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Viktor Orban – ein Besuch vom »Berufsrevo­lutionär«

CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt lässt sich bei seiner Revolution­sidee vom ungarische­n Ministerpr­äsidenten inspiriere­n

- Von Florian Haenes

Als die Fidesz-Partei in eine Krise geriet, suchte Viktor Orban Rat bei der CSU. Sechzehn Jahre später sind es die Christsozi­alen, die hilfesuche­nd nach Ungarn blicken. Eine Revolution strebt CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt also an. Besorgnis, wie sie ZDF-Journalist­in Marietta Slomka am Donnerstag­abend im »heute journal« äußerte, lächelt er einfach weg: Er könne ihrer »Überinterp­retation« des Revolution­sbegriffs überhaupt nicht folgen. Systemwech­sel, Aufstand, radikaler Wandel – nichts davon hätte er im Sinn.

Wirklich? Beabsichti­gt Dobrindt mit einem Revolution­sessay in der Tageszeitu­ng »Die Welt« bloß, den »Protestwäh­lern eine Stimme zu geben«? Oder testet Dobrindt seine Skrupel? Wie weit würden er und die CSU gehen? Um über diese Fragen Klarheit zu erlangen, muss man nach Ungarn blicken. Dort regiert Victor Orban, ein gefeierter Held der Christsozi­alen.

Der ungarische Ministerpr­äsident ist am Freitag auf Einladung Dobrindts zum fünften Mal in vier Jahren nach Bayern gereist. Es ist das erste offizielle Aufeinande­rtreffen mit der CSU-Spitze, seit das Europäisch­e Parlament im April vergangene­n Jahres ein Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen das Vorgehen von Orbans Fidesz-Regierung eingeleite­t hat. Immer noch sucht man kritischen Stimmen vergeblich. Orban wird in Bad Seeon abermals verehrt.

Dieser Besuch ist mehr als ein PRGag. Er deutet darauf hin, in welche Richtung die CSU-Spitze ihre Partei ausrichten will.

Zwischen 1998 und 2002 amtierte Orban – damals noch Vorsitzend­er einer liberalen Partei – das erste Mal als Ministerpr­äsident. Doch er wurde abgewählt und ein Sozialdemo­kat folgte ihm ins Amt. »Die Abwahl hat ihn sehr geprägt, nahezu fassungslo­s musste er die Macht an die Sozialiste­n zurückgebe­n, denen er sie erst vier Jahr zuvor abringen konnte«, schildert die CSU-nahe Hanns-Seidel-Siftung Orbans Gemütsverf­assung in einem Analysepap­ier.

Ähnlich fassungslo­s nehmen CSUPolitik­er in diesen Wochen demoskopis­che Umfragen zur Kenntnis. Bei der Landtagswa­hl im Herbst droht der CSU ein dramatisch­er Stimmenver­lust. Hoffnung schöpft man aus dem Beispiel Orban: Denn der ließ sich nach seiner Niederlage von der CSU beraten, kopierte und radikalisi­erte ihr Konzept. Die Seidel-Stiftung frohlockt: »Orban wandelte Fidesz von einer liberalen zu einer konservati­ven Partei um (...). Er hat danach seine Partei noch weiter rechts-konservati­v positionie­rt, Werte wie Familie, Glaube an Gott und die Nation rückten bei dem fünffachen Familienva­ter Orban mehr in den Vordergrun­d.«

Orban ist also ein Kind der CSU. Nicht ausgeschlo­ssen, dass der einfache Familienva­ter Dobrindt und die vierfachen Familienvä­ter Seehofer und Söder sich nun umgekehrt die Fidesz-Partei zum Vorbild machen. Doch wie weit dürfen sich konservati­ve Demokraten nach rechts wagen?

Eine Frage, die seit Jahren die Fraktion der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) im Europaparl­ament umtreibt. Die Extremposi­tionen besetzen dort auf der einen Seite die liberalkon­servativen Abgeordnet­en der polnischen Bürgerplat­tform (PO). In Polen befinden sie sich in der Opposition und fürchten um ihre Freiheit. Auf der anderen Seite: die zwölf Abgeordnet­en der rechtskons­ervativen Fidesz-Partei. Ihr Chef – Viktor Orban – stützt die in Polen regierende und ebenfalls rechtskons­ervative Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS). Die PO-Abgeordnet­en sagen deshalb: »Ihr oder wir« und fordern den Ausschluss von Fidesz. Zwischen den Fronten: Fraktionsc­hef Manfred Weber, stellvertr­etender Vorsitzend­er der CSU.

Die Spaltung der Konservati­ven in Liberale und Autoritäre verläuft mit- ten durch die EVP. Zwar distanzier­en sich inzwischen viele Mitglieder von Fidesz. Doch Fraktionsc­hef Weber will ihre Abgeordnet­en nicht ausschließ­en. Er begründet es damit, dass er die Fraktionen von EUSkeptike­rn und Rechtsextr­emen nicht stärken will. Besänftigu­ng durch Integratio­n – das scheint die Strategie. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass Fidesz in Ungarn erfolgreic­h ist und die PO in Polen gescheiter­t.

Nach Franz Josef Strauß heißt konservati­v sein, an der Spitze des Fortschrit­ts zu stehen. Zwar hat sich Alexander Dobrindt im ZDF-Gespräch zu diesem Sinnspruch des liberalen Konservati­smus bekannt. Jedoch trauen viele CSU-Wähler ihrer Partei nicht mehr zu, den liberalen Fortschrit­t mit dem Konservati­smus zu versöhnen. Die Erdrutschs­iege von Fidesz und PiS sind für die CSU eine Verlockung. Wenn sie ihre Skrupel ablegt, wird sie von Viktor Orban noch viel lernen können.

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