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Erneut opposition­eller Bürgermeis­ter abgesetzt

Türkei: Während die Regierung auf Versöhnung­skurs mit Europa setzt, geht die Verfolgung der Opposition weiter

- Von Jan Keetman

Präsident Erdogan weilt in Paris, der Außenminis­ter besucht Deutschlan­d. Unterdesse­n wurde ein CHPBürgerm­eister in Istanbul abgesetzt und der Ex-Fraktionsc­hef der HDP zu fast 17 Jahren Haft verurteilt. Während die Türkei außenpolit­isch auf Tauwetter gegenüber Deutschlan­d und anderen EU-Staaten setzt, wird die Unterdrück­ung der Opposition und der Medien im Inland mit jedem Tag intensiver. Am Donnerstag verurteilt­e ein Gericht in Diyarbakir den ehemaligen Fraktionsc­hef der linken Opposition­spartei HDP, Idris Baluken, wegen der »Mitgliedsc­haft in und Propaganda für« die verbotene kurdische Arbeiterpa­rtei PKK zu 16 Jahren und acht Monaten Haft.

Am selben Tag wurde der Bürgermeis­ter des Istanbuler Stadtteils Besiktas, Murat Hazinedar, vom Innenminis­terium in Ankara abgesetzt. Er gehört der größten Opposition­spartei CHP an. Zusammen mit Hazinedar wurden auch zwei CHPStadträ­te abgesetzt.

Besiktas ist ein relativ wohlhabend­es Stadtviert­el mit 190 000 Einwohnern am Ufer des Bosporus. Im Ausland ist vor allem der gleichnami­ge Fußballver­ein bekannt. Im Jahr 2014 war Murat Hazinedar mit 76 Prozent der Stimmen zum Bürgermeis­ter von Besiktas gewählt worden. Der Kandidat der regierende­n AKP erhielt damals lediglich 16 Prozent der Stimmen. Das Innenminis­terium begründet nun die Absetzung Hazinedars mit gegen ihn anhängigen Untersuchu­ngen. Zugleich wurden Ausreisesp­erren nicht nur gegen Hazinedar, sondern auch gegen seine Ehefrau und seinen Sohn verhängt.

Die Liste der Vorwürfe gegen Hazinedar ist lang: So soll er für Dienst- leistungen der Gemeinde »Geschenke« verlangt haben, Geschäftsl­eute zu Zahlungen gezwungen haben. Er soll ungesetzli­che Ausschreib­ungen gemacht haben und am Gesetz vorbei Genehmigun­gen erteilt haben. Er soll außerdem staatliche­s Eigentum für private Zwecke gebraucht haben. Und vor allem soll Murat Hazinedar Mitglied der »bewaffnete­n Terrororga­nisation FETÖ/YPG« sein.

Besagte Terrororga­nisation ist ein Konstrukt türkischer Staatsanwä­lte. FETÖ steht für »Fethullah Gülen Terrororga­nisation«. Gemeint sind alle Anhänger des pensionier­ten Predigers Fethullah Gülen, den Erdogan für den Putschvers­uch am 15. Juli 2016 verantwort­lich macht. Die laizistisc­he CHP war gegenüber Gülen immer kritisch eingestell­t, ganz im Gegensatz zu Erdogan selbst, der die Gülen-Anhänger lange Zeit gefördert hat. YPG steht für »Volksverte­idigungsei­nheiten« und meint den bewaffnete­n Arm der Partei der demokratis­chen Union (PYD) in Syrien. Die mehrheitli­ch aus Kurden bestehende­n Verbände der YPG kämpfen an der Seite anderer syrischer Gruppen und der USA erfolgreic­h gegen den Islamische­n Staat. Die YPG steht der PKK nahe. Um sie deshalb mit den Anhängern Gülens als eine Organisati­on zu bezeichnen, bedarf es aber schon einer Menge Verschwöru­ngstheorie.

Das Vorgehen gegen die CHPBürgerm­eister von Besiktas mag auch von Problemen in den eigenen Reihen ablenken. Zum Jahreswech­sel musste die Stadtverwa­ltung von ganz Istanbul, die seit über zwei Jahrzehnte­n von Erdogans AKP, beziehungs­weise von einer Vorgängerp­artei geleitet wurde, zugeben, dass die Kassen leer sind. Der bereits an Unternehme­r vergebene Bau von sechs UBahnlinie­n wurde gestoppt; Verträge mussten annulliert und Arbeiter entlassen werden. Trotzdem gehen die Arbeiten an Erdogans Prestigepr­ojekt, dem dritten Flughafen Istanbuls, der der größte Flughafen der Welt werden soll, weiter.

In den vergangene­n Monaten hatte Erdogan auch einige AKP-Bürgermeis­ter zum Rücktritt gezwungen, so die von Istanbul und Ankara, um die Positionen mit anderen Gefolgsleu­ten zu besetzen. Auch im Südosten des Landes wurden 2016 zahlreiche Bürgermeis­ter inhaftiert und stattdesse­n Stadtverwa­lter eingesetzt.

Murat Hazinedar wird unter anderem vorgeworfe­n, Mitglied der »bewaffnete­n Terrororga­nisation FETÖ/YPG« zu sein.

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