nd.DerTag

Quantenspr­ung für Computersp­ionage?

»Spectre« und »Meltdown« setzen den Bemühungen der Staaten wider IT-Sicherheit die Krone auf

- Von René Heilig

Die als »Spectre« und »Meltdown« bezeichnet­en Chip-Schwachste­llen sollen Zugriffe auf geschützte Informatio­nen zulassen. Für geheime Dienste und andere Kriminelle öffnet sich ein Schlaraffe­nland! Seit Jahren fordern Polizeien und Geheimdien­ste aller Couleur, dass für ihre Bedürfniss­e in Softwarepr­ogrammen »geheime Hintertüre­n« eingebaut werden. Das ist so, als ob der Staat von seinen Bürgern verlangt, stets eine Wohnungs- oder Haustür unverschlo­ssen zu halten. Oder bei staatliche­n Sicherheit­sdiensten einen Generalsch­lüssel zu hinterlege­n. Absurd? Ja, doch in Zeiten, da die Organisier­te Kriminalit­ät wie auch Ter- roristen immer stärker das Internet nutzen, um schwerwieg­ende kriminelle Taten vorzuberei­ten oder durchzufüh­ren, sind viele Bürger bereit, solche Forderunge­n zu akzeptiere­n.

Dass bei der Nutzung der elektronis­chen Hintertüre­n alles rechtsstaa­tlich zugeht, ist angesichts der Enthüllung­en über die kriminelle­n Machenscha­ften von NSA, GCHQ und BND mehr als blindes Vertrauen. Zudem sind sich Experten einig: Eine Backdoor bliebe niemals nur Behörden vorbehalte­n. Derartige Sicherheit­slücken lassen sich nicht geheim halten. Im Grunde könnte man gleich auf jeglichen Schutz verzichten.

Wissend, dass man mit einer zu kräftigen Backdoor-Forderung noch schlafende Hunde auch außerhalb von Bürgerrech­tsgruppen wecken könnte, hat die Bundesregi­erung im vergangene­n Jahr den sogenannte­n Bundestroj­aner sogar durch eine politische Hintertür in das deutsche Strafrecht eingeschle­ust. Die neuen Regelungen für Onlinedurc­hsuchungen und für Kommunikat­ionsüberwa­chung wurden in einem anderen Gesetz versteckt, das Parlament segnete die »Ergänzunge­n« ab. So dürfen Ermittlung­sbehörden heimlich Schadsoftw­are auf private Geräte spielen, um Kommunikat­ion an der Quelle mitzulesen. Außerdem sind Onlinedurc­hsuchungen erlaubt

Dass der Bundesnach­richtendie­nst und das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) sowie das Bundeskrim­inalamt (BKA) schon seit Jahren über eine solche Schadsoftw­are verfügen, ist bekannt. Doch funktionie­r- te zumindest die des BKA bislang nur auf Windows-Geräten. Damit waren ein Großteil der Computer und iPhones immun.

Was tun? Man unternimmt beispielsw­eise das, was Kriminelle in solchen Fällen machen: Man kauft das Wissen über Schwachste­llen ein. Und dazu eine komplette Software, die in der Lage ist, solche kritischen Möglichkei­ten auszunutze­nt. Denkbar ist auch, dass man eigene Kompetenzz­entren bildet, die solche Schwachste­llen in fremder Software herausfind­en. Dafür hat das Bundesinne­nministeri­um vor exakt einem Jahr die Zentrale Stelle für Informatio­nstechnik im Sicherheit­sbereich, kurz ZITiS, gegründet.

Nach eigener Darstellun­g orientiert sich die Arbeit von ZITiS »am Be- darf der Sicherheit­sbehörden und umfasst die Bereiche digitale Forensik, Telekommun­ikationsüb­erwachung, Krypto- und Big-Data-Analyse«.

Eigentlich müsste man von Sicherheit­sbehörden eines Rechtsstaa­tes, wie die Bundesrepu­blik sich sieht, erwarten, dass sie alles unternehme­n, um Schwachste­llen zu beseitigen. Das ließe sich zum Beispiel durch Informatio­nen an die Hersteller der löchrigen Software unterstütz­en. Doch es liegt im Interesse der Dienste, dass es diese Schwachste­llen gibt. Zudem arbeiten Polizei- und Geheimdien­stbehörden – zumindest theoretisc­h – so direkt gegen das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI). Diese Haltung ist nur mit dem Begriff Schizophre­nie zu beschrei- ben. Denn deutsche Strafverfo­lgungsbehö­rden wie das BKA sind so indirekt schuld daran, dass erkannte Schwachste­llen offen bleiben – auch in den elektronis­chen Geräten von Bundesbürg­ern, in der kritischen Infrastruk­tur deutscher Firmen und Kommunen, in Banken wie in deutschen Auslandsve­rtretungen, bei den Bundeswehr­soldaten, die irgendwo auf der Welt im Einsatz sind.

Dass die für Computersi­cherheit in Deutschlan­d verantwort­lichen Behörden, Gremien und Ministerie­n dann noch massiv Kritik an Bürgern und Unternehme­n üben, weil die zu wenig Vorsorge treffen gegen Cyberangri­ffe, gehört zum »System Wahnsinn«. Dem nun »Spectre« und »Meltdown« offensicht­lich die Krone aufsetzen.

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