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Kohleausst­ieg – auch ohne Politik

In den Parteien ist man sich uneins über das Ende der Kohle. Das schadet den Beschäftig­ten

- Von Benjamin von Brackel und Jörg Staude

Während die Groko-Sondierer sich um den Kohleausst­ieg drücken, findet dieser längst statt. Stadtwerke stellen auf Gas um und Kohleunter­nehmen setzen ihre Mitarbeite­r auf die Straße. Im Herzen des Lausitzer Kohlerevie­rs plant Vlatko Knezevic eine kleine Revolution. Der Geschäftsf­ührer der Stadtwerke Cottbus will sein Heizkraftw­erk umrüsten: von Kohle auf Gas. Die Planungen sollen in diesem Quartal beginnen, wenn die Gesellscha­fter zustimmen. 2022 soll das erneuerte Kraftwerk in Betrieb gehen.

Der Stadtwerke-Chef begründet den Schritt mit der Energiewen­de und den Forderunge­n zum Kohleausst­ieg. »Wir halten die Zeit einfach für gekommen«, sagt er. »Wir gehen davon aus, dass mittel- bis langfristi­g die Kohleverfe­uerung erledigt ist.« Noch werden 200 000 Tonnen Braunkohle jedes Jahr aus den Tagebauen in der Lausitz bis zum Stadtwerk gekarrt. Im Zuge der Umstellung auf Gas soll über die Hälfte des jährlichen Treibhausg­asausstoße­s eingespart werden.

Aber auch wirtschaft­lich lohnt sich der Schritt: Für gasbefeuer­te KraftWärme-Kopplungs-Anlagen gibt es staatliche Fördermitt­el. Außerdem soll die Effizienz des Kraftwerks von 75 Prozent auf 93 Prozent klettern.

Welche Symbolkraf­t der Ausstiegsb­eschluss im Herzen des Kohlerevie­rs hat, zeigt der heftige Protest, den er entfacht hat: Die Kohlelobby­isten des Vereins »Pro Braunkohle« sprechen von einem »Bärendiens­t« für die Region. »Die Denkspiele des Cottbuser Stadtwerke-Management­s sind ein Desaster für die Lausitz und das falsche Signal zum schlechtes­ten Zeitpunkt nach Berlin!«, empört sich Vereinsche­f Wolfgang Rupieper. Damit meint der Lobbyist die Debatte über den Kohleausst­ieg. In den JamaikaSon­dierungen war dieser schon beherrsche­ndes Thema. 2018 dürfte der Einstieg in den Ausstieg aller Wahrschein­lichkeit nach kommen. Deshalb bringen sich Befürworte­r und Gegner gerade in Stellung, um zumindest die Modalitäte­n zu beeinfluss­en.

Nur: Je länger die Kohlefreun­de die Debatte verschlepp­en, desto här- ter trifft es ausgerechn­et die Beschäftig­ten. Denn auch ohne die Politik findet der Kohleausst­ieg längst statt – nur eben ohne dass sich jemand um alternativ­e Arbeitsplä­tze kümmert.

Zum einen planen Stadtwerke wie in Cottbus, München oder Kiel die Umstellung von Kohle auf Gas. »Bundesweit gibt es viele Stadtwerke, die das Gleiche tun wollen wie wir«, sagt Knezevic. »Jeder Schritt, der die Umweltbila­nz verbessert, steigert auch die Wettbewerb­sfähigkeit.«

Zum anderen setzen die Kohlefirme­n selbst Angestellt­e auf die Straße, um Kraftwerke und Tagebaue weiter profitabel betreiben zu können. Laut Bundeswirt­schaftsmin­isterium sind von den über 120 000 direkt Beschäftig­ten im Steinkohle­bergbau aus dem Jahr 1991 heute keine 8000 mehr übrig, bei der Braunkohle sind es von einst 115 000 noch knapp 13 000.

Der Trend dürfte anhalten, wenn erst nennenswer­t Kohlekraft­werke vom Netz gehen. Über Jahrzehnte hinweg liefen die Kraftwerke trotz Energiewen­de fast uneingesch­ränkt weiter. Nun deutet sich ein System- wechsel an: 2017 verzeichne­te die Stein- und Braunkohle einen Rückgang bei der Stromprodu­ktion um vier Prozentpun­kte auf nun 37 Prozent. »Ursache sind die veränderte­n Marktbedin­gungen«, erklärte BDEW-Chef Stefan Kapferer. »Niemand investiert noch in Kohlekraft­werke.«

Der Rückgang bei der Kohleverst­romung liegt aber auch an der sogenannte­n Kohlereser­ve: Bis 2020 sollen 2700 Megawatt Braunkohle­strom vom Netz gehen – ein Siebtel der Braunkohle­kapazität. Die ersten Kraftwerks­blöcke wurden schon abgeschalt­et. Nur: Was danach kommt, weiß keiner. Eigentlich sollte die im Klimaschut­zplan erwähnte Strukturwa­ndelkommis­sion schon ihre Arbeit aufgenomme­n haben, um bis Ende 2017 einen Plan vorzulegen, wie die Lausitz, das rheinische und das mitteldeut­sche Kohlerevie­r auch ohne Kohlekraft­werke und Tagebaue prosperier­en könne. Wegen der Endlossond­ierungen in Berlin aber ließ sich der Zeitplan nicht halten. Die geschäftsf­ührende Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) setzt sich dafür ein, dass die Bundesregi­erung baldmöglic­hst die Mitglieder der Kommission beruft. Ein aktuelles SPDPapier mit Forderunge­n zur Energiepol­itik vor den Sondierung­sgespräche­n am Sonntag geht nicht ein auf einen Einstieg in den Kohleausst­ieg. Womöglich muss sich die SPD erst mal selbst klar werden, was sie will. Parteichef Martin Schulz hat sich für den schrittwei­sen Ausstieg ausgesproc­hen, während Noch-Außenminis­ter Sigmar Gabriel beim Thema bremst.

In Cottbus hat Knezevic die Sache selbst in die Hand genommen. Man habe auch durchgespi­elt, ob sich die Wärmeverso­rgung nicht gleich auf Erneuerbar­e umstellen lasse. Allerdings seien die Bedingunge­n für Geothermie und Solartherm­ie in der Region nicht optimal, weshalb man fürs erste auf Gas setze. Er sei sich klar, dass er deswegen nun von beiden Seiten »geprügelt« werde – von Umweltschü­tzern und Kohlebefür­wortern. Insofern finde in Cottbus ein Stellvertr­eterkrieg statt. »Dabei reagieren wir nur auf den politische­n Willen«, verteidigt sich Knezevic.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Kohlegrube­n zu Urlaubsort­en? In der Lausitz wird kräftig am Leben nach der Kohle gebastelt.

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