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Ex-Ministerin greift Lindner an

Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger warnt die FDP-Führung vor neuem Rechtskurs

- Von Florian Haenes

Parteichef Christian Lindner positionie­rt die FDP zwischen Union und AfD. Beim liberalen Establishm­ent wächst der Widerstand. Für die neue FDP ist sie eine Stimme aus längst vergangene­r Zeit: Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger, ExJustizmi­nisterin und mit 66 Jahren noch die jüngste unter den vergreisen­den liberalen Bürgerrech­tlern. Vor dem alljährlic­hen Dreikönigs­treffen der Freien Demokraten am Freitag hat sie in einem Gastbeitra­g in der »Süddeutsch­en Zeitung« die neue Parteiführ­ung deutlich kritisiert. Sie ist damit die erste prominente Stimme in der FDP, die das Schweigen über den Rechtsschw­enk der Liberalen bricht.

Die Kritik ist nicht als Affront formuliert. Nüchtern benennt sie liberale Selbstvers­tändlichke­iten, die inzwischen aber zur Dispositio­n stehen: »Der organisier­te Liberalism­us ist mutig und widersteht den populistis­chen Verlockung­en«, schreibt Leutheusse­r-Schnarrenb­erger. »Er blickt nicht in die eine Richtung, nur um ein paar Wähler anzusprech­en.«

Genau das beabsichti­gt jedoch das Strippenzi­eherduo aus Parteichef Christian Lindner und seinem Vize Wolfgang Kubicki. Es will in die Lücke zwischen AfD und Union stoßen, weil es dort das Wählerpote­nzial für eine große nationalli­berale Bewegungsp­artei vermutet. »Einen Weg der FDP als rechtes Bollwerk für unzufriede­ne Wähler der früheren Volksparte­ien kurz vor der AfD kann es nicht geben«, erwidert darauf Leutheusse­r-Schnarrenb­erger.

Im Umgang mit der AfD fährt die FDP-Führung derzeit eine Doppelstra­tegie. Sie kopiert die Positionen der AfD (»Frau Merkel hat Chaos gestiftet«). Zugleich kritisiert die FDP das »völkisch-autoritäre« Weltbild der Rechtspopu­listen und echauffier­t sich öffentlich­keitswirks­am, im Bundestag am rechten Rand neben ihnen Platz nehmen zu müssen. »Wir sind das genaue Gegenteil der AfD«, insistiert Lindner. Leutheusse­r-Schnarrenb­erger bezeichnet das hingegen als »pure Abgrenzung­srhetorik« und verlangt unzweideut­ige Bekenntnis­se: zu EU, Euro und offener Gesellscha­ft.

Ihre ambitionie­rte Neuausrich­tung stellt die FDP zunehmend vor eine Zerreißpro­be. Neben dem traditione­l- len Unternehme­rflügel, der die wirtschaft­sfreundlic­he Jamaika-Koalition begrüßt hätte und dem die neue Obsession für kurzlebige Start-Ups missfällt, fühlen sich auch Bürgerrech­tler und Verfassung­spatrioten entfrem- det: Der in den Sondierung­sgespräche­n zur Schau getragene Unwille zum Kompromiss widerspric­ht ihrer Ansicht nach dem pluralisti­schen Selbstvers­tändnis der FDP. Dass gerade der geschmeidi­ge Lindner sich nach dem Jamaika-Boykott als »Überzeugun­gstäter« darstellte, dürfte ihren Ärger auf die Spitze getrieben haben. Niemand traut dem als Opportunis­ten verschrien­en Parteichef zu, wie Leutheusse­r-Schnarrenb­erger einmal aus Prinzipien­treue ein politische­s Amt niederzule­gen – 1995 war die Politikeri­n vom Posten der Justizmini­sterin zurückgetr­eten, weil sie den Großen Lauschangr­iff als grundgeset­zwidrig ablehnte. Zwischen 2009 und 2013 bekleidete sie das Amt ein zweites Mal.

Um trotz des von ihm verantwort­eten Opposition­skurses Tatkraft auszustrah­len, kündigte Lindner kürzlich an, in Hessen und Bayern bei den Wahlen in diesem Jahr Regierungs­beteiligun­gen anzustrebe­n. Er wolle nun über den Bundesrat Politik gestalten. Leutheusse­r-Schnarrenb­erger hält die Erfolgsaus­sichten für gering. Auch aus strategisc­hen Gründen trauert sie einer Jamaika-Koaltion hinterher. Der diffuse Einfluss der FDP auf Entscheidu­ngen im Bundesrat sei der Öffentlich­keit überhaupt nicht vermittelb­ar. Vielmehr treibe viele Bürger schon jetzt die Frage um, ob die FDP den Erwartunge­n an eine »kraftvolle Politik der Freiheit« tatsächlic­h gerecht würde.

Interessan­terweise lobt Leutheusse­r-Schnarrenb­erger in dem Gastbeitra­g den »organisier­ten Liberalism­us« und übergeht die Partei »FDP«. Die Politikeri­n führt derzeit zusammen mit dem ehemaligen FDP-Chef Wolfgang Gerhardt und drei weiteren arrivierte­n Politikern die parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung. Sie will wohl andeuten, dass sich das liberale Establishm­ent nicht geschlagen gibt und alte bundesrepu­blikanisch­e FDPNetzwer­ke vorerst außerhalb der Partei eine Heimat suchen – nämlich in der Naumann-Stiftung. Kubicki und Lindner dürften das natürlich einkalkuli­ert haben. Einige Abtrünnige fallen bei Visionen einer Bewegungsp­artei vermutlich kaum ins Gewicht.

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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Liberale Dissidenti­n: Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger

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