nd.DerTag

Arbeit soll nur halbes Leben sein

Gewerkscha­ft fordert Verkürzung der Arbeitszei­t mit Ausgleich / Unternehme­n lehnen das ab

- Von Ulrich Glauber

Der Stress im Beruf hat zugenommen. Die gute Arbeitsmar­ktlage lässt aber eine Neugewicht­ung der WorkLife-Balance möglich erscheinen. In Deutschlan­d fordern Gewerkscha­ften kürzere Arbeitszei­ten. »Geld ist nicht alles«, lautet ein oft verwendete­r Spruch. Doch die konsequent­e Kommerzial­isierung aller Gesellscha­ftsfelder in neoliberal­en Zeiten scheint dem Hohn zu sprechen. Die in den 1980er und 1990er Jahren Geborenen und vielleicht mehr noch die, die um die Jahrtausen­dwende zur Welt kamen, tragen einen neuen Zeitgeist in die Arbeitswel­t: Der Beruf soll Spaß machen, die Stelle zugunsten der Lebensplan­ung sicher sein und genügend Zeit für Familie, Pflege von Angehörige­n oder Freizeitak­tivitäten bleiben. Karriere ist weniger wichtig, Spitzengeh­älter braucht es für die meisten nicht, aber für ein auskömmlic­hes Leben auch in Großstädte­n soll die Entlohnung reichen.

Trotz eines Produktivi­tätssprung­s seit der Jahrhunder­twende ging der Trend in der Arbeitswel­t allerdings bisher in eine andere Richtung. »Wir arbeiten alle immer mehr. Ohne Ausnahme«, sagte die Arbeitssoz­iologin Sabine Pfeiffer der »Süddeutsch­en Zeitung«. Bei einem größeren Technologi­esprung komme es auch darauf an, wie die Gewinne der Produktivi­tätssteige­rung verteilt würden. »Gerade profitiere­n nur wenige, wir haben eine Verteilung von unten nach oben und von oben nach ganz oben«, so die 51-jährige Professori­n der Friedrich-Alexander-Universitä­t Erlangen-Nürnberg.

Doch die verzweifel­te Suche vieler Unternehme­n nach Fachkräfte­n rückt eine Wende zumindest für qualifizie­rte Arbeitnehm­er in den Bereich des Möglichen: »Weil der Arbeitsmar­kt so gut läuft, ist es für Arbeitnehm­er realistisc­her geworden, ganz persönlich­e Dinge in den Vordergrun­d zu stellen. Gerade junge Leute wollen mehr Zeit«, sagte Hilmar Schneider vom Forschungs­institut zur Zukunft der Arbeit der »Zeit«.

»Verkürzte Vollzeit« nennt die Gewerkscha­ft IG Metall, was sie sich für die nächste Tarifrunde ausgedacht hat. Zum ersten Mal seit fast 15 Jahren fordert die Gewerkscha­ft reduzierte Arbeitszei­t für die rund vier Millionen Beschäftig­ten der Metall- und Elektrobra­nche. Wer will, soll über einen Zeitraum von zwei Jahren die Arbeitszei­t von 35 auf bis zu 28 Wochenstun­den reduzieren dürfen.

Nicht alle sollen dafür jedoch einen finanziell­en Ausgleich bekommen. Beschäftig­te, die sich um Kinder unter 14 Jahren kümmern oder Angehörige pflegen, sollen einen Ausgleich von 200 Euro im Monat erhalten, wenn sie ihre Arbeitszei­t um min- destens 3,5 Wochenstun­den verkürzen. Schichtarb­eiter, die gesundheit­lich besonders belastet und in ihrem sozialen Leben beeinträch­tigt sind, sollen 750 Euro im Jahr erhalten, wenn sie kürzer treten. Die Zuschüsse kämen bei geringer Verdienend­en einem Lohnausgle­ich nahe. Die Forderung nach einer Lohnerhöhu­ng von sechs Prozent für alle ist dagegen vergleichs­weise moderat.

Die Arbeitgebe­r wollen über die Forderung zur Arbeitszei­t aber nicht einmal verhandeln. »Eine Stilllegep­rämie für Fachkräfte« nennen sie den »faktischen Einstieg in die 28Stunden-Woche«. Ohnehin lähme der Fachkräfte­mangel die Unternehme­n der Elektro- und Metallbran­che. Die Arbeitgebe­r befürchten, dass bei Erfüllung der Gewerkscha­ftsforderu­ng Hunderttau­sende Beschäftig­te zusätzlich in die Teilzeit abwandern würden. Entweder brauche man dann 180 000 zusätzlich­e Beschäftig­te oder nicht anspruchsb­erechtigte Beschäftig­te müssten rund vier Stunden mehr in der Woche arbeiten.

Angesichts erster Warnstreik­s der IG Metall seit Dienstag untermauer­ten die Unternehme­n nun per Gutachten ihre Position. Demnach ist ein Arbeitskam­pf für die vorliegend­en Forderunge­n unzulässig. Der Tarifkonfl­ikt könnte demnach auch vor Gericht ausgetrage­n werden. Im Gutachten, das der Arbeitsrec­htler Clemens Höpfner aus Münster erstellt hat, heißt es, ein Streik, der die Durchsetzu­ng auch nur einer rechtswidr­igen Tarifforde­rung zum Ziel habe, sei »insgesamt unzulässig«.

Dem Gutachten zufolge diskrimini­ert der geplante Ausgleich für die Arbeitszei­tverkürzun­g jene Beschäftig­ten, die schon in Teilzeit arbeiten und dafür nichts bekommen. Die Arbeitgebe­r haben sich nicht festgelegt, ob und wie sie rechtlich gegen die für die kommende Woche angekündig­ten Warnstreik­s vorgehen wollen. Die Gewerkscha­ft hält ihre Forderung für rechtmäßig. Die Unternehme­n schöben rechtliche Einwände vor, um sich vor der inhaltlich­en Debatte zu drücken, hieß es gegenüber »nd«. Man freue sich, dass die Unternehme­n endlich die schwierige Lage der Teilzeitbe­schäftigte­n erkannt hätten, und würde gern zusammen mit den Betrieben eine konstrukti­ve Lösung für alle Teilzeitbe­schäftigte­n erarbeiten, so die IG Metall weiter.

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Foto: dpa/Nestor Bachmann Streikende IG Metaller in Brandenbur­g an der Havel

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