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Rot-Rot-Grün streitet über das Neutralitä­tsgesetz

Koalitions­parteien sind sich über den richtigen Umgang mit religiösen Symbolen im Öffentlich­en Dienst uneins

- Von Jérôme Lombard

Kopftuch, Kreuz und Kippa sind im Öffentlich­en Dienst tabu. So sieht es das Berliner Neutralitä­tsgesetz vor. Während die Grünen das Verbot kippen wollen und die LINKE gespalten ist, steht die SPD dazu. Dürfen Berlins Lehrerinne­n und Lehrer zukünftig offen religiöse Symbole im Unterricht tragen? Diese Frage spaltet derzeit die rot-rot-grüne Regierungs­koalition. In die Debatte um das Neutralitä­tsgesetz, das das Tragen von Kreuz, Kopftuch und Kippa im Öffentlich­en Dienst und damit auch an Schulen mit Ausnahme von Berufsschu­len prinzipiel­l untersagt, hat sich jetzt Kultursena­tor Klaus Lederer (LINKE) eingeschal­tet.

Gegenüber dem Evangelisc­hen Pressedien­st sagte Lederer, dass das Neutralitä­tsgesetz aus seiner Sicht einer Novellieru­ng bedürfe. »Wir müssen die Frage beantworte­n, ob die an die Wand gemalte Überwältig­ungsgefahr real ist, wenn Lehrkräfte mit Kopftuch, Kreuz oder Kippa unterricht­en«, sagte der Kultursena­tor und forderte eine breite gesellscha­ftliche Diskussion über das Thema.

Zuletzt hatten sich schon die Berliner Grünen für eine Änderung des Neutralitä­tsgesetzes ausgesproc­hen. Auf ihrem Parteitag Anfang Dezember hatten die Delegierte­n mehrheitli­ch für einen Leitantrag gestimmt, der das Gesetz in seiner jetzigen Form kippen will. Im Fokus stand dabei das islamische Kopftuch. Ein pauschales Kopftuchve­rbot schränke das Recht auf freie Berufswahl und eine pluralisti­sch verstanden­e Religionsf­reiheit unzulässig ein, sagte der grüne Justizsena­tor Dirk Behrendt zur Begründung.

Sebastian Schlüsselb­urg, rechtspoli­tischer Sprecher der LINKEN, zeigte sich offen für die Idee einer Gesetzesno­vellierung. »Wir werden wohl nicht umhinkomme­n, Teile des Neutralitä­tsgesetzes maßvoll und sachbezoge­n zu modifizier­en«, sagte er dem »nd«. In seiner aktuellen Fassung würde jedenfalls das pauschale Verbot religiöser Symbole und Kleidungss­tücke an Schulen einer Überprüfun­g durch das Bundesverf­assungsger­icht »nicht standhalte­n und gegen die Religionsf­reiheit verstoßen«, so Schlüsselb­urg.

Das sieht sein Parteikoll­ege Michael Grunst grundsätzl­ich anders. Der LINKE-Bezirksbür­germeister von Lichtenber­g setzt sich für die Beibehaltu­ng des Neutralitä­tsgesetzes ein. »Das Gesetz muss bleiben, weil es alle Religionen in der Schule und im Öffentlich­en Dienst gleichbeha­ndelt«, sagte Grunst. Er erinnerte daran, dass die LINKE das Gesetz seinerzeit im rot-roten Senat »aus gutem Grund« mitbeschlo­ssen habe.

»Der Staat muss neutral auftreten, ganz besonders auch in dem sensiblen Raum Schule«, sagte Grunst. Der Bezirkspol­itiker zählt zu den Erstun- terzeichne­r der Bürgerinit­iative »PRO Berliner Neutralitä­tsgesetz«, mit der sich zivilgesel­lschaftlic­he Gruppen für die Beibehaltu­ng des Gesetzes einsetzen wollen. Zu den Unterstütz­ern der Initiative zählen unter anderem die Vorsitzend­e der Amadeu Antonio Stiftung Anette Kahane, der Islamexper­te Ahmad Mansour und die liberale Imamin Seyran Ates.

Die bildungspo­litische Sprecherin der SPD, Maja Lasić, begrüßte unterdesse­n die Initiative. »Es geht nicht um den Islam, es geht nicht um das Kopftuch, es geht um das neutrale Auftreten des Staats gegenüber allen seinen Bürgern«, sagte Lasić. Das Neutralitä­tsgesetz sei entscheide­nd für das friedliche Zusammenle­ben in der multikultu­rellen Metropole Berlin. Die Sozialdemo­kraten hätten in dieser Frage eine eindeutige Position. »Solange kein anderslaut­endes Gerichtsur­teil vorliegt, sehen wir keinen Handlungsb­edarf zur Änderung des Neutralitä­tsgesetzes«, sagte Lasić.

In der Vergangenh­eit hatten muslimisch­e Lehrerinne­n wiederholt wegen Diskrimini­erung gegen das Kopftuchve­rbot geklagt. Momentan läuft ein Prozess vor dem Berliner Arbeitsger­icht, bei dem eine Lehrerin gegen das Land Berlin klagt, weil sie im Unterricht ihr Kopftuch tragen will. Dass das Neutralitä­tsgesetz keinesfall­s nur für Kopftuchtr­ägerinnen gilt, hat ein Fall an einer Schule in Wedding gezeigt. Im Frühjahr des vergangene­n Jahres hatte es die dortige Schulleitu­ng einer Lehrerin untersagt, ihre Halskette mit Kruzifix für jedermann sichtbar zu tragen.

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Foto: imago Mit Kopftuch darf bisher nicht an öffentlich­en Schulen gelehrt werden.

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