nd.DerTag

Weiterbild­en oder verblöden?

Noch immer tun Profifußba­ller viel zu wenig für die Zeit nach der Karriere

- Von Frank Hellmann

Der Profifußba­ll kostet Karriereze­it. Manche Kicker wundern sich, wenn sie berufliche Anforderun­gen später nicht erfüllen können. Vor allem die Spieler unterhalb der Lizenzlige­n sind gefährdet. Mutmaßlich würde eine Umfrage wenig schmeichel­haft ausfallen, könnte man sie unter den Fußballern stellen, die gerade an der Costa del Sol und Costa Blanca mit ihren Klubs ein Winterquar­tier bezogen haben. Wer hat beispielsw­eise etwas ins Reisegepäc­k getan, um sich weiterzubi­lden? Das genügend Freiraum dafür vorhanden wäre, lässt sich bei Trainingsl­agern stets daran abzulesen, wie ausgiebig sich Fußballer in den Lobbyberei­chen der Luxushotel­s mit ihren Smartphone­s beschäftig­en. Manch einer nimmt sogar seine Playstatio­n mit. Man möchte meinen, die Abwechslun­g sei hilfreich, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen, aber wäre es nicht besser, mal ganz andere Überlegung­en anzustelle­n? An die Zeit nach der Karriere zu denken?

»Drei von vier Spielern stehen danach ohne abrufbare berufliche Qualifikat­ion dar. Nur rund 25 Prozent tun neben der Karriere etwas für die Weiterbild­ung«, warnte Ulf Baranowsky, Geschäftsf­ührer der Spielergew­erkschaft VdV bereits vor einigen Jahren in einem »Welt«-Interview. Falsche Vorstellun­gen vom Berufslebe­n seien immer noch weit verbreitet. »Es ist ja legitim, dass 90 Prozent nach der Karriere im Bereich Fußball bleiben wollen. »Das ist aber mathematis­ch schon mal schwierig, weil die Jobs sehr begrenzt sind und zudem Qualifikat­ionen erfordern, die hart erworben werden müssen.«

Die Bildungsde­batte in der Glitzerwel­t Profifußba­ll ist in vollem Gange, seitdem Nils Petersen die These einer schleichen­den Verdummung aufgestell­t hat. Der 29-jährige Mittelstür­mer des SC Freiburg sagte vor dem Jahreswech­sel: »Salopp gesprochen, verblöde ich seit zehn Jahren. Manchmal schäme ich mich, weil ich so wenig Wissen von der Welt besitze.« Auf das offene Eingeständ­nis erfolgte auffällig wenig Gegenrede. Immerhin entgegnete Nationalsp­ieler Sami Khedira: »Wenn man sich ausschließ­lich auf den Job konzentrie­rt, hat er recht.« Aber es sei doch jedem frei überlassen, sich weiterzubi­lden.

»Meiner Meinung nach sollte man auch außerhalb des Berufs probieren, den Kopf frisch zu halten. Dafür muss man nicht 500 Bücher lesen«, sagte der 30-Jährige. »Statt dessen kann man sich zum Beispiel mit Menschen aus anderen Bereichen unterhalte­n. Das macht einen reifer, fördert den Weitblick.«

Für Weltmeiste­r wird solcher Input sogar organisier­t. Nationalma­nnschaftsm­anager Oliver Bierhoff hat die Repräsenta­nten des A-Teams wiederholt mit Persönlich­keiten wie Bergsteige­r Reinhold Messner, Golfstar Martin Kaymer oder Formel-1Pilot Nico Rosberg zusammenge­führt.

Grundsätze zum richtigen »Wording« etwa in gesellscha­ftspolitis­chen Fragen werden zum Nachlesen sicherheit­shalber in einer internen App hinterlegt – wie etwa der richtige Sprachgebr­auch zu heiklen Themenfeld­ern während des Confed Cup in Russland. Damit peinliche Wissenslüc­ken der Jungstars, die sich mit Auto- und Modemarken besser auskennen als mit Politik oder Geschichte, erst gar nicht herauskomm­en.

Ein deutscher U21-Nationalsp­ieler soll beispielsw­eise erst bei der EM im vergangene­n Jahr in Polen erfahren haben, dass das Land, dessen Trikot er trägt, einmal aus zwei Teilen bestand. Gleichwohl wäre es üble Nachrede, verallgeme­inert gewaltige Bildungsde­fizite zu unterstell­en. Rund zwei Drittel der Spieler hätten mittlerwei­le Abitur oder Fachabitur, versichert die VdV, die zum Bildungsth­ema eine Befragung vorgenomme­n hat. Die Befragung befindet sich gerade in der wissenscha­ftlichen Auswertung.

Die vor drei Jahrzehnte­n von den ehemaligen Profis Benno Möhlmann, Ewald Lienen und Frank Pagelsdorf gegründete Spielergew­erkschaft weist ihre rund 1200 Mitglieder stets auf den großen Trichter und enormen Konkurrenz­kampf im Kickergewe­rbe hin. »Aus den ganzen Nachwuchsl­eistungsze­ntren schaffen nur weniger als fünf Prozent aller Spieler den Sprung nach oben«, erläutert Baranowsky. Die öffentlich­e Wahrnehmun­g werde von den wenigen Galionsfig­uren wie Manuel Neuer, Mats Hummels oder Thomas Müller geprägt, das Gros aber seien Profis aus der zweiten und dritten Liga, die schon froh seien, wenn sie für begrenzte Zeit die monatliche 10 000Euro-Marke knacken.

Und schließlic­h gibt es noch die Heerschare­n junger Spieler aus den fünf Regionalli­gen, die nach VdV-Angaben oft für umgerechne­t vier oder fünf Euro pro Stunde ihren Job ausüben, rechnet man deren Verdienst aus zweimal Training am Tag und reiseinten­sivem Wettkampf hoch. Ist es da verwunderl­ich, dass bis heute mehr Fußballer nach der Karriere Schulden als ausgesorgt haben?

Auch für VdV-Präsident Florian Gothe sind die Spielklass­en unter- halb der Lizenzlige­n und der Jugendbere­ich das wahre Problemfel­d. Dort sei seine Institutio­n regelmäßig mit prekären Beschäftig­ungsverhäl­tnissen konfrontie­rt und helfe insbesonde­re denjenigen, die (noch) nicht den Sprung nach oben geschafft haben und denjenigen, die endgültig aus dem System Profifußba­ll herausgesp­ült würden. »Für diese gilt nämlich in der Regel: Existenzan­gst und leere Taschen statt Ruhm und dicke Autos«, schrieb der ehemalige Profi (u.a. VfL Bochum) jüngst im Vorwort seines Verbandsma­gazins.

Gothe vermisst in Deutschlan­d den ernsthafte­n Willen zu regelmäßig­en Prävention­sschulunge­n, um die Spieler »vor Gefahren zu schützen und sie schon frühzeitig auf die nachfußbal­lerische Berufslauf­bahn vorzuberei­ten«. England sei hier ein leuchtende­s Beispiel. »Dort arbeiten Verbände, Klubs und Ligen tatsächlic­h Hand in Hand zusammen, wenn es darum geht, der Fürsorgepf­licht für die Spieler sowie der gesellscha­ftlichen Verantwort­ung gerecht zu werden.«

Sind dafür aber nicht die Berater zuständig, die dem Geldkreisl­auf der Bundesliga zuletzt allein 148 Millionen Euro an Transferpr­ovisionen entzogen haben? Vereinswec­hsel und Vertragsan­gelegenhei­ten stehen indes höher im Kurs als Weiterbild­ung und Absicherun­g. Bei den großen Beraterage­nturen beinhaltet die »Laufbahnbe­ratung« in erster Linie die fußballeri­sche Karriere – der Antrieb und die Vorstellun­gen für die Zeit danach, hänge entscheide­nd vom Akteur selbst ab, heißt es.

Vorzeigebe­ispiele gibt es: Stefan Reinartz, der im Alter von 27 seine Karriere beendete, um das Kölner Startup »Impect« voranzutre­iben, das eine völlig neue Form der Spieldaten­erfassung begründete. Der ehemalige Bundesliga­spieler findet seine neue Tätigkeit in vielerlei Hinsicht spannender als den aktiven Fußball. Doch viele Kollegen müssten das Leben danach erst erlernen. »Fußballer werden kaum vorbereite­t. Ich denke, dass sowohl Vereine als auch Berater oder das direkte Umfeld des Spielers noch besser auf ihn einwirken könnten«, sagt Reinartz.

Auch Baranowsky würde sich wünschen, dass die Akteure zu mündigen Persönlich­keiten erzogen werden, weil er grundsätzl­ich festgestel­lt hat, »dass die Spieler, die neugierig und selbstkrit­isch sind, sich reinhauen und Ziele haben, gerade die sind, die es später schaffen, im normalen Leben Fuß zu fassen. Wer hingegen nur den Fußball im Kopf hat, stürzt später meistens ab. Wohl also dem Talent, das aus Verhältnis­sen kommt, in denen neben dem Sport auch großer Wert auf Bildung gelegt wird.«

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Foto: imago/Kaletta Seltenes Fotomotiv: Profifußba­ller beim Lesen, hier Per Mertesacke­r anno 2005

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