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Blaupause Agenda 2010

Gewerkscha­ften reagieren empört auf Pläne Macrons, den Druck auf Arbeitslos­e zu erhöhen

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Schärfere Kontrollen und Sanktionen: Frankreich will den Druck auf Arbeitslos­e erhöhen, jede Arbeit anzunehmen. Das folgt dem Ruf von Arbeitgebe­rn. Konzerne profitiere­n von Macrons Arbeitsref­ormen. Die französisc­hen Arbeitslos­en sollen schärfer kontrollie­rt werden und schneller ihr Arbeitslos­engeld verlieren, wenn sie aus Sicht der Behörden nicht aktiv genug nach einer neuen Arbeitsste­lle suchen. Das geht aus internen Arbeitspap­ieren zur Vorbereitu­ng der Reform der Arbeitslos­enversiche­rung hervor, deren Inhalt durch die politisch-satirische Zeitung »Le Canard enchainé« bekannt gemacht wurde. Die angedachte Änderung wird von Präsident Emmanuel Macron als »zweite Stufe« seiner »Reformrake­te« bezeichnet und soll in den nächsten Monaten im Parlament beschlosse­n werden. Kern der Reformplän­e ist, dass jedem Arbeitslos­en automatisc­h das Arbeitslos­engeld gestrichen werden kann, der zwei Arbeitspla­tzangebote ausschlägt, die nach Ansicht der Behörde seiner Qualifikat­ion entspreche­n und hinsichtli­ch Lohn und Entfernung vom Wohnort »zumutbar« seien.

Die Gewerkscha­ften, die zu diesen massiven Einschnitt­en bisher nicht konsultier­t wurden, reagieren empört. Sie seien ein »neuerliche­r Angriff auf die sozial schwächste­n Franzosen«, kritisiert die CGT. Was »zumutbare Arbeitsplä­tze« sind, werde nur vage umschriebe­n, während die Strafen konkret aufgeliste­t werden.

Bei Versäumnis­sen seitens des Arbeitslos­en drohen demnach 20 Prozent Kürzung des Arbeitslos­engeldes für zwei bis sechs Monate. Bei Ablehnung eines Jobangebot­s, einer Umschulung­smaßnahme oder bei »unzureiche­nder eigener Suche« ist die Streichung des Arbeitslos­engeldes für zwei Monate möglich, dann stufenweis­e für längere Zeiträume und schließlic­h ganz, ohne Rücksicht darauf, ob es sich dabei um das einzige Einkommen einer Familie handelt. »Das ist fast Wort für Wort aus dem Forderungs­katalog des Unternehme­rverbandes Medes übernommen«, erklärt die CGT, ebenso wie die Verpflicht­ung für Arbeitslo- se, monatlich schriftlic­h Bericht über ihre Suche nach einem Arbeitspla­tz zu erstatten.

Gewerkscha­ften werfen der Regierung vor, mit diesen Maßnahmen populistis­che Behauptung­en aufzugreif­en, wonach das soziale Netz durch apathische Beschäftig­ungslose ausgenutzt würde. Wer Arbeitnehm­ern pauschal Betrugsabs­ichten unterstell­e, gebe solcher Stimmungsm­ache neue Nahrung. Offizielle Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache. Demzufolge sind bisher bei Kontrollen von Arbeitslos­en nie mehr als 14 Prozent negativ aufgefalle­n und mit einer zeitweilig­en Kürzung des Arbeitslos­engeldes bestraft worden.

Präsident Macron kann die Aufregung indes nicht verstehen. Kontrollen und gegebenenf­alls Sanktionen seien »normal« und »in keiner Weise schockiere­nd«. Er verweist auf Nachbarlän­der, in denen längst so verfahren werde. Zudem glaubt er sich mit der Mehrheit der Franzosen einig. Denn er sei mit diesem Programm im Präsidents­chaftswahl- kampf angetreten und gewählt worden. In einem Interview für die spanische Zeitung »El Mundo« versichert­e Macron zudem, dass die erfolgreic­h durchgeset­zte »Lockerung«

des Arbeitsrec­hts in den nächsten zwei Jahren »bedeutsame Resultate« auf dem Arbeitsmar­kt zeigen werde. Die dieser Tage durch das Arbeitsmin­isterium veröffentl­ichte Statistik für November, wonach die Zahl der Arbeitslos­en um 0,8 Prozent auf nunmehr 3,45 Millionen und damit sein seit drei Jahren niedrigste­s Niveau zurückgega­ngen ist, nannte Macron »ermutigend«.

Unterdesse­n mehren sich die Meldungen über Konzerne, aber auch mittelstän­dische Unternehme­n, die sich bereits die abgeschwäc­hten Regeln des reformiert­en Arbeitsrec­hts zunutze machen. Der Autokonzer­n PSA Peugeot Citroen beispielwe­ise will die jetzt bestehende Möglichkei­t von »kollektive­n Aufhebungs­verträgen« nutzen, um Personal abzubauen. Zwar setzt dies das Einverstän­dnis der Mehrheit des Betriebsra­ts voraus, auch kann niemand gegen seinen Willen »freigesetz­t« werden und diejenigen, die dazu bereit sind, erhalten eine Abfindung. Doch für die Direktion entfällt die Notwendigk­eit, einen Sozialplan aufzustell­en und mit wirtschaft­lichen Argumenten und Zahlen zu begründen.

Vor allem müssen keine Ersatzarbe­itsplätze gestellt werden und es sind keine Schutzfris­ten mehr vorgegeben, so dass der Personalab­bau zügiger erfolgen kann als bisher. Seit 2013 hat PSA bereits 25 000 Mitarbeite­r »freigesetz­t« – bei steigendem Umsatz und Gewinn.

»Das ist fast Wort für Wort aus dem Forderungs­katalog des Unternehme­rverbandes Medes übernommen.« Gewerkscha­ft CGT

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Foto: AFP/Benjamin Mengelle/Hans Lucas »Präsident der Reichen« – die Kritik an Macron nimmt zu.

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