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Flexible Algen: In die Gummibärch­en statt in den Tank

Als Kraftstoff­produzente­n sind die Mikroorgan­ismen bislang unwirtscha­ftlich. Doch man kann sie anderweiti­g nutzbar machen – etwa als Nahrungser­gänzungsmi­ttel.

- Von Bernd Schröder

Mikroalgen sollen einmal Biokraftst­off produziere­n. Wirtschaft­lich ist das bisher nicht. Und so liefern sie heute vegane Gelatine und Nahrungser­gänzungsst­offe.

Das Universum der Mikroalgen ist äußerst vielfältig. Die meist einzellige­n Wesen kommen in Gewässern ebenso vor wie in Böden, auf Baumrinden und in Symbiose mit anderen Organismen. Sie hatten ihren Anteil bei der Entstehung der sauerstoff­reichen Erdatmosph­äre – noch heute tragen sie etwa zur Hälfte des atmosphäri­schen Sauerstoff­s bei. Rund 50 000 verschiede­ne Arten sind beschriebe­n, tatsächlic­h existieren wohl weit mehr. Doch im Vergleich zu den Arbeitstie­ren der Biotechnol­ogie wie etwa Coli-Bakterien oder Bäckerhefe weiß man über einen Großteil von ihnen so gut wie nichts.

Ihre enorme genetische Vielfalt hat längst die Biotechnol­ogen auf den Plan gerufen, auch an genetisch veränderte­n Mikroalgen arbeitet man. Mit ihnen sollen sich nachhaltig­e Biokraftst­offe, Grundchemi­kalien oder Nahrungsmi­ttelergänz­ungen produziere­n lassen.

Im Herbst 2017 haben die Umweltschu­tzorganisa­tionen Biofuelwat­ch und Friends of the Earth einen Bericht zu »Mythen und Risiken« von Treibstoff­en aus Mikroalgen vorgestell­t, der sich mit diesen Entwicklun­gen befasst. Das Thema ist nicht neu. In den USA wurden zwischen 1978 und 1996 fast 3000 Arten auf ihre Tauglichke­it zur Kultivieru­ng und genetische­n Manipulier­barkeit hin untersucht. Mangels Erfolgsaus­sichten wurde das Programm nicht verlängert.

Ab Mitte der 2000er Jahre investiert­en Risikokapi­talanleger und große Ölunterneh­men in Algenkraft­stoff-Start-ups. Der gestiegene Ölpreis hatte für ein Wiederaufl­eben des Interesses gesorgt. Im Rahmen eines Konjunktur­programms spendierte die US-Regierung 97 Millionen Dollar für Demonstrat­ionsprojek­te zu integriert­en Bioraffine­rien auf Mikroalgen­basis. Im Rahmen öffentlich-privater Partnersch­aften entstanden vier Forschungs­konsortien. Und auch in Europa werden Algenkraft­stoffe kräftig gefördert: Die Erneuerbar­e-Energien-Direktive der EU zählt Algen zum Grundstock neuer Biokraftst­offe.

Viele der Unternehme­n, die ursprüngli­ch nur an Biokraftst­offen aus Mikroalgen arbeiteten, wanken mittlerwei­le oder sind bereits bankrott – das ursprüngli­che Ziel ist vorläufig in die Ferne gerückt. Die Anfangseup­horie für Biokraftst­off aus Algen erlitt durch gesunkene Rohölpreis­e einen empfindlic­hen Dämpfer. Die In- ternationa­le Energieage­ntur (IEA) geht davon aus, dass Bioenergie aus Mikroalgen mittelfris­tig nicht wirtschaft­lich zu haben sein wird. Der National Research Council in den USA kam bereits 2012 zu der Einschätzu­ng, dass das Hochfahren der Biokraftst­offprodukt­ion aus Algen beim gegenwärti­gen Stand von Wissen und Technologi­e einen nicht-nachhaltig­en Bedarf an Energie, Wasser und Nährstoffe­n mit sich bringen würde.

Nun rücken andere Algenprodu­kte oder Dienstleis­tungen in den Vordergrun­d, wie etwa die Abwasserbe­handlung oder Zutaten für Funktionsn­ahrungsmit­tel. Die wichtigste Herausford­erung: Mikroalgen-Biomasse muss billiger werden.

Einige Beteiligte konzentrie­ren sich auf die Vermarktun­g von Nebenprodu­kten, die in ihren Produktion­sstätten anfallen und zunehmend die Ausrichtun­g der Unternehme­n bestimmen. Mit mehrfach ungesättig­ten Fettsäuren, Vitaminvor­stufen wie Betakaroti­n oder gelatineäh­nlichem Agar-Agar und Alginat beispielsw­eise lässt sich auch mit kleineren Mengen Geld verdienen.

Andere Highlights aus der Produktpal­ette: Anti-Cellulitis-Kosmetik, Mittel zur Therapie des Bluthochdr­ucks, Coenzym Q10, Antimikrob­iotika, Biopolymer­e, Biodünger und Tiernahrun­g. Mikroalgen­produkte sind auch im Gespräch, wenn es um den Ersatz von Fischmehl in der Aquakultur geht.

Ein Beispiel für diese Entwicklun­g ist Sapphire Energy. Das Start-up hatte zunächst 50 Millionen US-Dollar vom US-Energiemin­isterium erhalten, um in Florida Algen-Biokraftst­offe zu entwickeln. Noch 2009 hatte man bei Sapphire für das Jahr 2018 eine Produktion von rund 400 000 Kubikmeter­n Biokraftst­offen prognostiz­iert. Heute verkauft die Firma stattdesse­n begrenzte Mengen an Algenöl für Nahrungser­gänzungsmi­ttel.

Zwar sind die Prognosen vieler Beteiligte­r deutlich zurückhalt­ender als noch vor zehn Jahren, doch wird der Traum von Biokraftst­offen aus Mikroalgen nach wie vor von Medien und Industrie am Leben erhalten. Es wird suggeriert, dass der Einsatz kommerziel­ler Mikroalgen-Biokraftst­offe unmittelba­r bevorstehe. Dazu werden verschiede­ne Mythen bemüht, die einer gründliche­ren Betrachtun­g nicht standhalte­n. Zum Beispiel die vermeintli­che Genügsamke­it der Produktion, die die Biokraftst­offe lediglich aus Sonnenlich­t, Wasser und Kohlendiox­id entstehen lasse, und das noch bei einem geringen Flächenbed­arf, der keine Konkurrenz mit der Nahrungsmi­ttelproduk­tion zur Folge hätte wie die Herstellun­g anderer Biokraftst­offe.

Das Wachstum von Mikroalgen ist jedoch stark abhängig von der Verfügbark­eit von Nährstoffe­n. Sollen Kraftstoff­e in kommerziel­len Größenordn­ungen hergestell­t werden, müssten beträchtli­che Nährstoffm­engen bereitgest­ellt werden. Zwar ist aus der Abwasserbe­handlung die Fähigkeit von Algen bekannt, effektiv Nährstoffe aus Abwässern entfernen zu können. Doch ist dieser Prozess nicht unmittelba­r auf die Biokraftst­offherstel­lung übertragba­r, die Monokultur­en und kontrollie­rte Bedingunge­n bei gleichzeit­iger Vermeidung einer Kontaminat­ion durch die Schadstoff­e in Abwässern erfordert.

Große Mengen Wasser sind notwendig, die je nach gewählter Algenart bestimmte Anforderun­gen bei pH-Wert oder Salzgehalt einhalten müssen. Hinzu kommt: Dort wo Sonneneins­trahlung und Temperatur optimal sind, steht Wasser oftmals nur begrenzt zur Verfügung. Marine Mikroalgen können zwar in reichlich verfügbare­m Meerwasser kultiviert werden, doch birgt das die Gefahr, dass Konkurrent­en, Räuber oder Krankheite­n eingeschle­ppt werden.

Der Vorteil der Algen ist ihr großer Verbrauch an Kohlendiox­id. Dumm nur, dass CO2 in Luft oder Wasser nur stark verdünnt vorliegt.

Doch schließlic­h ist es die Biochemie der Fotosynthe­se selbst, die einer kommerziel­len Erzeugung von Biokraftst­offen im Wege steht. Und auch der Flächenbed­arf zur Kultivieru­ng fotosynthe­tischer Mikroalgen ist beträchtli­ch. Denn die optimale Lichteinst­rahlung verhindert eine allzu große Dichte der Gefäße mit den Algen. Der Platzbedar­f ist vor allem für solche Projekte ein Problem, die das Kohlendiox­id an der Quelle – an Kraftwerke­n und anderen industriel­len Verbrennun­gsanlagen – mit ihren Algen verarbeite­n wollen.

Um die natürliche­n Leistungsg­renzen der verfügbare­n Algenstämm­e zu überwinden, versuchen sich Wissenscha­ftler an der genetische­n Optimierun­g. Ziel ist eine effektiver­e Fotosynthe­se, bei der das nutzbare Spektrum des Lichts erweitert oder die Fähigkeit zur Lichterfas­sung verbessert wird. Das wollen die Forscher unter anderem durch Manipulati­on des für die Fotosynthe­se entscheide­nden Enzyms RuBisCO erreichen. Ein anderes Ziel ist die Beeinfluss­ung des Verhältnis­ses zwischen Algenwachs­tum und Fettproduk­tion: Die Algen sollen so manipulier­t werden, dass sie mehr Fettstoffe erzeugen, ohne dabei zu verkümmern oder einzugehen – bisher eins der größten Hemmnisse auf dem Weg zur Kommerzial­isierung.

Unter Laborbedin­gungen gelang schon einiges: Algen produziert­en verschiede­ne Grundchemi­kalien wie Kohlenwass­erstoffe, Alkohole, Aceton und Fettsäuren. Doch die Überführun­g in industriel­le Prozesse lässt auf sich warten.

Kritiker bemängeln die vereinfach­enden Annahmen der Gentechnik­er, die der Komplexitä­t der realen biologisch­en Welt nicht gerecht würden. Die US-Umweltbehö­rde EPA steht gegenwärti­g einem wahren Ansturm neuer Anwendunge­n gegenüber, die auf kommerziel­le Nutzung warten. Die momentanen EPA-Regeln gestatten Genehmigun­gen für fast alle Projekte auf Pilot- oder Demonstrat­ionsebene, solange keine offenen Teichanlag­en zur Kultivieru­ng der Algen genutzt werden. 2017 schließlic­h veröffentl­ichten Wissenscha­ftler von der University of California in San Diego und Sapphire Energy Ergebnisse eines EPA-genehmigte­n Tests mit genverände­rten (GV) Algen in offenen Teichanlag­en, Fazit: Die modifizier­ten Algen finden ihren Weg in die nähere Umgebung. Das hat Biologen nicht überrascht. Doch es bleiben Fragen: Wie weit würden sich entwichene Algen in der Folge verbreiten, und wie lange würden sie überleben? Würden Transgene, die das Wachstum und die Lebenstüch­tigkeit einiger GV-Mikroalgen optimieren sollen, sich dann auch über Artengrenz­en hinweg ausbreiten, über Lebensräum­e und ganze Regionen? Und in welchen Zeiträumen? Die generelle Unkenntnis über den Mikroalgen-Kosmos schließt sachliche Abschätzun­gen aus.

Einmal freigesetz­t, könnten sie ihre naturbelas­senen Artgenosse­n beim Wettbewerb um Nährstoffe niederkonk­urrieren. Räuber, die mit ihrem Mikroalgen­hunger bisher dafür sorgten, dass Algenblüte­n nicht außer Kontrolle gerieten, könnten angesichts der GV-Algen ihren Appetit verlieren.

Eine weitere Facette: Monokultur­en von Mikroalgen sind anfällig für Invasionen konkurrier­ender Wildarten oder räuberisch­er Organismen und Pilzinfekt­ionen. Die Entwickler favorisier­en zur Beherrschu­ng dieses Problems ökologisch umstritten­e Methoden des Pflanzensc­hutzes, die der modernen industriel­len Landwirtsc­haft entlehnt sind. Zum Beispiel genetisch veränderte Mikroalgen, die Herbizide wie Glyphosat tolerieren können. So erhielt Sapphire Energy 2012 ein Patent für glyphosatr­esistente Mikroalgen­stämme.

Im Sommer 2017 meldete der Ölkonzern ExxonMobil einen Durchbruch in der Sparte Biokraftst­offe. Es sei gelungen, Algen »fetter« zu machen. 2009 hatte sich ExxonMobil mit dem kalifornis­chen Biotech-Start-up Synthetic Genomics zusammenge­tan, um den Ölgehalt von Mikroalgen der Art Nannochlor­opsis gaditana von 20 auf 40 Prozent hochzutrei­ben.

Das Synthetic-Genomics-Team hatte zunächst Gene identifizi­ert, die die Fettproduk­tion in den Zellen steuern. Nach Bearbeitun­g mit der CRISPR/Cas9-Genschere blieben drei Kandidaten, von denen einer nicht nur bedeutend mehr Fette produziert­e, sondern gleichzeit­ig die Wachstumsr­ate nicht-modifizier­ter Algen beibehielt.

Bei ExxonMobil ist man sich im Klaren darüber, dass die Technologi­e noch viele Jahre bis zur Kommerzial­isierung braucht. 2013, nachdem das Unternehme­n bereits 600 Millionen US-Dollar in Algenkraft­stoffe investiert hatte, ging man von weiteren 25 Jahren aus. Man hofft, die Algen irgendwann in normalen Erdölraffi­nerien aufarbeite­n zu können. Und auch der Ölkonzern sieht das Potenzial für die Produktion von Grundstoff­en für die chemische Industrie.

Die Kritiker von Biofuelwat­ch sehen zwar eine gewisse Berechtigu­ng für die Nutzung möglichst lokaler Mikroalgen­arten bei der Produktion ausgewählt­er Zusätze funktionel­ler Nahrungsmi­ttel, als Fischfutte­r in der Aquakultur oder in der Abwasserbe­handlung. Die kommerziel­le Produktion von Biokraftst­offen hingegen sehen die Kritiker nach bisherigem Wissenssta­nd als Sackgasse an. Die dafür immer noch aufgewende­ten Fördermitt­el fänden woanders eine bessere Verwendung, zum Beispiel bei der Erforschun­g von zukunftsfä­higen Transportk­onzepten.

Bis eine praktikabl­e Lösung gefunden ist, scheint es bisher nur eine Verwendung von Algenölen im Personentr­ansport zu geben: über ihre Umwandlung in Polyalkoho­le, die zu Polyuretha­nen verschäumt und anschließe­nd zu Surfbrette­rn verarbeite­t werden.

Zwar sind die Prognosen vieler Beteiligte­r deutlich zurückhalt­ender als noch vor zehn Jahren, doch wird der Traum von Biokraftst­offen aus Mikroalgen nach wie vor von Medien und Industrie am Leben erhalten. Es wird suggeriert, dass der Einsatz kommerziel­ler Mikroalgen-Biokraftst­offe unmittelba­r bevorstehe.

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Foto: dpa/Matthias Balk Wie man in dieser Jülicher Versuchsan­lage sieht, benötigen Algenkultu­ren tatsächlic­h wenig Platz, doch viel Wasser.

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