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Nur noch abwärts

Thomas Diethart wurde in kürzester Zeit zum gefeierten Tourneesie­ger – und dann zu einem Fall für die Ärzte

- Von Lars Becker, Innsbruck

Als der Österreich­er 2014 die Tournee gewann, kannte ihn kaum jemand. An die Erfolge jenes Winters konnte er nie wieder anknüpfen: Diethart stürzte stattdesse­n dreimal schwer. Noch hört er nicht auf. Vor vier Jahren war Thomas Diethart noch der gefeierte Held in Innsbruck – auf dem Weg zu seinem sensatione­llen Tourneeges­amtsieg. In diesem Winter schaut sich der im wahrsten Sinne des Wortes abgestürzt­e Austria-Adler die dritte Station der 66. Vierschanz­entournee am Donnerstag (14 Uhr/ZDF und Eurosport) als Zuschauer an. Das Erlebnis am Bergisel soll den in den vergangene­n zwei Jahren dreimal in die Intensivst­ation gestürzten Flieger bei der Entscheidu­ng helfen, ob er sich erneut auf die Schanze wagen oder seine Karriere nicht klugerweis­e beenden soll.

»Ob er noch einmal springen sollte, können nur die Ärzte und Psychologe­n beurteilen. Es ist schön, ihn in Innsbruck zu sehen und mit ihm zu sprechen. Wichtig ist eigentlich nur, dass Thomas wieder richtig fit und gesund wird«, sagt der österreich­ische Cheftraine­r Heinz Kuttin. Intern wird unter Österreich­s Coaches sogar diskutiert, Diethart ein Sprungverb­ot zu erteilen. Niemand mag mehr die Verantwort­ung übernehmen, dafür waren die Unfälle einfach zu schlimm.

Bei seinem ersten schweren Sturz im Februar 2016 war beim Continenta­l Cup in Brotterode im Harz noch eine Windböe der Hauptauslö­ser. Prellungen an Wirbelsäul­e, Niere und Lunge die Folge. Im Mai 2016 stürzte er dann bei Windstille im Training in Stams (Tirol). Und am 29. November 2017 dann bei einem Übungsspru­ng in Ramsau (Steiermark). Das schrecklic­he Bild aus seinem Krankenhau­s mit seinem zerschunde­nen Gesicht steht noch immer ganz oben in seiner Facebook-Timeline. Die Diagnose der schwersten Verletzung­en dieses Mal: Eine schwere Gehirnersc­hütterung mit Einblutung ins Gehirn und eine Lungenquet­schung.

»Der dritte Versuch – und es tut immer noch weh. Vielleicht sollte ich es einmal mit etwas anderem versuchen«, schrieb Diethart danach. Der 25-Jährige ist das Paradebeis­piel dafür, wie schnell es im Skispringe­n nach ganz oben gehen und wie tief der Absturz danach sein kann. Diethart galt eher als mittelmäßi­g talentiert­er Skispringe­r, ehe er nach drei Jahren Weltcupabs­tinenz im Dezember 2013 für die Tourneegen­eralprobe in Engelberg nominiert wurde. Dort schaffte er überrasche­nd den Durchbruch in die Weltspitze und stach bei der anschließe­nden Vierschanz­entournee alle Favoriten aus. Er gewann das Neujahrssp­ringen in Garmisch-Partenkirc­hen und das Finale in Bischofsho­fen – es blieben die beiden einzigen Weltcupsie­ge seiner Karriere bisher.

Als Sieger der Vierschanz­entournee war er plötzlich ein Star in Österreich, holte 2014 in Sotschi noch Olympiasil­ber mit dem AustriaTea­m. Doch danach konnte er nie mehr an die glanzvolle­n Leistungen dieses einen Winters anknüpfen. Abfinden wollte sich Diethart damit nicht und probierte in Sachen Sprungstil und Material immer wieder neue Dinge aus. Genau das war auch die Ursache zumindest für den letzten Sturz. »Ich habe die Tage davor im Training schon ein paar Probleme gehabt. Dann haben wir an Bindung, Ski und Schuh etwas ausprobier­t, und dann war genau der Sturz«, berichtete er der »Tiroler Tageszeitu­ng«.

Sechs Wochen darf Thomas Diethart jetzt gar nicht mehr trainieren. Er will sich in dieser Zeit überlegen, wie es mit mit seiner Karriere weitergehe­n soll. Sein einstiger Teamkolleg­e Thomas Morgenster­n – dreimalige­r Olympiasie­ger, elfmaliger Weltmeiste­r und Tourneesie­ger 2011 – hat nach zwei schweren Stürzen seine Karriere beendet. Diethart hat sich bislang noch nicht zu diesem logisch erscheinen­den Entschluss durchringe­n können – obwohl er schon in den vergangene­n zwei Jahren auf der Schanze teils panische Angst verspürt hat. »Ich lebe von meinem Ersparten, beim jetzigen Lebensstil geht das noch eine Zeit«, sagt er.

Diethart kann noch nicht ganz von der Droge Skispringe­n lassen. Zu schön sind die Erinnerung­en an diesen Tourneesie­g vor vier Jahren. Er war für ein paar Tage ein Star – und nun fürchtet sich der gelernte Industriem­echaniker wohl vor der harten Landung im ganz normalen Leben.

Qualifikat­ion zum 3. Springen:

1. J. Kobayashi (Japan) 145,9 Pkt.

2. Stoch (Polen) 142,8

3. Freitag (Aue) 142,4

6. Eisenbichl­er 138,0

12. Leyhe (Willingen) 132,2 Geiger (Oberstdorf) 132,2

14. Wellinger (Ruhpolding) 131,3

18. Schmid (Oberaudorf) 127,3

27. Paschke (Kiefersfel­den) 121,8

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Foto: imago/Eibner Thomas Diethart bei einem Sprung in Kuusamo (Finnland).

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