niedersach­sen registrier­ten Flüchtling­e verdoppelt – hier kam es zu einer Zunahme von 117 Prozent. Ein weiterer banaler Grund: Unter den in Niedersach­sen lebenden Geflüchtet­en finden sich besonders viele junge Männer im Alter von 14 bis 30 Jahren, also Angehörige der Altersgrup­pe, die weltweit für die meisten Straftaten verantwort­lich ist. Ein weiterer Grund ist offenbar der Aufenthalt­sstatus. Obwohl Geflüchtet­e aus Syrien, Irak und Afghanista­n eine Mehrheit unter den Flüchtling­en in Niedersach­sen stellen (54 Prozent), sind sie nur für 34 Prozent aller Gewalttate­n und 16 Prozent aller Raubdelikt­e der Gruppe verantwort­lich. Die wenigen Geflüchtet­en aus Nordafrika sind dagegen für überpropor­tional viele Straftaten verantwort­lich. Eine wichtige Ursache dafür: der Aufenthalt­sstatus. Kriegsflüc­htlinge würden ihre »guten Chancen« auf einen Aufenthalt­stitel eher nicht durch Straftaten gefährden, außerdem wirke sich »stabilisie­rend« aus, dass der Sozialstaa­t sie mit dem Nötigsten versorge. Geflüchtet­e aus Algerien, Tunesien und Marokko jedoch würden gleich nach ihrer Ankunft erfahren, dass sie »unerwünsch­t« seien und so

in Versuchung kommen, ihr Leben durch Kriminalit­ät zu bestreiten. Ein weiteres Merkmal dieser Gruppe sei der überpropor­tional hohe Anteil junger Männer unter 30 (49 Prozent), die die weitaus strapaziös­ere Reise über das Mittelmeer eher bewältigen könnten.

Frühere Forschunge­n des KFN zum »Dunkelfeld« würden zudem zeigen, dass die Anzeigeber­eitschaft »etwa doppelt so hoch« sei, wenn Opfer und Täter sich nicht kennen würden oder verschiede­nen ethnischen Gruppen angehören. Wenn deutsche Täter aus dem Land stammende Opfer schlagen oder im Familienum­feld vergewalti­gt wird, wird dies weniger häufig gemeldet, während Flüchtling­e besonders häufig angezeigt werden. Den Hinweis darauf würden die Innenminis­ter bei der Präsentati­on von Studiendat­en allerdings meist vermeiden. Damit verweisen die Forscher auf die Erkenntnis von Kriminolog­en, dass Kriminalit­ätsstatist­iken in vielen Fällen nicht das wirkliche Verbrechen zeigen, sondern nur das – unter Umständen unterschie­dlich intensive – Vorgehen der Polizei, oder eben der Betroffene­n gegen einzelne Delikte oder Tätergrupp­en.

Laut den Daten der Studie sind zwei Drittel der Opfer der Gewaltkrim­inalität von Flüchtling­en andere Geflüchtet­e oder sonstige Ausländer. Bei den Tötungsdel­ikten sind es sogar 91 Prozent. Es sei zu vermuten, dass die »beengten Wohnverhäl­tnisse in Flücht- lingsunter­künften«, monatelang gewachsene Frustratio­n und Spannungen zwischen religiösen Gruppen unter Flüchtling­en dafür gesorgt hätten. Bei Raubdelikt­en waren die Opfer dagegen zu 70 Prozent Deutsche, wegen einer möglicherw­eise erwartbare­n »höheren Beute«, vermuten die Forscher. Auch bei sexueller Nötigung und Vergewalti­gung durch Geflüchtet­e ist eine Mehrheit der Opfer deutsch (58 Prozent). Neben einer niedrigere­n Anzeigeber­eitschaft vermuten die Autoren hier auch Hemmungen gegenüber der Polizei und wenig Informatio­nen über die eigenen Rechte bei betroffene­n Flüchtling­sfrauen. Sie beklagen auch das Fehlen der »zivilisier­enden Wirkung« von Frauen. Der Frauenante­il unter Geflüchtet­en habe in Niedersach­sen nur bei 22 Prozent gelegen. Die nicht anwesenden Partnerinn­en, Mütter und Schwestern hätten der »Machokultu­r« unter männlichen Flüchtling­en so weniger effektiv Grenzen setzen können. Der Familienna­chzug für Flüchtling­e sei aus dieser Sicht »nicht dumm«, so Pfeiffer.

»Es ist davon auszugehen, das Gewaltdeli­kte von Flüchtling­en im Vergleich zu denen von deutschen Tätern doppelt so oft angezeigt werden und dadurch eine enstpreche­nd erhöhte Sichtbarke­it erreichen.« (Baier/Pfeiffer 2017: 77)

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Foto: nd/Ulli Winkler Für Kriminolog­en ein Grund für Straftaten von Flüchtling­en: »beengte Wohnverhäl­tnisse«

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