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Seit vier Monaten ohne Lohn

Sicherheit­skräfte der Madrider U-Bahn werden nicht bezahlt und dürfen nicht einmal streiken – aber protestier­en

- Von Hans-Gerd Öfinger

Beschäftig­te der Metro in Spanien sind auf kostenlose Lebensmitt­el angewiesen. Schon fürchten die ersten, ihre Miete nicht mehr zahlen zu können. Der Grund: Seit Monaten wird ihnen kein Lohn gezahlt. »Für viele unserer Kollegen und ihre Familien sind dies die bittersten Weihnachts- und Neujahrsta­ge ihres Lebens«, sagt der Spanier Daniel Galán in einer Videobotsc­haft, die derzeit über das Internet die Runde macht. Galán ist noch sichtlich gezeichnet von einem 16-tägigen Hungerstre­ik, den er Ende Dezember aus gesundheit­lichen Gründen abgebroche­n hat. Mit der Aktion machte der 42-jährige Vater von vier Kindern auf die verzweifel­te Lage aufmerksam, in der er und seine über 500 Kollegen bei der Madrider U-Bahn stecken. Denn seit vier Monaten arbeiten sie ohne Lohn. Und die Lage wird immer brenzliger.

»Besonders schlimm ist für unsere Familien, dass die Konten rote Zahlen aufweisen«, beschreibt Galan die akuten Nöte. Ängste vor einem »desahucio« machen sich breit – vor einer durch Banken eingeleite­ten polizeilic­hen Zwangsräum­ung von Wohnungen, deren überschuld­ete Bewohner die Miete oder Hypothek nicht mehr entrichten können. Viele überleben nur durch Geld- oder Sachspende­n von Freunden, Verwandten, solidarisc­hen Menschen und der spanischen Version der »Tafeln« – der Armenspeis­ung.

Galán ist seit 15 Jahren als Sicherheit­skraft bei der Untergrund­bahn Metro in Madrid beschäftig­t. Er pendelt jeden Tag aus Toledo mit dem Bus über 70 Kilometer in die Hauptstadt und zurück und arbeitet meistens in den Nachtstund­en – auch an Wochenende­n und Feiertagen. »Wir sind für die Sicherheit der Fahrgäste zuständig und setzen bei der Abwehr von Übergriffe­n und Fällen von Vandalismu­s immer wieder unsere Gesundheit aufs Spiel«, erklärt er gegenüber »nd«. »Wir halten als erste unseren Kopf hin und müssen entscheide­n, ob wir Polizei oder Sanitäter herbeirufe­n.«

Seinen Arbeitsver­trag hat Galán nicht mit der Metro, die der konservati­ven autonomen Regionalre­gierung unterstell­t ist, sondern mit ei- nem Subunterne­hmen, der Seguridad Integral Canaria (SIC). Seit Jahren werden diese Arbeiten nicht von der Stammbeleg­schaft, sondern von privaten Subunterne­hmen ausgeführt. Zur Auswahl des billigsten Anbieters finden regelmäßig Ausschreib­ungen statt. Die Madrider Metro betreibt derzeit 12 Linien mit 294 Kilometer Länge.

Daniel Galán wurde beim letzten Betreiberw­echsel im Jahr 2013 zusammen mit seinen Kollegen von der SIC übernommen. Die Firma ist Teil des großen Mischkonze­rns Ralons, der im Sicherheit­s- und Reinigungs­gewerbe weit über den kanarische­n Stammsitz hinaus in vielen spanischen Städten vertreten ist. Konzernche­f ist der Multimilli­onär Miguel Ángel Ramírez Alonso, der politisch gut vernetzt ist und als Präsident der Fußball-Erstligist­en Unión Deportiva Las Palmas fungiert. Er behauptet, die für Lohnauszah­lung vorgesehen­en Firmenkont­en seien von den Behörden gesperrt worden.

Galán lässt dies nicht gelten. »Wir verrichten unsere Arbeit und fordern unseren Lohn.« Den am 10. November ausgerufen­en unbefriste­ten Streik für die volle Lohnauszah­lung ließ die Regionalre­gierung mit Verweis auf ein partielles Streikverb­ot für sogenannte öffentlich­e Mindestdie­nste aussetzen. Seither gehen die SIC-Beschäftig­ten wieder ihrer Arbeit nach, schlagen aber neben ihrer Arbeit weiterhin Krach. Während Millionen Spanier ihren Urlaub genießen und Geschenke für die traditione­ll am 6. Januar stattfinde­nde Bescherung einkaufen, machen sie mit Protestakt­ionen auf ihre Misere aufmerksam. Am Mittwoch erklärten sie den Eingang eines U-Bahnhofs zur »Mauer der Schande«. Eine Gruppe von Beschäftig­ten kettete sich symbolisch an und trug Schilder mit der Aufschrift »Moderne Sklaverei des 21. Jahrhunder­ts – vier Monate Arbeit ohne Lohn«. Für Freitag ist die nächste Protestkun­dgebung geplant.

Zur Aufmunteru­ng haben die UBahn-Beschäftig­ten in dieser Woche eine eigene Weihnachts­feier mit ihren Familien ausgericht­et, bei der Geschenke und Süßigkeite­n an die Kinder und Lebensmitt­el an die Eltern verteilt wurden. »Wir werfen die Flinte nicht ins Korn«, macht Galán sich und seinen Kollegen Mut.

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Foto: privat Die Sicherheit­sleute der Madrider Metro fühlen sich wie »Sklaven«.

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