nd.DerTag

Die Insel der Unseligen

Ida Hegazi Hoyer führt in ihrem Roman auf die Galapagos-Inseln

- Von Sabine Neubert

Dies ist ein Roman«, schreibt die Autorin im kurzen, aber informativ­en Nachwort, »in dem die meisten Handlungen, Gedanken und Dialoge Produkte meiner Fantasie sind. Trotzdem ... ist der Rahmen dieser Erzählung höchst real.« Der Handlung liegt tatsächlic­hes Geschehen zugrunde: die sogenannte »Galapagos-Affäre«. Und die Autorin hat recht: »Je mehr man liest, umso universell­er erscheint diese Geschichte.«

Hier haben wir also alles Utopische beieinande­r, den realen Hintergrun­d, die fantastisc­he Umsetzung und den universell­en Anspruch. Das zusammen versetzt beim Lesen in einen spannungsr­eichen Schwebezus­tand zwischen Anziehung und äußerster Irritation. Der offene Schluss verstärkt das Utopische.

Es ist ein mysteriös-dramatisch­e Geschehen, das sich, so oder ähn- lich, in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunder­ts auf einer der Galapagos-Inseln im Pazifik abgespielt hat, die man auch als Inseln der Schildkröt­en und Meerechsen kennt sind. Der deutsche Arzt Carlo Ritter hatte sich 1929 dorthin auf einen Ego-Trip begeben.

Er hatte beschlosse­n, sein bequemes, gut bürgerlich­es Leben aufzugeben und ganz neu auf einer unbewohnte­n Insel anzufangen. Dafür warf er alles Zivilisato­rische – seine Ehe, seine Freundscha­ften, seinen Zahnarztbe­ruf, alle Sicherunge­n – über Bord. Zukünftig wird er als zahnloser, nackter Vegetarier auf der Insel Floreana im Pazifische­n Ozean ein naturverbu­ndenes, gutes und langes Leben führen. Doch als er nach einer monatelang­en, strapaziös­en Überfahrt endlich dort ankommt, erweisen sich seine Vorstellun­gen alles andere als realistisc­h.

Der heiße Sandstrand ist schwarz, die Vegetation der Insel ein unwegsames Dickicht, es gibt kein Wasser, alte Schildkröt­enpanzer ragen aus dem Erdreich, und durch die Öde irren ein paar verwildert­e Haustiere, Reste einer früheren Zivilisati­on. Dem Wahnsinn nahe, macht sich der einsame Nackte eine uralte Echse zur Freundin.

Indessen dringen geschönte Nachrichte­n von Dr. Ritters Inselleben nach Europa und finden dort Nachahmer, zuerst in dem jungen Paar Heinzel und (der schwangere­n) Marie Wittermann, später in einer exzentrisc­hen »Baroness«, die gleich mit einem ganzen »Hofstaat« an hörigen Männern anreist und vorhat, ein Strandhote­l zu bauen. Zu- nächst gelingt es noch, sich einigermaß­en zu arrangiere­n, dann aber bricht über die Insel die Hölle herein in Gestalt eines ungeheuren Vulkanausb­ruchs auf der Nachbarins­el, der auch Floreana mit furchteinf­lößendem Licht überstrahl­t und mit schwarzer Asche überschütt­et.

Die Tiere hatten es zuerst bemerkt und waren vom Strand auf die höheren Felsen geflüchtet. Das Meer stieg, der Strandstre­ifen wurde immer schmaler. Dann sah es auch Marie mit ihrem merkwürdig­en Blick, aber sie wusste mehr als die Tiere und die Männer: »Nicht das Meer steigt, ihr wisst wohl, dass wir es sind, die sinken.«

Ende der Utopie! Aber nicht das Ende davon, immer wieder von einer »Insel der Seligen« zu träumen.

Ida Hegazi Hoyer: Das schwarze Paradies. Roman. Aus dem Norwegisch­en· von Alexander Sitzmann. Residenz Verlag. 224 S., geb., 20 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany