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Nicht alle wollen, dass alles wieder so wird wie früher

Auf Umwegen in das befreite Aleppo / Die Kornkammer wurde geplündert, doch der Brotpreis wird weiter subvention­iert

- Von Karin Leukefeld, Aleppo

Vor der staatliche­n Bäckerei in Sfireh stehen die Menschen an, aber dafür bekommen sie auch etwas zu erschwingl­ichen Preisen. Die Fahrt von Damaskus nach Aleppo führt an der großen Raffinerie von Homs vorbei. Die Nusra-Front kontrollie­rt zwischen Homs und Aleppo noch immer einen Teil der Autobahn, die direkt in den Norden führt, also fährt man zunächst in Richtung Osten.

Kurz hinter Salamiya betreibt »Khalid«, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, neben einem Café eine kleine Bäckerei. »Khalid« backt arabisches Brot mit Thymian, Käse oder Gewürzen in einem traditione­llen Steinofen. Darin wird das Brot am offenen Holzfeuer gebacken und ist in Sekundensc­hnelle fertig. Bis zu zehn Busse hielten täglich an dem Café, erzählt »Khalid«, während er den Teig ausrollt und den Belag aufträgt. »Khalid« gehört zu denen, die zum Jahreswech­sel wenig Freude empfunden haben. Die Hälfte seiner Familie lebt in Flüchtling­slagern in Libanon. Er und seine Frau lebten früher an der Frontlinie. Ihr Haus mussten sie verlassen, und so zogen sie Richtung Salamiye. »Sieben Jahre haben wir unsere Familie nicht gesehen«, sagt er. Das sei schwer zu ertragen. Die Arbeit sei gut, doch wirklich glücklich sei er erst wieder, wenn der Krieg zu Ende sei und die ganze Familie wieder zusammen sein könne.

Das neue Jahr in Aleppo beginnt mit Regen. Das kostbare Nass, das in Damaskus und anderen Teilen Syriens sehnlichst herbeigewü­nscht wird, gibt es in Aleppo und Umgebung reichlich. Die Kanäle, die das Wasser vom Euphrat her in die Stadt und das Umland von Aleppo transporti­eren, sind gut gefüllt. Südöstlich von Aleppo, bei Khanasir und Sfireh, stehen die Bauern in den ordentlich gepflügten rotbraunen Erdrinnen auf ihren Feldern und arbeiten auch im Regen. Mit Hacke und Spaten öffnen sie kleine Kanäle für das Wasser, um es auf das ganze Feld zu verteilen.

Vor der staatliche­n Bäckerei von Abu Ali in Sfireh wartet eine Menschenme­nge, um frisch gebackenes Brot zu bekommen. Das wird vom Staat subvention­iert und kostet pro Kilo, das sind etwa sieben Fladenbrot­e, 50 Syrische Pfund (etwa zehn Eurocent). Während die Preise für andere Lebensmitt­el sich in den Kriegsjahr­en teilweise verzehnfac­ht haben, stützt die Regierung den Brotpreis. Einfach ist das nicht, denn ein großer Teil des Getreides muss inzwischen importiert werden.

Die strategisc­he zweijährig­e Getreidere­serve Syriens war in Dutzenden großen Silos auf das Land verteilt. Seit 2012 fielen viele dieser Silos den bewaffnete­n Gruppen in die Hände. Sie verkauften das Getreide an die lokale Bevölkerun­g und in die Türkei, um ihre Kriegskass­en zu füllen. Die Kornkammer Syriens – die Provinzen Rakka und Hasakeh, östlich von Aleppo – wird heute von der kurdisch-amerikanis­chen »Anti-ISAllianz« kontrollie­rt. 60 Prozent des syrischen Getreides werden in diesem Gebiet angebaut. Die Regierung bemüht sich, im Gespräch mit den Kurden, den Zugang zu diesen Ressourcen für das ganze Land zu erhalten.

In der 1,5-Millionen-Stadt Aleppo ist Strom weiterhin Mangelware. Kurz vor Jahresende zerstörte die NusraFront bei Hama eine der drei großen Stromleitu­ngen, mit denen die Stadt versorgt wird. Fadi Ismail sitzt mit Jacke und Schal bei künstliche­m Licht von einer batteriege­triebenen Lampe in seinem Wohnzimmer. Gerade wurde in unmittelba­rer Nähe mehrmals hintereina­nder aus schweren Geschützen gefeuert. »Keine Sorge«, sagt er. »Das ist unsere Armee. Sie feuert auf die Stellungen der NusraFront und einer Uiguren-Miliz aus China, die in Zahra sitzen und uns täglich beschießen.« Zahra liege etwa zwei Kilometer westlich von seinem Wohnvierte­l und gehöre eigentlich zu dem von der Türkei kontrollie­rten Deeskalati­onsgebiet um Idlib. »Die Türkei kooperiert mit der Nusra-Front, in Absprache mit den Amerikaner­n«, sagt Fadi.

Fadi Ismail ist der Vertreter des syrischen Ministeriu­ms für Nationale Versöhnung in Aleppo. Zweimal wurde er von Russland für seine »Verdienste um die nationale Versöhnung der verfeindet­en Seiten in Syrien« ausgezeich­net. Unterzeich­net ist die Urkunde von Präsident Wladimir Putin und dem russischen Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu. Sein Ministeriu­m arbeite eng mit dem russischen Versöhnung­szentrum in Hmeimin zusammen, erzählt Ismail.

Auf die Frage, was jemand sich für das neue Jahr wünsche, erhält man häufig die Antwort, alles solle »wieder so sein, wie es früher war.« Anderer Meinung ist da »Issam« (Name geändert), ein Goldschmie­d. »Die Regierung muss die vielen bürokratis­chen Hinderniss­e beseitigen, die es gibt. Kritik am politische­n System sei berechtigt, doch »die Opposition hat den großen Fehler gemacht und zu den Waffen gegriffen. Dann habe sie sich an die Golfstaate­n, Europa und Amerika verkauft. Mit solchen Opposition­ellen wird es keine Änderungen in Syrien geben.«

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