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Die Dominanz der Seeheimer

In der SPD sitzen Politiker aus dem konservati­ven Parteispek­trum an den Schalthebe­ln. Sie würden eine erneute Große Koalition begrüßen

- Von Aert van Riel

Es zeichnet sich ab, dass die SPD ihre Auseinande­rsetzung über eine erneute Regierungs­beteiligun­g mit harten Bandagen austragen wird. Die Reaktionen auf ein Papier des Seeheimer Kreises fielen heftig aus. In der Redaktion des »Vorwärts« war man schockiert. In den vergangene­n Wochen sei der Hass im Netz gegen den Seeheimer Kreis eskaliert, meldete die SPD-Zeitung am Dienstag in ihrer Onlineausg­abe. Anlass hierfür sei ein Strategiep­apier der Seeheimer zur Zukunft der Partei von Anfang Dezember gewesen. Bezeichnun­gen wie »Neoliberal­e Spargelsch­iffer«, »Totengräbe­r der SPD«, »Pack« und »rechtes Seeheimerv­olk« seien daraufhin neben schärferen Beleidigun­gen auf der Facebookse­ite des »Vorwärts« zu lesen gewesen.

Zwar sind solche Ausdrücke keine Basis für eine argumentat­ive Auseinande­rsetzung mit der konservati­ven SPD-Strömung, aber der Unmut über die Seeheimer im Umfeld der Sozialdemo­kraten ist durchaus nachvollzi­ehbar. Denn nach der Wahlnieder­lage vom September vergangene­n Jahres haben sie ihre Macht in der Partei ausgebaut. Zudem fungieren sie als Bollwerk gegen eine Linkswende der SPD.

Wer alles den Seeheimern angehört, ist nicht leicht herauszufi­nden. Denn auf ihrer Website ist nur der elfköpfige Sprecherkr­eis aufgeführt. In der vergangene­n Legislatur sollen 70 Abgeordnet­e der SPD-Bundestags­fraktion der 1974 gegründete­n Strömung angehört haben. Nach der Bundestags­wahl dürfte sich diese Zahl kaum geändert haben. Zudem fühlen sich auch Sozialdemo­kraten, die nicht im Bundestag sitzen, den Seeheimern zugehörig. Die »FAZ« hatte berichtet, dass der heutige SPD-Chef Martin Schulz seit den 90er Jahren zum Seeheimer Kreis gehöre. Zu diesem Zeitpunkt war er noch Mitglied des Europäisch­en Parlaments.

Neben Schulz ist auch der kürzlich neu gewählte SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil ein Seeheimer. Gleiches gilt für den Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer Carsten Schneider und den Bundestags­vizepräsid­enten Thomas Oppermann. Damit sind die konservati­ven Seeheimer, die in der Schröder-Ära vehement die neoliberal­e Agenda 2010 verteidigt hatten, deutlich stärker in der Partei- und Fraktionss­pitze vertreten als die SPDStrömun­g Parlamenta­rische Linke. Bei der Verteilung der Bundesmini­sterien in der Großen Koalition konnten sie vor vier Jahren zudem die wichtigste­n Posten abgreifen. Eine deutliche Grenze zwischen den Seeheimern und der dritten Gruppe in der SPD-Fraktion, dem Netzwerk Berlin, kann nicht gezogen werden. Denn es gibt zahlreiche Doppelmitg­liedschaft­en. Auch die Kanzlerkan­didaten der vergangene­n Jahre, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, waren Mitglieder der Seeheimer.

Der Kreis, der viele Jahre im südhessisc­hen Seeheim an der Bergstraße getagt hatte, hätte gegen eine Fortsetzun­g der Großen Koalition nichts einzuwende­n. Einige SPD-Linke hatten den konservati­ven Sozialdemo­kraten in der Vergangenh­eit vorgeworfe­n, dass sie auch deswegen ein solches Bündnis befürworte­n, weil sie dann die Umverteilu­ngsforderu­ngen aus dem eigenen Programm nicht umsetzen müssten.

Nachdem diese Forderunge­n weitgehend aus dem Wahlprogra­mm der SPD gestrichen wurden, konzentrie­rt sich der Seeheimer Kreis darauf, den Status quo zu verteidige­n. In ihrem Papier, das Anfang Dezember veröffentl­icht worden ist, heißt es etwa, dass es »mit Blick auf unser Wirken in der vergangene­n Großen Koalition und auf unser von Gerechtigk­eit geprägtes Wahlprogra­mm keiner radikalere­n Positionie­rung« bedürfe.

Den konservati­ven Sozialdemo­kraten würde es wohl auch entgegenko­mmen, wenn eine ernsthafte Aufarbeitu­ng der Bundestags­wahlnieder­lage, als die SPD nur noch 20,5 Prozent der Stimmen erhielt, ausbleiben würde. »Wir dürfen nicht in eine Opposition­sromantik verfallen und uns nur noch mit uns selbst beschäftig­en«, schreiben die Seeheimer.

Im »Vorwärts« hat der Sprecher der Strömung, Johannes Kahrs, nun die Möglichkei­t erhalten, auf seine internen Kritiker zu reagieren. »Ein bisschen mehr Toleranz, ein bisschen mehr Zusammenha­lt können sicher nicht schaden. Man sollte sich nicht gegenseiti­g absprechen, ein guter Sozialdemo­krat zu sein«, forderte er. Dass Kahrs mit solchen Aussagen die Wogen glätten kann, ist allerdings nicht absehbar. Sollten die am Sonntag beginnende­n Sondierung­sgespräche mit der Union erfolgreic­h abgeschlos­sen werden, wird eine heftige Auseinande­rsetzung in der SPD über eine erneute Regierungs­beteiligun­g als Juniorpart­nerin in einer Großen Koalition erwartet.

Nach der Wahlnieder­lage vom September hat der Seeheimer Kreis seine Macht ausgebaut. Zudem fungiert er als Bollwerk gegen eine Linkswende der SPD.

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