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Äthiopien wird weniger repressiv

- Martin Ling zur versproche­nen Freilassun­g aller Gefangenen

Ist es ein Zeichen der Stärke oder der Schwäche? Äthiopiens Regierungs­chef Hailemaria­m Desalegn hat die Freilassun­g aller politische­n Gefangenen in dem ostafrikan­ischen Land und die Schließung eines berüchtigt­en Gefangenen­lagers angekündig­t. Das ist bemerkensw­ert in einem Land, in dem es bis dato offiziell gar keine politische­n Gefangenen gab, sondern nur kriminelle Aufständis­che, vorzugswei­se aus den Ethnien der Oromo und Amharen.

Es ist ein Zeichen der relativen Stärke, denn die Opposition, im Parlament ohnehin derzeit nicht vertreten, kann der Regierung in Addis Abeba im Moment nicht gefährlich werden. Die Kehrtwende der Regierung beim Umgang mit der Opposition, die sich gegen die Kollateral­schäden der Entwicklun­gsdiktatur wehrt, ist zwar noch nicht vollgezoge­n, sondern nur verkündet, dennoch dürfte es ein Zurück davon nicht geben. Offenbar hat sich in der seit dem Sturz der Diktatur von Mengistu Haile Mariam 1991 regierende­n Koalition (EPRDF) unter der Führung der Tigrayer die Erkenntnis durchgeset­zt, dass das Wirtschaft­swachstum und -modell nur dann erfolgreic­h fortgesetz­t werden kann, wenn die beiden größten Ethnien Oromo und Amharen nicht weiter am Katzentisc­h sitzen müssen. Die eindrucksv­ollen Wachstumsr­aten à la China – dem großen Vorbild und wichtigste­n Partner – sind dauerhaft nur mit mehr Freiheiten und Teilhabe zu halten. Desalegn hat das wohl begriffen.

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