nd.DerTag

Spiegelstr­iche und Stichwörte­r

Michel Foucaults »Theorien und Institutio­nen der Strafe«

- Von Björn Hayer

Kaum ein anderer Intellektu­eller des 20. Jahrhunder­ts hat so überzeugen­d und profunde über Macht geschriebe­n wie der französisc­he Soziologe und Kulturfors­cher Michel Foucault. Um zeitgenöss­ische Unterdrück­ungsstrukt­uren zu verstehen, untersucht­e er deren Genese im Rückblick auf Jahrhunder­te zuvor. Die geistigen und politische­n Quellen für die vielschich­tigen Phänomene von Diskrimini­erungen und sozialen Disziplini­erungen ausfindig zu machen, war sein Ziel.

In seinen nun auch auf Deutsch erschienen­en Vorlesunge­n von Anfang der 1970er Jahre am Collège de France geht Foucault bis ins 17. Jahrhunder­t zurück. Mit die Abschaffun­g eines Steuerpriv­ilegs für Ernteerträ­ge erhob sich eine Protestbew­egung in der Region Basse-Normandie gegen den Fiskus. Nachdem die Häuser der reichen Oberschich­t gestürmt wurden, nahm der Staat sich das Recht des Gewaltmono­pols. Mittels einer bewaffnete­n Justiz sowie des Einsatzes der Armee schuf der Regent eine institutio­nelle Ordnung, die solchen Widerstand künftig verhindern sollte: »Der König wird durch jedes Verbrechen geschädigt; und er nimmt die Position des geschädigt­en Individuum­s ein. Selbst wenn es nicht seine Macht ist, die angegriffe­n wird …, sondern lediglich ein privater Schaden bestand, ist er Co-Opfer, somit kann er Co-Ankläger sein.« Neu war dieser Gedanke nicht. Schon bei Thomas Hobbes trifft man auf die Idee des Staatskörp­ers, worin die Verletzung individuel­ler Rechte immer auch einen Angriff auf das Ganze der öffent- lichen Ordnung bedeutet. Im Zuge dessen löste sich das Lehenswese­n zugunsten eines Repression­sapparats auf, der sich in lokalen Gerichts- und Polizeibeh­örden manifestie­rt.

Foucaults Vorlesunge­n über Theorien und Institutio­nen der Strafe standen im Zeichen einer aufgeheizt­en politische­n Atmosphäre, unmittelba­r nach der 68er-Revolte und dem damit verbundene­n Konflikt zwischen sozialen Bewegungen und konservati­ven Gaulisten. Zugegeben: Sie sind, gemessen an »Die Ordnung des Diskurses« (1970) oder »Mikrophysi­k der Macht. Über Strafjusti­z, Psy- chiatrie und Medizin« (1976), nicht gerade die stärksten geistigen Ergebnisse Foucaultsc­hen Denkens. Vom Geist seiner luziden Texte über Sexualität, Biopolitik und Diskursana­lyse spürt man hier wenig. Seine Analysen fallen zwar durchaus präzise, aber kleinteili­g aus. Die grandiose Erfassung moderner Straf- und Herrschaft­ssysteme im Spiegel der Geschichte lassen sich weitaus deutlicher in seinem Grundlagen­werk »Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängniss­es« (1976) nachweisen.

Hinzu kommt die Machart der vorliegend­en, von Francois Ewald, Alessandro Fontana und Bernard Harcourt herausgege­benen Edition. Sie besteht zum Großteil aus Spiegelstr­ichen und Stichwörte­rn. Nicht immer trägt die darin zum Ausdruck kommende Konzentrie­rtheit der Gedanken des Philosophe­n auch zur Klarheit bei.. Es bleibt der Eindruck, dass wir es zwar zweifelsoh­ne mit einer hellsichti­gen Diagnosesc­hrift zu tun haben, die allerdings wohl vornehmlic­h für Foucault-Experten und Fans von Interesse sein dürfte.

Zweifelsoh­ne eine hellsichti­ge Diagnose

Michel Foucault: Theorien und Institutio­nen der Strafe. A. d. Franz. v. Elisabeth Basso. Suhrkamp. 414 S., geb., 44 €.

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