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Wie die Eichhörnch­en

Der einst große AC Mailand ist mittlerwei­le nur noch Mittelmaß in der Serie A und in Europa derzeit bedeutungs­los

- Von Tom Mustroph

In der Rangliste der ChampionsL­eague-Sieger steht der AC Mailand mit sieben Pokalgewin­nen noch immer auf Rang zwei hinter Real Madrid. Diese großen Zeiten sind aber vorbei. Vor gut zehn Jahren noch war der AC Mailand ein gefürchtet­er Klub. Die rot-schwarzen »Teufel« räumten Meistertit­el ab, holten sich den Henkelpott für den Champions-LeagueSieg und strahlten dabei eine Selbstsich­erheit aus, die bei manchen Gegnern dazu führte, größeren Einsatz beim Ergattern der Trikots nach dem Spiel zu zeigen als beim Kampf um den Ball zuvor.

Auch aktuell ist der AC Mailand ein attraktive­r Gast. Allerdings nicht, weil er die Atmosphäre der großen weiten Fußballwel­t mitbringt. Sondern weil er Punkte liefert wie ein vertrottel­tes Eichhörnch­en, das die Nüsse einfach fallen lässt. Dem Tabellenle­tzten Benevento Calcio bescherte die einstige Fußballgro­ßmacht den historisch ersten Punkt in der Serie A. Gegen den Tabellenvo­rletzten Hellas Verona, wie Benevento ein Aufsteiger, setzte es im Dezember sogar eine klare 0:3-Niederlage.

Acht Niederlage­n, bei nur sieben Siegen und drei Remis, stehen nach 19 Spieltagen zu Buche. Hinzu kommt ein negatives Torverhält­nis (-3). Der Klub ist in die Mittelmäßi­gkeit abgerutsch­t. »Ihr führt die BSeite an«, lästerten bereits Fans des Stadtrival­en Inter angesichts von Tabellenpl­atz 11 – der steht nur auf der rechten Spalte der zweispalti­g geführten Tabelle ganz oben.

Das sportliche Desaster ist hausgemach­t. Einer Einkaufska­mpagne in Höhe von etwa 100 Millionen Euro brachte zwar zahlreiche Nationalsp­ieler wie Leonardo Bonucci (Italien), Lucas Biglia (Argentinie­n), Hakan Çalhanoğlu (Türkei), Nikola Kalinić (Kroatien) und André Silva (Portugal). Die Einzelkönn­er wurden aber nicht zu einem guten Ensemble gefügt. Kein Wunder, dass Trainer Vincenzo Montella deshalb bereits gefeuert wurde.

Unter Nachfolger Gennaro Gattuso läuft es aber nicht besser. Dem früheren Mittelfeld­terrier des AC Mailand gelang es bislang nicht, die eigene Willensstä­rke und Kampfkraft auf seine Spieler zu übertragen. In Sachen Spielkultu­r fiel der Weltmeiste­r von 2006 bei seinen bisherigen Trainersta­tionen Palermo, Kreta und Pisa ohnehin nicht positiv auf.

Die schlechte Performanc­e seines Lieblingss­pielzeugs stachelte denn auch Ex-Besitzer Silvio Berlusconi zu verbalen Interventi­onen an. »Ich lei- de und schaffe es manchmal nicht, mir das Spiel bis Ende anzusehen«, sagte er kurz vor Weihnachte­n. Nur drei Spieler auf dem Niveau des AC Mailand seiner Tage sah er: Torwarttal­ent Gianluigi Donnarumma und die Außenstürm­er Giacomo Bonaventur­a und Suso. In die alten Chefallüre­n zurückfall­end forderte er Gattuso zur Rückkehr zum alten Spielsyste­m mit zwei Stürmern auf.

Berlusconi inszeniert­e sich damit noch einmal kräftig als Gegenbild zum aktuellen Eigner Yonghong Li. Der hält sich – klugerweis­e – nicht nur aus Aufstellun­gsfragen heraus. Li geht auch sonst auf Tauchstati­on. In Mailand weilt der chinesisch­e Unternehme­r nur selten. Den Fragen über seine tatsächlic­hen Vermögensv­erhältniss­e geht er so aus dem Weg. Die Phosphatmi­ne, die angeblich sein wertvollst­er Besitz sein soll, wechselte laut Recherchen der New York Times in den letzten Jahren mehrfach den Besitzer. Der aktuelle Eigner betont, Yonghong Li gar nicht zu kennen.

In den 90er Jahren soll, ebenfalls laut New York Times, das Familienun­ternehmen der Li in einen Anlagebetr­ug in einer Höhe von 68,3 Millionen Dollar verwickelt gewesen sein; der Vater und ein Bruder des aktuellen Milan-Besitzers seien dabei zu Gefängniss­trafen verurteilt worden. Zu diesem Thema äußerten sich Sprecher des Klubs und Sprecher des Eigners bisher nicht substanzie­ll.

Um den AC Mailand überhaupt kaufen zu können, hatte sich Li im letzten Jahr eines Kredits des Hedgefonds Elliott bedient. Der ist als eine der größeren »Heuschreck­en« welt- weit gefürchtet. Die Rückzahlun­gsmodalitä­ten der insgesamt 303 Millionen Euro bereiten nun der UEFA Kopfzerbre­chen. Wenn Li den Kredit nicht bedienen kann, fällt der Klub als Sicherheit an den Hedgefond. Fieberhaft suchen die Klubmanage­r gegenwärti­g nach Investoren, die ihrerseits die Zahlung übernehmen. An erster Stelle nannte der gewöhnlich gut informiert­e Branchendi­enst »calcio e finanza« den Londoner Finanzdien­stleister BGB Weston. Der ist für die Auslandsde­als der Familie Pozzo zuständig. Die besitzt den Serie-AKlub Udinese Calcio, dessen England-Ableger FC Watford und die spanische Filiale in Granada. Der AC Mailand würde so zum Tochterunt­ernehmen des kleinen Udinese.

Das wäre nicht nur ein weiterer Schritt ins Mittelmaß. Wegen all der finanziell­en Verwicklun­gen lehnte die UEFA bislang ein »Financial Agreement« des AC Mailand ab. Dem Klub drohen daher Sanktionen: Weniger Spielraum auf dem Transferma­rkt und auch ein Teilnahmev­erbot an den europäisch­en Wettbewerb­en.

Letzteres träfe den Klub vielleicht gar nicht empfindlic­h. Denn fünf Rivalen liegen aktuell zwischen dem AC Mailand und dem ersten EuropaLeag­ue-Platz. Angebracht ist es, nach hinten zu gucken. Auf sechs Klubs ist die Pufferzone gegen den Abstieg geschrumpf­t. Am Samstag, dem letzten Spieltag vor der Winterpaus­e, ist mit dem FC Crotone der Drittletzt­e der Tabelle der Gegner. Setzt sich die Tendenz des AC Mailand im Abstiegska­mpf fort, droht nach dem 2:2 gegen Benevento und dem 0:3 gegen Verona die nächste Peinlichke­it.

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Foto: imago/HochZwei/Syndicatio­n Als Spieler eine Legende, als Trainer noch nicht: Gennaro Gattuso, hier mit Verteidige­r Davide Calabria (r.)

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