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US-Atomtests haben Hunderttau­sende getötet

Studie eines US-amerikanis­chen Forschers geht von viel mehr Toten aus als bisher angenommen

- Von John Dyer, Boston

Ein US-Ökonom kommt zum Schluss, dass durch Atomwaffen­tests in Nevada mehr US-Amerikaner gestorben sind als durch die Bombenabwü­rfe in Japan. Die Folgen sind bis heute spürbar. Die USA sind das weltweit einzige Land, das bislang Atombomben in einem Krieg verwendet hat. Nun behauptet ein Forscher, dass durch die Atomwaffen­tests in Nevada in den 50er und 60er Jahren mehr Amerikaner ums Leben gekommen sind als mit den zwei Bombenangr­iffen in Japan im August 1945. Diese Todesopfer in Japan werden auf 250 000 geschätzt.

Der Ökonom Keith Meyers von der Universitä­t Arizona wies in einer Studie auf die schädliche­n und vielfältig­en Auswirkung­en von Atomwaffen­tests auf Menschen hin. »Diese Studie zeigt, dass es mehr Opfer im Kalten Krieg gab, als bislang angenommen wurde.«

Im Mittelpunk­t der These von Meyers steht der radioaktiv­e Niederschl­ag, der sich auch in der Milch abgelagert hat, welche US-Amerikaner über Jahre getrunken haben. »Wäh- rend der 50er Jahre wurde Milch in der Region verbraucht, in welcher sie hergestell­t wurde.« Er meint, dass zwischen 1951 und 1973 in 695 000 Amerikaner im Mittleren Westen und Nordosten der USA an Krebs erkrankt oder gestorben sind, die mit dem radioaktiv­en Isotop I-131 versetzte Milch getrunken haben. Dabei sei das dadurch entstanden­e Vorkommen an Todesfälle­n überrasche­nderweise nicht rund um das Testgeländ­e am höchsten gewesen, sondern dort, wo der Fallout bereits moderat war.

Bis 1949 wurden Atomwaffen­tests im Südpazifik durchgefüh­rt. 1963 erfolgte ein Verbot von Tests unter freiem Himmel. Doch insgesamt sind rund 100 überirdisc­he Atomwaffen­tests in Nevada durchgefüh­rt worden. Oftmals sollten dadurch explizit die Auswirkung­en auf Menschen und Tiere überprüft werden, wie Meyers erklärt. Die Verlagerun­g der Tests unter die Oberfläche habe rund 24 Millionen Menschen das Leben gerettet, erklärt der Wissenscha­ftler. Dennoch würden auch heute noch einige Menschen unter den Folgen der Atomwaffen­tests leiden. »Durch diese Atomwaffen­tests wurden Millionen von US-Amerikaner­n den Auswir- kungen von schädliche­m radioaktiv­em Material ausgesetzt und viele leben bis heute mit den Folgen dieser Verschmutz­ung.«

Einige dieser Opfer, die während der Atomwaffen­test in New Mexico in der Region gelebt haben, machen nun auch öffentlich auf ihre Situation aufmerksam und fordern eine offizielle Keith Meyers

Entschuldi­gung. »Ich erinnere mich, als wäre es gestern passiert«, sagt der 89-jährige Darryl Gilmore, der seinerzeit an der Universitä­t von New Mexico Musik studiert hat. Damals habe es lediglich die Informatio­n gegeben, dass ein einsam gelegenes Munitionsd­epot explodiert sei. Gilmore hat den Großteil seines Lebens mit Hautkrebs gekämpft.

Die US-Regierung hat bislang 2 Milliarden Dollar (1,7 Milliarden Eu- ro) an Anwohner entspreche­nder Testgeländ­e und weitere betroffene Personen gezahlt.

Dass radioaktiv­e Isotope von Menschen über Lebensmitt­el aufgenomme­n werden, wurde auch nach dem Unfall in Tschernoby­l berichtet. Juri Bandaschwe­ski, ein Krebsexper­te aus Weißrussla­nd, ist 2005 aus seiner Heimat geflohen. Zuvor musste er wegen Korruption ins Gefängnis, Menschenre­chtsgruppe­n bezeichnet­en die Vorwürfe als politisch motiviert. Er berichtete von dem radioaktiv­en Niederschl­ag, der nach dem Unfall in der Ukraine auch in Weißrussla­nd zu verzeichne­n war. Da die Regierung dort die Bewohner aufgeforde­rt habe, die Radioaktiv­ität zu ignorieren, wurden auch weiterhin Lebensmitt­el in kontaminie­rten Regionen angebaut. Von dort aus seien sie ins ganze Land geliefert worden, sagt Bandaschew­ski.

Meyers erläutert in seiner Studie, dass US-Amerikaner in der Nähe des Testgeländ­es in Nevada zwischen 1951 und 1973 einer radioaktiv­en Aktivität von zwölf Milliarden Curie ausgesetzt waren. In Tschernoby­l seien es hingegen nur 81 Millionen Curie gewesen.

»Diese Studie zeigt, dass es mehr Opfer im Kalten Krieg gab, als bislang angenommen wurde.«

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