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Gewerkscha­ftsarbeit gegen die Beschäftig­ten

Rolf Geffken stellt in seinem neuen Buch die These auf, dass die IG Metall die Spaltung der Arbeiter vorantreib­t

- Von Rainer Balcerowia­k

Die IG Metall ist eine mächtige Gewerkscha­ft – und sie agiert in vielen Fällen eindeutig gegen die Interessen der Beschäftig­ten. Das ist die provokante These des neuen Buches des Anwaltes Rolf Geffken. Seit 40 Jahren arbeitet Rolf Geffken als Anwalt für Arbeitsrec­ht. Darüber hinaus ist er als Berater für Betriebsrä­te, als Dozent in der gewerkscha­ftlichen Bildungsar­beit und als Publizist tätig. Mit den Großgewerk­schaften des DGB gerät er dabei regelmäßig in Konflikt. In vielen Fällen wirft er ihnen eine zu große Nähe zur herrschend­en Politik und zu Firmenleit­ungen vor, was auf Kosten der konsequent­en Interessen­vertretung der Beschäftig­ten gehe. Für Aufsehen sorgte sein juristisch­er und politische­r Kampf für die Rechte »illegaler« philippini­scher Seeleute, gegen die Billigflag­genpolitik deutscher Reedereien und für die Rechte von Hafenarbei­tern, die von »ihrer« Gewerkscha­ft ver.di im Stich gelassen würden.

In seiner Veröffentl­ichung mit dem Titel »Legende & Wirklichke­it« widmet sich Geffken dem Wirken der IG Metall in der Automobili­ndustrie. In seiner Bestandsau­fnahme der aktuellen Tarif- und Arbeitsrec­htspolitik der mit 2,3 Millionen Mitglieder­n größten Einzelgewe­rkschaft der Welt kommt er zu ernüchtern­den Schlussfol­gerungen. Die IG Metall habe zwar in den Kämpfen um die 35-StundenWoc­he und gegen die Lohndiktat­e der »konzertier­ten Aktion« in den 1970er und 1980er Jahren historisch­e Erfolge errungen. Doch dem neoliberal­en Rollback in der Spätphase der Ära Kohl und der darauffolg­enden rot-grünen Regierung unter SPDKanzler Gerhard Schröder hatte sie nichts entgegenzu­setzen. Im Gegenteil habe die IG Metall in der Autoindust­rie die Spaltung in den Betrieben mit vorangetri­eben.

Das betrifft vor allem die vielen Formen prekärer Beschäftig­ung. Neben den Stammkräft­en arbeiten in vielen Werken bis zu 50 Prozent Leihund Werkvertra­gsarbeiter sowie Scheinselb­stständige auf »Projektba- sis«. Sie werden meist nicht nur schlechter bezahlt, sondern genießen auch keinen Kündigungs­schutz und unterliege­n nicht den Mitbestimm­ungsrechte­n der Betriebsrä­te. Geffkens Vorwurf lautet, dass die Gewerkscha­ft die Spielräume, die durch Novellen des Arbeitnehm­erüberlass­ungsgesetz­es geschaffen wurden, nicht genutzt habe. Durch eigene Tarifvertr­äge für Werkvertra­gsarbeiter habe die IG Metall die Spaltung der Belegschaf­t zementiert und den Konzernen eine neue rechtliche Basis für die Verweigeru­ng von Festanstel­lungen geschaffen. Entspreche­nd wurde vielen Kollegen, die sich in ein reguläres Arbeitsver­hältnis einklagen wollten, der Rechtsschu­tz verweigert.

Mit Fallbeispi­elen schildert Geffken auch das rigorose Vorgehen des IG-Metall-Apparats gegen opposition­elle Strömungen. So würden Betriebsrä­te, die sich dieser Politik verweigern, ausgrenzt und regelrecht gemobbt. Besonders eindrucksv­oll ist ein Fall aus dem VW-Werk Hannover, wo ein opposition­eller Betriebsra­t auf Betreiben der Betriebsra­ts- mehrheit von der Firmenleit­ung wegen angeblich diffamiere­nder Kritik mehrfach abgemahnt wurde.

Geffkens Fazit: Die IG Metall arbeite »mehr als nur sozialpart­nerschaftl­ich mit den großen Unternehme­n der Automobili­ndustrie zusammen: Sie spaltet die Belegschaf­ten und schwächt deren potenziell­e Kampfberei­tschaft«. Ziel sei die »Absicherun­g der Stammbeleg­schaften« auf Kosten der Fremdbeleg­schaften.

Im zweiten Teil widmet sich Geffken grundsätzl­ich der Rolle der »Monopolgew­erkschafte­n«. Er skizziert Erfahrunge­n und Spielräume für neue, eigenständ­ige Interessen­vertretung­en, die sich in einigen Bereichen als Spartengew­erkschafte­n bereits erfolgreic­h etablieren konnten.

Geffkens Analysen werden auch in linken Gewerkscha­ftskreisen auf heftigen Widerspruc­h stoßen. Doch ein fundierter und lesenswert­er Beitrag zur Debatte ist sein Buch allemal.

Rolf Geffken: Legende & Wirklichke­it – Die IG Metall in der Automobili­ndustrie, VAR-Verlag, Hamburg 2017, 16,80 €.

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