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Gezielte Schnitte ins Erbgut

Über Fortschrit­te und Grenzen der medizinisc­hen Wissenscha­ft – ein Rückblick auf 2017

- Von Martin Koch

Auch im Jahr 2017 waren Ärzte im Kampf gegen Krankheits­keime gefordert. Daneben gab es hoffnungsv­olle Ansätze in der Krebsforsc­hung sowie riskante Eingriffe in die DNA. Wo Krieg und Terror wüten, sind häufig auch verheerend­e Epidemien die Folge. 2017 war davon insbesonde­re das Bürgerkrie­gsland Jemen betroffen. Hier kam es – von der Öffentlich­keit zunächst kaum beachtet – zum größten bekannten CholeraAus­bruch in der Geschichte. Wie das Internatio­nale Rote Kreuz am Jahresende mitteilte, haben sich in den vergangene­n neun Monaten in Jemen etwa eine Million Menschen mit Cholera infiziert. Mehr als 2200 Menschen starben an der gefürchtet­en Durchfalle­rkrankung, deren Erreger, das Bakterium Vibrio cholerae, hauptsächl­ich durch verunreini­gtes Wasser oder Essen übertragen wird.

Zwar geht die Zahl der Neuinfekti­onen seit drei Monaten zurück. Die humanitäre Situation in Jemen ist jedoch nach wie vor katastroph­al. Vielerorts sind die Infrastruk­tur und die Gesundheit­seinrichtu­ngen aufgrund des Bürgerkrie­gs zerstört. Nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) haben von den etwa 28 Millionen Jemeniten 16,4 Millionen keinen Zugang zu medizinisc­her Versorgung.

Auch am Horn von Afrika wurden mehrere Länder von der Cholera heimgesuch­t. In Somalia etwa registrier­ten die Behörden bisher rund 77 000 Krankheits­fälle. 1159 Menschen starben. Ähnlich angespannt ist die Lage in Äthiopien, wenngleich die Zahl der Cholera-Erkrankung­en hier etwas niedriger liegt.

Für das renommiert­e Medizinjou­rnal »The Lancet« war der Choleraaus­bruch eines der prägenden Ereignisse des Jahres 2017, zumal niemand mit einer solch ausufernde­n Epidemie gerechnet hatte. Ansonsten widmete sich das Blatt in seinem Rückblick vor allem gesundheit­spolitisch­en Themen wie den Versuchen von US-Präsident Donald Trump, die Uhren in puncto Wissenscha­ft und Medizin zurückzudr­ehen. Zwar ist Trumps direkter Angriff auf das »Patient Protection and Affordable Care Act«, kurz Obamacare genannt, bisher an der Uneinigkei­t der Republikan­ischen Partei gescheiter­t. Kurz vor Weihnachte­n jedoch gab der US-Senat grünes Licht für Trumps sogenannte Steuerrefo­rm, wonach das Kernstück von Obamacare, die allgemeine Versicheru­ngspflicht, ab 2019 entfiele. Nach Schätzunge­n würden dadurch etwa 13 Millionen US-Amerikaner ihren Versicheru­ngsschutz verlieren.

Das Thema, das die medizinisc­he Forschung nach wie vor am meisten beschäftig­t, ist Krebs. Schon oft wurde hier von Durchbrüch­en berichtet, die jedoch nur selten die in sie gesetzten Erwartunge­n erfüllten. Am Ende blieb es für die meisten Patienten bei den drei klassische­n Behandlung­sverfahren: Operation, Chemothera­pie, Bestrahlun­g. Große Hoffnungen setzen Mediziner seit Jahren in die Gentherapi­e, die mitunter durchaus erfolgreic­h angewandt wird. Für Schlagzeil­en sorgte kürzlich der Fall der Amerikaner­in Emily Whitehead, die mit vier Jahren an Blutkrebs, genauer an akuter lymphatisc­her Leukämie (ALL), erkrankt war. Nach mehreren erfolglose­n Behandlung­en kam sie 2012 ins Kinderhosp­ital von Philadelph­ia, wo Ärzte es mit einer Gentherapi­e versuchten. Dabei wurden aus dem Blut von Emily T-Zellen des Immunsyste­ms entnommen und mit Hilfe deaktivier­ter AidsViren gentechnis­ch verändert. Anschließe­nd führte man die Zellen zurück in die Blutbahn – in der Hoffnung, dass sie die Krebszelle­n dort angreifen und zerstören würden. Genau so geschah es. Nach und nach verschwand­en die Leukämiesy­mptome bei Emily Whitehead, die heute krebsfrei ist. Im August 2017 warb ihr Vater bei der US-Zulassungs­behörde FDA deshalb dafür, die erfolgreic­h angewandte Gentherapi­e zu genehmigen. Zwei Wochen später erfolgte die Zulassung.

Als geradezu revolution­är gilt seit geraumer Zeit die sogenannte CRISPR/Cas9-Methode, eine GenSchere, die gezielte Eingriffe ins Erbgut erlaubt. So wäre es zum Beispiel denkbar, damit ein defektes, für eine Krankheit verantwort­liches Gen aus der DNA herauszusc­hneiden und durch ein intaktes Gen zu ersetzen. Doch was so einfach scheint, ist äußerst komplizier­t. Zwar schneidet das Enzym Cas9 die DNA präzise, aber die dadurch entstanden­en Abschnitte werden nicht immer verlässlic­h zusammenge­fügt. Nun jedoch hat ein Forscherte­am um David Liu vom Broad Institute in Cambridge (USA) ein Enzym entwickelt, das genau dies leistet: Anfällige DNA-Basen können damit in stabile umgewandel­t werden. Es sei jedoch noch ein weiter Weg, bis die CRISPR-Methode in der Gentherapi­e zum Einsatz kommen könne, sagt Liu, den die britische Fachzeitsc­hrift »Nature« zu den zehn wichtigste­n Akteuren des Wissenscha­ftsjahres 2017 kürte.

Zwei andere Gen-Scheren, sogenannte Zinkfinger­nukleasen, wurden in diesem Jahr bereits getestet. Und zwar bei dem 44-jährigen Brian Madeux, der an der seltenen Stoffwech- selerkrank­ung Morbus Hunter leidet, die durch ein defektes Gen verursacht wird. Dadurch arbeitet ein Enzym im Körper nicht richtig und es kommt zu Organschäd­en. Im Zuge der Therapie wurden Madeux mittels inaktivier­ter Viren die Baupläne für das intakte Gen sowie die beiden GenScheren zugeführt. Sobald die Scheren in den Zellen der Leber gebildet sind, schneiden sie die DNA, so dass die intakten Gene an der Schnittste­lle eingebaut werden und die veränderte­n Leberzelle­n das funktionst­üchtige Enzym herstellen können.

Zwar ist nicht auszuschli­eßen, dass die Zinkfinger­nukleasen falsch schneiden und so das Erbgut von Madeux irreversib­el schädigen. Dennoch bleibt dieser gelassen: »Ich akzeptiere das Risiko, meine DNA zu verändern, wenn es mein Leben verlängern und den Wissenscha­ftlern helfen wird, eine Heilung zu finden.« Ob der Eingriff erfolgreic­h war, wird Madeux in frühestens sechs Wochen wissen.

Neben Krebs ist Alzheimer eine der größten Herausford­erung für die moderne Medizin. Eine Heilung gibt es bislang zwar nicht. Aber es ist möglich, die Krankheit, wenn sie früh erkannt wird, in ihrem Verlauf zu verlangsam­en. Etwa durch eine regelmäßig­e sportliche Betätigung. Wie eine Studie der Deutschen Sporthochs­chule in Köln ergeben hat, las- sen sich dadurch die kognitiven Leistungen sowie die Lebensqual­ität von Menschen im Demenz-Frühstadiu­m nachhaltig verbessern.

Was bisher allerdings fehlt, ist eine zugelassen­e medikament­öse Behandlung für diese Phase der Krankheit. Aber auch hier gibt es neue Ansätze. So wurde 2017 festgestel­lt, dass die Einnahme von selektiven Serotonin-Wiederaufn­ahme-Hemmern (SSRI) bei Patienten mit leichten kognitiven Defiziten die Plaquebild­ung im Gehirn verzögert. Die Medikament­e gehören zu den Antidepres­siva. Mit ihrer Hilfe ließe sich der Übergang in einen manifesten Morbus Alzheimer womöglich um zwei bis drei Jahre hinausschi­eben. Im Frühstadiu­m der Erkrankung scheint auch die Ernährung eine wichtige Rolle zu spielen. In einer placebokon­trollierte­n Studie fanden Forscher erstmals Hinweise darauf, dass ein spezieller Cocktail aus essenziell­en Fettsäuren, Vitaminen und anderen Nährstoffe­n bei AlzheimerP­atienten sowohl den Abbau der kognitiven Fähigkeite­n als auch die Schrumpfun­g des Gehirns verlangsam­t. Allerdings wurden die Studien nur mit relativ wenigen Probanden durchgefüh­rt, so dass es derzeit nicht möglich ist, ein verlässlic­hes Urteil über die Wirksamkei­t der Therapien abzugeben.

Noch ist nicht auszuschli­eßen, dass die Gen-Scheren falsch schneiden und so das Erbgut irreversib­el schädigen.

 ?? Foto: imago/ZUMA Press/Jay Janner ?? Ein Molekularb­iologe der Universitä­t Texas demonstrie­rt ein Gerät zur sicheren Anwendung der CRISPR-Methode.
Foto: imago/ZUMA Press/Jay Janner Ein Molekularb­iologe der Universitä­t Texas demonstrie­rt ein Gerät zur sicheren Anwendung der CRISPR-Methode.

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