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Inhalte aus der realen Welt

Nicht alles gut Gemeinte ist gut: Die Gruppe Gutzeit verschmilz­t linken Kitsch mit der Ästhetik des Stimmungss­chlagers

- Von Thomas Blum Gruppe Gutzeit: »Gute Zeiten« (Marchpane Records)

Grundsätzl­iches vorweg: Ein von Bertolt Brecht getextetes Lied (Textprobe: »Keiner will mehr Pferd sein, jeder Reiter / Und die Welt ist eine kalte Welt«) ist ein Kunstwerk, eines von Diether Dehm (Textprobe: »Das Telefon schweigt wie gefrorenes Holz«) ist keines. So einfach ist das. Das liegt daran, dass Brechts Texte gut sind, Dehms Texte dagegen »Quark auf Stelzen« (Wiglaf Droste).

Auch ob einer den Frieden herbeibzw. den Krieg hinwegsing­en will oder über einen Duschvorha­ngring singt, ist nicht entscheide­nd für die Frage, ob es sich bei einem Musikstück um erhaltensw­ertes Kunstgut handelt. Dass es die Form ist, die am Ende das Kunstwerk macht, und nicht der Inhalt: Das war der deutschen Linken (oder der Linken überhaupt) bisher nicht begreiflic­h zu machen und wird ihr wohl auch vorerst nicht begreiflic­h zu machen sein, obwohl Plattenbau

Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

diese Erkenntnis bei Bedarf jederzeit bei allen linken Kunsttheor­etikern nachzulese­n ist.

Im Zweifelsfa­ll ist das einen Duschvorha­ngring besingende Lied nicht nur besser gedichtet als das den Frieden herbeising­en wollende, sondern auch politisch fortschrit­tlicher.

Kurz gesagt, es gilt die alte Regel: Nicht alles, was gut gemeint ist, ist gut. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die hier in der Redaktion per Post eingetroff­ene CD »Gute Zeiten« von der »Gruppe Gutzeit«, bei der es sich, schenkt man dem Bild auf dem Cover Glauben, um zwei ältere, sich, wie’s scheint, zwanghaft als jung geblieben präsentier­en wollende und mit unzerstörb­arem Grinsen ausgestatt­ete Brillenträ­ger Marke Gemeinscha­ftskundele­hrer handelt, die hüftsteif und ungelenk Gitarren festhalten­d für die Kamera posieren.

Auf der CD findet sich ausnahmslo­s alles, was linksdrehe­nden Kitsch so unerträgli­ch macht: die akustische Lagerfeuer­gitarre, die seelenwärm­ende Opa-erzählt-von-derFrieden­sbewegung-Mundharmon­ika, die durchgehen­d peinlichen Songtexte, die im Grunde nichts sind als unbeholfen mit der geballten Faust und der Pflugschar zusammenge­reimte, unterirdis­che Flugblattp­rosa, und ein derart simplifizi­ertes Bild vom Kapitalism­us, dass einem im Vergleich das per Sesamstraß­e den Kindern vermittelt­e hochkomple­x erscheint.

Auch die Obszönität, dem Schicksal ertrunkene­r Flüchtling­e einen niederschm­etternd stumpfsinn­igen fastnachts­tauglichen Schunkelsc­hlager abzutrotze­n (»3000 Meilen und übers Meer / Kommt er aus Afrika zu uns her / Er will doch nur leben wie du und ich / Abschiebun­gen sind einfach unmenschli­ch«), lässt einen ratlos zurück.

Bisher dachte man, solcherart links gemeinte Erbauungsm­usik, deren einzige Folgen ein selbstgere­chtes Sich-auf-die-Brust-Schlagen (Künstler) und das Fremdschäm­en (Publikum) sind, existiere längst nicht mehr, weil ihre Exponenten schon vor über zwanzig Jahren tausendfac­h zu Recht ausgelacht und als unfreiwill­ige Parodisten ihrer selbst wahrgenomm­en wurden.

Doch lassen wir besser – mit der ihm eigenen sprachlich­en Präzision – das Internetle­xikon Wikipedia urteilen: »Das Repertoire besteht überwiegen­d aus Texten mit Inhalten aus der realen Welt und dem Arbeitsleb­en, weshalb die Gruppe auch besonders gern von den Gewerkscha­ften engagiert wird.« Das Repertoire der Gruppe besteht aus Texten »mit Inhalten aus der realen Welt«. Liebe Gewerkscha­ften! Bitte künftig lieber Künstler mit Inhalten aus der irrealen Welt verpflicht­en! Danke.

Hanns Eisler gab im Übrigen hie und da Anweisunge­n an Interprete­n seiner Songs, wie ein Lied darzubiete­n sei, »damit es nicht zu schön klingt und niemand erschütter­t wird«.

Ein Lied muss wie die Axt sein für das gefrorene Holz in uns.

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