Wie die Eichhörnchen
Der einst große AC Mailand ist mittlerweile nur noch Mittelmaß in der Serie A und in Europa derzeit bedeutungslos
In der Rangliste der ChampionsLeague-Sieger steht der AC Mailand mit sieben Pokalgewinnen noch immer auf Rang zwei hinter Real Madrid. Diese großen Zeiten sind aber vorbei. Vor gut zehn Jahren noch war der AC Mailand ein gefürchteter Klub. Die rot-schwarzen »Teufel« räumten Meistertitel ab, holten sich den Henkelpott für den Champions-LeagueSieg und strahlten dabei eine Selbstsicherheit aus, die bei manchen Gegnern dazu führte, größeren Einsatz beim Ergattern der Trikots nach dem Spiel zu zeigen als beim Kampf um den Ball zuvor.
Auch aktuell ist der AC Mailand ein attraktiver Gast. Allerdings nicht, weil er die Atmosphäre der großen weiten Fußballwelt mitbringt. Sondern weil er Punkte liefert wie ein vertrotteltes Eichhörnchen, das die Nüsse einfach fallen lässt. Dem Tabellenletzten Benevento Calcio bescherte die einstige Fußballgroßmacht den historisch ersten Punkt in der Serie A. Gegen den Tabellenvorletzten Hellas Verona, wie Benevento ein Aufsteiger, setzte es im Dezember sogar eine klare 0:3-Niederlage.
Acht Niederlagen, bei nur sieben Siegen und drei Remis, stehen nach 19 Spieltagen zu Buche. Hinzu kommt ein negatives Torverhältnis (-3). Der Klub ist in die Mittelmäßigkeit abgerutscht. »Ihr führt die BSeite an«, lästerten bereits Fans des Stadtrivalen Inter angesichts von Tabellenplatz 11 – der steht nur auf der rechten Spalte der zweispaltig geführten Tabelle ganz oben.
Das sportliche Desaster ist hausgemacht. Einer Einkaufskampagne in Höhe von etwa 100 Millionen Euro brachte zwar zahlreiche Nationalspieler wie Leonardo Bonucci (Italien), Lucas Biglia (Argentinien), Hakan Çalhanoğlu (Türkei), Nikola Kalinić (Kroatien) und André Silva (Portugal). Die Einzelkönner wurden aber nicht zu einem guten Ensemble gefügt. Kein Wunder, dass Trainer Vincenzo Montella deshalb bereits gefeuert wurde.
Unter Nachfolger Gennaro Gattuso läuft es aber nicht besser. Dem früheren Mittelfeldterrier des AC Mailand gelang es bislang nicht, die eigene Willensstärke und Kampfkraft auf seine Spieler zu übertragen. In Sachen Spielkultur fiel der Weltmeister von 2006 bei seinen bisherigen Trainerstationen Palermo, Kreta und Pisa ohnehin nicht positiv auf.
Die schlechte Performance seines Lieblingsspielzeugs stachelte denn auch Ex-Besitzer Silvio Berlusconi zu verbalen Interventionen an. »Ich lei- de und schaffe es manchmal nicht, mir das Spiel bis Ende anzusehen«, sagte er kurz vor Weihnachten. Nur drei Spieler auf dem Niveau des AC Mailand seiner Tage sah er: Torwarttalent Gianluigi Donnarumma und die Außenstürmer Giacomo Bonaventura und Suso. In die alten Chefallüren zurückfallend forderte er Gattuso zur Rückkehr zum alten Spielsystem mit zwei Stürmern auf.
Berlusconi inszenierte sich damit noch einmal kräftig als Gegenbild zum aktuellen Eigner Yonghong Li. Der hält sich – klugerweise – nicht nur aus Aufstellungsfragen heraus. Li geht auch sonst auf Tauchstation. In Mailand weilt der chinesische Unternehmer nur selten. Den Fragen über seine tatsächlichen Vermögensverhältnisse geht er so aus dem Weg. Die Phosphatmine, die angeblich sein wertvollster Besitz sein soll, wechselte laut Recherchen der New York Times in den letzten Jahren mehrfach den Besitzer. Der aktuelle Eigner betont, Yonghong Li gar nicht zu kennen.
In den 90er Jahren soll, ebenfalls laut New York Times, das Familienunternehmen der Li in einen Anlagebetrug in einer Höhe von 68,3 Millionen Dollar verwickelt gewesen sein; der Vater und ein Bruder des aktuellen Milan-Besitzers seien dabei zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Zu diesem Thema äußerten sich Sprecher des Klubs und Sprecher des Eigners bisher nicht substanziell.
Um den AC Mailand überhaupt kaufen zu können, hatte sich Li im letzten Jahr eines Kredits des Hedgefonds Elliott bedient. Der ist als eine der größeren »Heuschrecken« welt- weit gefürchtet. Die Rückzahlungsmodalitäten der insgesamt 303 Millionen Euro bereiten nun der UEFA Kopfzerbrechen. Wenn Li den Kredit nicht bedienen kann, fällt der Klub als Sicherheit an den Hedgefond. Fieberhaft suchen die Klubmanager gegenwärtig nach Investoren, die ihrerseits die Zahlung übernehmen. An erster Stelle nannte der gewöhnlich gut informierte Branchendienst »calcio e finanza« den Londoner Finanzdienstleister BGB Weston. Der ist für die Auslandsdeals der Familie Pozzo zuständig. Die besitzt den Serie-AKlub Udinese Calcio, dessen England-Ableger FC Watford und die spanische Filiale in Granada. Der AC Mailand würde so zum Tochterunternehmen des kleinen Udinese.
Das wäre nicht nur ein weiterer Schritt ins Mittelmaß. Wegen all der finanziellen Verwicklungen lehnte die UEFA bislang ein »Financial Agreement« des AC Mailand ab. Dem Klub drohen daher Sanktionen: Weniger Spielraum auf dem Transfermarkt und auch ein Teilnahmeverbot an den europäischen Wettbewerben.
Letzteres träfe den Klub vielleicht gar nicht empfindlich. Denn fünf Rivalen liegen aktuell zwischen dem AC Mailand und dem ersten EuropaLeague-Platz. Angebracht ist es, nach hinten zu gucken. Auf sechs Klubs ist die Pufferzone gegen den Abstieg geschrumpft. Am Samstag, dem letzten Spieltag vor der Winterpause, ist mit dem FC Crotone der Drittletzte der Tabelle der Gegner. Setzt sich die Tendenz des AC Mailand im Abstiegskampf fort, droht nach dem 2:2 gegen Benevento und dem 0:3 gegen Verona die nächste Peinlichkeit.