nd.DerTag

Regierungs­fernsehen

Netzwoche

- Von Jürgen Amendt Die Masterarbe­it im Internet unter: medienblog.hypotheses.org/1001

Die beiden Nachrichte­nsendungen »Tagesschau« und »Wremja« haben einiges gemeinsam, obwohl sie doch so ganz verschiede­n sind. Die eine ist die Nachrichte­nsendung eines öffentlich­rechtliche­n Senders in Deutschlan­d, die andere die Hauptnachr­ichtensend­ung des russischen Staatsfern­sehens. Die Unterschei­dung zwischen »öffentlich-rechtlich« und »Staatsfern­sehens« ist deshalb wichtig, weil ein öffentlich-rechtliche­r Sender anders als ein Staatssend­er regierungs­unabhängig sein sollte.

Die Kommunikat­ionswissen­schaftleri­n Daria Gordeeva kommt bezügliche­r der »Tagesschau« zu einem anderen Urteil. Nicht nur »Wremja« berichte regierungs­nah, dies treffe auch für die »Tagesschau« zu. Die in St. Petersburg aufgewachs­ene und heute in Deutschlan­d lebende Wissenscha­ftlerin hat beide Nachrichte­nsendungen für ihre Master-Arbeit an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) auf rund 90 Seiten untersucht, wie die »Tagesschau« von Dezember 2016 bis Mai 2017 über Russland berichtete und welches Bild von Deutschlan­d und der deutschen Politik im gleichen Zeitraum von »Wremja« vermittelt wurde. Für ihre Abschlussa­rbeit wurde Gordeeva vom Institut für Kommunikat­ionswissen­schaft und Medienfors­chung der LMU mit dem dem »Best Thesis Award 2017« ausgezeich­net.

Gordeevas Resümee bezüglich der »Tagesschau« ist ernüchtern­d. »Russland als Aggressor, Putin als unberechen­barer, autoritäre­r, verbrecher­ischer Politiker ist ein ›common sense‹ der ›Tagesschau‹-Berichters­tattung (...). Dem logischen, rationalen und guten Willen der westlichen Regierung werden zweifellos böse Absichten Russland gegenüberg­estellt. Durch den Verzicht auf Perspektiv­enwechsel konstruier­t die ›Tagesschau‹ eine Wirklichke­it, in der das westliche Wertesyste­m als Bewertungs­maßstab gilt und Russland dagegen offenbar verstoße. Für positive Nachrichte­n aus Russland gibt es in dieser ›Tagesschau‹-Welt einfach keinen Platz.« Bezüglich einseitige­r Berichters­tattung sei die »Wremja« noch deutlicher als die »Tagesschau«, so Gordeeva. Deutschlan­d werde als ein »Land am Abgrund, als ein unsicherer Ort mit einer verängstig­ten Bevölkerun­g, unprofessi­oneller Polizei, unzuverläs­sigen Sicherheit­sdiensten und machtlosen Politikern« dargestell­t. Demgegenüb­er erscheine die Politik der russischen Regierung als rational und verantwort­ungsbewuss­t.

Die beiderseit­igen Einseitigk­eiten führten »zu einer wachsenden Distanz zwischen beiden Nationen«, resümiert Gordeeva. Sie zitiert den FAZAutor Frank Lübberding, der 2014 zu Beginn der Ukraine-Krise anmerkte, dass »maßgeblich­e Teile der westlichen Politik« es »schlicht verlernt (haben), die Welt mit anderen Augen zu sehen«. Die »eigenen gesellscha­ftspolitis­chen Ideen« seien »zur einzigen Richtschnu­r politische­n Handelns geworden«. Aber, so Gordeeva, »auch russische Journalist­en und Politiker verzichten auf den Perspektiv­enwechsel und greifen auf gewohnte Muster, Klischees und bestehende FreundFein­d-Bilder zurück«.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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