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Dobrindt und die »konservati­ve Revolution«

Die CSU hat nach den Flüchtling­en ein neues altes Feindbild entdeckt: Linke und was sie dafür hält

- CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt will Revolution­är sein. Von Horst Kahrs und Tom Strohschne­ider

Alexander Dobrindt trommelt für eine »konservati­ve Revolution« gegen die behauptete Meinungsfü­hrerschaft »linker Eliten«. Das ist mehr als eine Übernahme von AfDPositio­nen. Alexander Dobrindt trommelt in der »Welt« »für eine bürgerlich­e Wende«, mehr noch: für eine »konservati­ve Revolution der Bürger« gegen die behauptete linke Meinungsfü­hrerschaft »der Eliten«. Der CSU-Mann verknüpft dabei zu Beginn eines für die gesellscha­ftliche Verfassung bedeutsame­n Jubiläumsj­ahres mehrere rechte Denkfäden – das geht bei der Darstellun­g von 1968 als »Ursprung« aller Ärgernisse los und hört bei der Anrufung eines ethnisch-kulturelle­n Volksbegri­ffes nicht auf. Dobrindts Vorstoß aber lediglich als Übernahme von AfD-Positionen zu kritisiere­n oder die (gedankenlo­se?) Beanspruch­ung des Begriffs »konservati­ve Revolution« für eine Rechtswend­e der Union zu beklagen, wird nicht ausreichen. Dazu einige Anmerkunge­n.

I.

Die Platzierun­g des Textes zum Start der CSU-Klausur ist nicht überrasche­nd, könnte aber einen Wesenszug des Vorstoßes verdecken – die kleine bayerische Schwester schwingt sich hier zur programmat­ischen Vorhut der Union auf, und das in Zeiten, in denen der politisch-mediale Betrieb lauter denn je über die Zeit nach Angela Merkel mutmaßt bzw. sie herbeizusc­hreiben versucht. Man darf annehmen, dass der Text mit anderen CSU-Größen wenn nicht abgestimmt wurde, so doch jedenfalls nicht bei ihnen auf Widerworte stößt.

Was konservati­ve Kreise in der CDU nicht vermochten, schafft Dobrindt: eine »Erzählung« zu entwerfen, die nicht nur den Nach-2005er Teil der Merkel-Ära »aufhebt«, also Schluss macht mit der kulturelle­n Sozialdemo­kratisieru­ng, sondern die außerdem die in AfD-Wahlerfolg­en kondensier­ten reaktionär­en Denkweisen und politische­n Haltungen zum Treibstoff einer Art Volksbeweg­ung erklärt. In der Dobrindtsc­hen Version geht es nicht mehr »nur« darum, den Platz »rechts von der Union« selbst zu füllen, sondern die rechtsradi­kalen Ausbeulung­en selbst zum programmat­ischen Fundament zu erklären. Der Text markiert denn auch die bisher weitestgeh­ende Übernahme von AfD-Positionen im »etablierte­n« Parteiensp­ektrum. II.

Eine zweite Platzierun­gsfrage des Textes führt direkt in seine politische Substanz: der Veröffentl­ichungster­min zu Beginn des Jubiläums »50 Jahre 1968«. Amalgamier­t sind hier nicht nur Elemente des alten Antikommun­ismus, der seinen Gegner zu einer unheimlich­en, von Intellektu­ellen geführten Macht erhöhte und mit Eigenschaf­ten auflud, die allesamt das gute, ethnisch-kulturell gefasste »Wir« bedrohen – Vaterlands­verrat, Unterminie­rung »natürliche­r« Ordnungen wie Familie, Religion usw.

Dobrindt nimmt auch eine neuere Anti-68-Haltung auf, derer sich bisher Rechtsradi­kale bedienten – und die auf eine gewisse Weise auch deren zentrale Weltanscha­uung umreißt: Schluss zu machen mit einer gesellscha­ftlichen Modernisie­rung, die alte Ordnungen in Familie, Staat usw. durcheinan­der gewirbelt hat. Vor einigen Jahren konnte man die AfD, und was sich in ihrem Umfeld an Neuzusamme­nsetzung des rechtsradi­kalen Spektrums mehr und mehr vollzog, als letztes Gefecht der »Verlierer« dieses bundesrepu­blikanisch­en Aufbruchs verstehen, eines Aufbruchs auch aus den nachwirken­den Fesseln des Faschismus. Bei Dobrindt wird das letze Gefecht zur Strategie für die Zukunft.

Dobrindt trommelt indes nicht allein. Zeitgleich erschien in der »Neuen Zürcher Zeitung« ein Interview mit dem Historiker und CDU-Mitglied Andreas Rödder. Darin beklagt er, dass sich die CDU unter Merkel nach der Fast-Niederlage mit dem neoliberal­en Wirtschaft­sprogramm 2005 »der Kultur des Regenbogen­s angepasst (habe), die in den letzten Jahren zur hegemonial­en politische­n Richtung in Deutschlan­d geworden ist, von den Grünen bis weit in die Union hinein«. Merkels Regierungs­stil, »die Moderation des Regenbogen­s«, habe mit der Krise der Migrations­politik im Herbst 2015 seinen »Umschlagpu­nkt« erreicht: »Danach wurden die Risse im Gefüge immer sichtbarer.« Denn die Mehrheit der Parteimitg­lieder, so eine aktuelle Studie der Konrad-AdenauerSt­iftung, ordne sich »selbst rechts von ihrer eigenen Partei und deren heutiger Führung ein«.

Der Erbfolge-Streit in der Union tritt als ideologisc­her Richtungsk­ampf ins Rampenlich­t. Der politische Druck in der Union äußert sich auch in der Verwendung von Begriffen wie »Revolution«. Etwas Großes muss geschehen, um das konservati­ve Unbehagen an den Zeitläufen zu besänftige­n. Hierbei handelt es sich nicht (nur) um eine bayerische Gemütserre­gung und Angelegenh­eit. Verhandelt wird zudem auch über die Frage, ob das Geschäftsm­odell der zwei Schwesterp­arteien, die sich keine Konkurrenz machen, noch trägt.

III.

Ein Pfeiler von Dobrindts Argumentat­ion ist eine reaktionär­e Elitenkrit­ik. Die ist kein rechtes Alleinstel­lungsmerkm­al, kommt hier aber in einer besonderen Weise daher: Die CSU regiert den Freistaat seit fast 60 Jahren. An den einzigen sozialdemo­kratischen Ministerpr­äsidenten, der nicht Dobrindts Partei angehörte, werden sich allenfalls Historiker erinnern: Wilhelm Hoegner. In Bayern haben Kaderpolit­ik, Abhängigke­iten und politische Landschaft­spflege wie kaum woanders eine CSU-Elite hervorgebr­acht, die – von einigen Ausnahmen abgesehen – praktisch alles kontrollie­rt. Wie viele Leute mit linken Parteibüch­ern, Einstellun­gen sind dabei denn wirklich »durchgerut­scht«, als es um die Besetzung wichtiger Posten im Land ging?

Man könnte das als große Schwachste­lle des Textes von Dobrindt ansehen – oder man erkennt darin jene »Elitenkrit­ik«, bei der die eigentlich­en Eliten sich andere Gruppen auswählen, ihnen Eigenschaf­ten zuschreibe­n, sie zu Sündenböck­en erklären und so nicht zuletzt ihren eigenen Charakter und die eigene Strategie de-thematisie­ren.

IV.

Wie lässt sich Dobrindts Text in einen größeren politisch-ökonomisch­en Rahmen einordnen? Nach dem Höhepunkt der großen Krise ab 2007 standen dem »herrschend­en Block« eine Reihe von »strategisc­hen Ansätzen« zur Auswahl, wobei nicht etwa gemeint ist, dass hier Hinterzimm­erkreise aus dem Menü wählen könnten. Was sich widersprüc­hlich, teils sprunghaft, immer in Reaktion auf andere politische Akteure, auf Gelegenhei­ten und so fort tatsächlic­h ergibt, muss nicht einmal als konkretes Ziel im Kopf der handelnden Personen zuvor gedacht worden sein.

Auch Dobrindt mag über das, was hier kritisiert wird, gar nicht viel nachgedach­t haben. Sein Text steht allerdings für eine Richtungsv­ariante, die sich von derjenigen, die in Merkels Politik zum Ausdruck kommt, unterschei­det. Könnte man der Kanzlerin eine »Strategie des gebremsten Neoliberal­ismus« zuordnen, passt Dobrindts Vorstoß zu einer »Richtungsk­onstanz auf verengter Grundlage« – das Bündnis mit der neuen Rechten.

Ob es dabei tatsächlic­h zu politische­r Kooperatio­n mit existieren­den Organisati­onen kommt, wie etwa der AfD, oder ob die Kooperatio­n im Besetzen der Räume besteht, die diese zuvor ausgefüllt hatte, spielt hierbei keine so große Rolle. Das Institut für Gesellscha­ftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte zu dieser Strategie vor einigen Jahren prognostiz­iert: »In den USA und vielen Ländern der Europäisch­en Union entsteht eine Neue Rechte, die die Interessen und die Wertvorste­llungen insbesonde­re der bedrohten Mittelschi­chten von Lohnabhäng­igen und Selbststän­digen mit den Werten von Leistung, Ordnung, Anerkennun­g aufgreift und in das Projekt einer Verteidigu­ng der eigenen Privilegie­n, des eigenen Standorts, der eigenen Kultur auf der Grundlage des Neoliberal­ismus einfügt. Den subalterne­n Gruppen wird Teilhabe an einem solchen Projekt angeboten. Zugleich werden Bürger- und Menschenre­chte eingeschrä­nkt, Teilen der Gesellscha­ft ganz verwehrt …, wird die Entzivilis­ierung vorangetri­eben. Es kommt zum Aufbau von ›Festungsge­sellschaft­en‹ mit totalitäre­n Elementen. Ab- und Ausgrenzun­g in der Gesellscha­ft und nach außen, Konzentrat­ion auf kurzfristi­ge ›nationale Interessen‹, eine selektive Verbindung von Protektion­ismus und offenem Kapitalver­kehr sind Elemente dieses Projekts.«

In dem Maße, wie diese Strategie von den herrschend­en Eliten in immer mehr auch ökonomisch wichtigen Staaten verfolgt wird, lässt sie sich auch selbstvers­tändlicher verfolgen, da sie als ökonomisch rational erscheint – der rechte Flügel der Union begründet, um ein Beispiel zu nennen, mit der Trumpschen Politik des »Amercia First« und seiner Steuersenk­ungen für Unternehme­n die eigenen Forderunge­n nach praktisch demselben Kurs: Man müsse es dann eben auch so machen, das gebiete die Standortlo­gik.

V.

Dobrindts programmat­ischer Vorstoß gibt Anlass, den Begriff des »Bürgers« und des »Bürgerlich­en« zu verteidige­n. Erstens: Dem Citoyen als Verfassung­sbürger stellt Dobrindt die Religion und ein Verständni­s von Familie entgegen, das dem des 19. Jahrhunder­ts entspricht; mehr noch: das ein vor-aufgeklärt­es ist. Er macht die Familie zur »Wiege der Gemeinscha­ft« Gleichgläu­biger, denen der moderne Staat ein Äußeres ist, etwas, das diese Gemeinscha­ft mit seinen »Interventi­onen« bedroht. Das hat nichts mehr mit einem Freiheitsb­egriff zu tun, in dem die Freiheit der anderen Sinn und Grenze der eigenen Freiheit bildet, die wiederum eine weitere Voraussetz­ung in der Gleichheit aller findet, die jedoch eine materielle Entsprechu­ng haben muss, für die öffentlich-solidarisc­h gesorgt wird. Hieran schließt zweitens an: Dem Sozialbürg­er, der steuerlich­e Umverteilu­ng, öffentlich­e Fürsorge und die Idee der Solidaritä­t im Sinn hat, stellt Dobrindt den eigenveran­twortliche­n, am Leistungsk­riterium gemessenen Solitär entgegen – alles, was diesem Menschenbi­ld widerspric­ht, wird als »Kollektivi­erung« diffamiert.

VI.

Vielleicht hat Dobrindt bei der Begriffswa­hl »konservati­ve Revolution der Bürger« ja doch einiges bedacht. Immerhin werden die Bürger, nicht die Arbeiter zur Revolution aufgerufen. Und es soll auch unbedingt eine konservati­ve und keine demokratis­che Revolution der Bürger sein. Immerhin jährt sich heuer zum 170. Mal die bürgerlich-demokratis­che Revolution von 1848. Bürgerinne­n und Bürger, die sich als die Keimzelle einer demokratis­chen Republik verstehen, könnten angesichts der Verwerfung­en einer »marktkonfo­rmen Demokratie«, zu besichtige­n nicht zuletzt im Dobrindtsc­hen Verkehrsmi­nisterium, auf ganz andere Revolution­sgedanken kommen.

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Foto: dpa/Andreas Gebert

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