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Knöllchen bis zum Abwinken

Schleswig-Holstein: Die Verkehrssü­nderdatei in Flensburg wurde dieser Tage 60 Jahre alt

- Von Birgitta von Gyldenfeld­t, Flensburg

In den 1950er Jahren stiegen mit der Zahl der Autos auch die Unfallzahl­en deutlich an. In der Bundesrepu­blik wurde deswegen das Verkehrsze­ntralregis­ter eingericht­et. Gibt es deshalb weniger Unfälle? Am Steuer mit dem Handy telefonier­t. Gedrängelt. Gerast. Nach drei Glühwein ins Auto gesetzt und nach Hause gefahren. Wer dabei erwischt wird, kassiert Punkte in Flensburg. Gesammelt werden sie beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in der sogenannte­n Verkehrssü­nderdatei. Das Register in der Hafenstadt im Norden Schleswig-Holsteins ging vor 60 Jahren – genauer: am 2. Januar 1958 – in Betrieb.

2016 gab es nach Angaben der Behörde rund 8,6 Millionen Punkte-Inhaber. Etwa 6,6 Millionen davon waren Männer. Die meisten Einträge gab es wegen Geschwindi­gkeitsvers­tößen. Bei Männern waren es 3,8 Millionen, bei Frauen 1,1 Millionen. Die Zahlen sind seit Jahren relativ konstant. Nur zum 1. Januar 2017 stieg der Bestand kurzfristi­g auf mehr als zehn Millionen Personen an – wegen der seit der Reform des Punktesyst­ems im Mai 2014 verlängert­en Tilgungsfr­isten.

Den Punktezähl­ern in Flensburg wird die Arbeit wohl nicht so schnell ausgehen, glaubt der Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes niedergela­ssener Verkehrsps­ychologen, Rüdiger Born. »Es ist ja nicht naturgegeb­en, sich an Regeln zu halten.« Viele Menschen bekämen in ihrer Autofahrer­karriere mal einen Punkt.

»Die überwiegen­de Zahl der Einträge wird innerhalb einiger Jahre aber wieder gelöscht«, so der Verkehrsps­ychologe. Sprich: der Autofahrer lerne dazu und halte sich eher an die Regeln, weil er weitere Punkte vermeiden wolle. Der Eintrag ist schnell wieder gelöscht. Um so viele Punkte zu sammeln, dass der Führersche­in entzogen wird, brauche es eine große Beharrlich­keit, sagt Born.

Hunderte Regalmeter in dem 1960er-Jahre-Zweckbau in Flensburg sind gefüllt mit Hängeakten. Im Schredder im Keller des Gebäudes werden die Papier gewordenen Punkte nach Erlöschen vernichtet. Doch auch im Kraftfahrt-Bundesamt macht der digitale Fortschrit­t nicht Halt. »Noch gibt es sie zwar, die bekannten Ordner in den Hängeregis­traturen«, sagt Präsident Ekhard Zinke. Doch dieses vertraute Bild sei in absehbarer Zeit Geschichte. Der Datenbesta­nd werde nach und nach digitalisi­ert. Höchstens 20 Prozent der gespeicher­ten Personenda­ten sind noch auf Papier vorhanden, so eine Schätzung. Für Zinke zeugt die Digitalisi­erung »von der Fortschrit­tlichkeit und heutigen Modernität« des vor 60 Jahren eingeführt­en Registers.

Am 2. Januar 1958 nahm das Verkehrsze­ntralregis­ter in Flensburg seine Arbeit auf. Der Grund: Der Autoverkeh­r nahm im Wirtschaft­swunderlan­d Bundesrepu­blik Deutschlan­d rasant zu, die Zahl der schweren Unfälle auch. Das Punktesyst­em gab es in den ersten Jahren des Registers allerdings noch nicht. In der sogenann- ten Verkehrssü­nderdatei wurde zunächst nur registrier­t, wenn jemandem die Fahrerlaub­nis versagt oder entzogen wurde. 1974 wurde das Punktesyst­em eingeführt – aus einem traurigen Grund: Anfang der 1970er Jahre war nach Angaben des Statisti- Rüdiger Born, Verkehrsps­ychologe schen Bundesamte­s der Rekordwert von mehr als 21 000 Verkehrsto­ten im Jahr zu beklagen. Es gab 20,8 Millionen Fahrzeuge. Das heißt: Statistisc­h gesehen waren das pro 100 000 Fahrzeuge jährlich 102 Tote. Heute sind gut 55 Millionen Pkw, Lkw und Motorräder auf Deutschlan­ds Straßen unterwegs. Die Zahl der Verkehrsto- ten hat sich im Vergleich zu den 1970er Jahren deutlich reduziert: 3206 waren es im Jahr 2016. Für KBA-Chef Zinke liegt das auch an den Flensburge­r Punkten, weshalb er einen »gewissen Stolz« nicht verhehlen mag. Er sei sich aber bewusst, dass neben den Punkten weitere Faktoren eine Rolle für den Rückgang spielen; etwa, dass die Autos sicherer geworden sind.

Ob es ohne das Register mehr (tödliche) Unfälle und Regelverst­öße gäbe, lässt sich schwer sagen. »Die wenigsten Unfälle werden mit Vorsatz verursacht«, hieß es im Vorjahr beim ADAC. Es komme zwar immer wieder zu schweren Regelverst­ößen. »Dabei spielt häufig die Illusion eine große Rolle, jede Situation unter Kontrolle haben zu können.«

KBA-Präsident Zinke ist überzeugt, dass das Register noch viele Jahre gebraucht wird: »Weitere Dekaden seiner Existenz werden auch künftig einen nachhaltig­en Beitrag zur Gewährleis­tung der Verkehrssi­cherheit leisten.«

»Es ist ja nicht naturgegeb­en, sich an Regeln zu halten.«

 ?? Foto: dpa/Carsten Rehder ?? Akten, Akten, Akten: Archivraum im Kraftfahrt-Bundesamt. Bald ist der Papierkram aber Geschichte.
Foto: dpa/Carsten Rehder Akten, Akten, Akten: Archivraum im Kraftfahrt-Bundesamt. Bald ist der Papierkram aber Geschichte.

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