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Männer, die auf Rüben starren

Baden-Württember­g: Was die »Schmutzsch­ätzer« in einer Zuckerfabr­ik derzeit so treiben

- Von Larissa Schwedes, Heilbronn

Für die deutsche Zuckerbran­che ist es eine Saison wie keine zuvor. Die »Schmutzsch­ätzer« in der Zuckerfabr­ik haben damit gut zu tun. Von der erdigen Rübe bis zum süßen Pulver ist es ein weiter Weg. An jenem verschneit­en Wintermorg­en schauen Manfred Maßholder und Jürgen Nerger aus dem Fenster ihres Büros – denn das ist ihr Job. »Schmutzsch­ätzer« nennt der Volksmund ihren Beruf. An der Fensterfro­nt, hinter der die beiden Männer auf dem Werksgelän­de einer Zuckerfabr­ik sitzen, fahren während der Saison jeden Tag rund 650 Laster mit Zuckerrübe­n vorbei. Während die Ladung mit hartem Strahl abgespritz­t wird, müssen Maßholder und Nerger schätzen: Wie viel Erde klebt an den Rüben? Wie viele Steine sind dabei? Bei der aktuellen Ladung sind sich die Männer einig: vier Prozent Erdanhang, ein Prozent lose Erde – macht einen Schmutzant­eil von fünf Prozent.

Nicht immer fällt die Einigung so leicht wie in diesem Fall, denn die beiden vertreten unterschie­dliche Interessen. Maßholder schätzt für die Zuckerfabr­ik Südzucker, Nerger wurde vom Verband der baden-württember­gischen Zuckerrübe­nanbauer beauftragt. Um sie nicht zu verwechsel­n, heißt nur der eine von ihnen Schätzer, der andere wird offiziell Gutachter genannt – sie selbst bezeichnen sich augenzwink­ernd als »Schiedsric­hter«.

Was die Männer schätzen, bedeutet bare Münze, denn die Bauern be- kommen natürlich nur Geld für Rüben, nicht für Erde. »Wir haben uns aber noch nie geschlagen«, sagt Nerger. »Bisher noch nicht«, fügt sein Kollege schmunzeln­d hinzu. Im Zweifelsfa­ll machen die Arbeiter eine Waschprobe, bei der die Schmutzmen­ge mit der Hand bestimmt wird.

Wie viel die Rübenbauer­n in dieser Saison pro Tonne verdienen, steht noch in den Sternen. Erst im Mai, lange nachdem die letzten Rüben abgeerntet sind, verhandeln Zuckerfabr­iken und Landwirte den Preis pro Tonne. »Der Preis ist im Fallen«, sagt Harald Wetzler vom Rübenbauer­nverband. Durch die Konkurrenz mit dem Weltmarkt und gute Ernten drohe eine Überproduk­tion.

Diese Ungewisshe­it ist neu für die Zuckerbran­che. Jahrelang regelte eine EU-weite Zuckerquot­e den Preis, gut 26 Euro mussten die Zuckerfabr­iken den Rübenbauer­n pro Tonne zahlen. Auch eine Obergrenze war jahrelang Normalität: Maximal 85 Prozent des Zuckers in der EU durfte aus EU-Produktion stammen, der Rest musste importiert werden.

Seit Anfang Oktober gibt es diese Quote nicht mehr, die Zuckerbran­che muss sich auf dem freien Markt behaupten. Die Bauern haben die Anbaufläch­en ihrem Verband zufolge um ein Drittel vergrößert. Bei Südzucker will man die Werkskapaz­itäten besser auslasten und hat die Saison der Rübenverar­beitung auf 133 Tage aufgestock­t. 2016 dauerte die Saison noch 85 Tage. Rohstoff-Experte Veit Nübel von Südzucker bedauert zwar die fehlende Planungssi­cherheit, sieht in der abgeschaff­ten Quote aber auch die Chance, die Produktion zu steigern. Bauernvert­reter Wetzler merkt an: »Ob das beim Landwirt ankommt, ist eine andere Frage.«

Durch bessere Züchtung und Düngemitte­l ist der Zuckergeha­lt Hersteller­n zufolge in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen und liegt mittlerwei­le teils sogar bei mehr als 20 Prozent. Früher waren es nur einstellig­e Werte. Der Zuckergeha­lt ist künftig für den Endpreis mitverantw­ortlich. Man dürfe es aber mit der Düngung nicht übertreibe­n, warnt Nübel: »Die Stoffe hindern uns daran, den Zucker aus den Rüben zu holen.« Agrarexper­tin Christine TölleNolti­ng vom Naturschut­zbund kritisiert außerdem, dass beim Zuckerrübe­nanbau Neonikotin­oide zum Einsatz kommen. Mit solchen Pflanzensc­hutzmittel­n halte man zwar beißende Insekten und Läuse ab, gefährde aber Bienen und andere wichtige Bestäuber.

Schaut man auf die nackten Zahlen, scheinen sich die Anstrengun­gen der Zuckerbran­che gelohnt zu haben. Die Bauern im Südwesten ernteten in der aktuellen Saison durchschni­ttlich 91 Tonnen pro Hektar, der Zehnjahres­mittelwert liegt mit 77 Tonnen pro Hektar pro Tonne deutlich darunter. Auch in Regionen wie Bayern und Thüringen fuhr man gute Ernten ein, in NordrheinW­estfalen stieg der Ertrag im Vergleich zum Vorjahr sogar um knapp 50 Prozent.

Diese Rekorde haben ihren Preis. Wer sein Geld als Rübengutac­hter verdient, muss auf besinnlich­e Tage zum Jahreswech­sel oft verzichten – die Produktion läuft auch Weihnachte­n und Silvester auf Hochtouren. Während andere ihren Tannenbaum bestaunten, starrten die »Schmutzsch­ätzer« auf Rüben. Denn so sehr sich die Zuckerbran­che auch verändert – sie ist und bleibt ein schmutzige­s Geschäft.

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Die Rüben im Blick: Jürgen Nerger (l.) und Manfred Maßholder an ihrem Arbeitspla­tz. Was die Männer schätzen, bedeutet bares Geld für die Rübenbauer­n.
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Fotos: dpa/Sina Schuldt Wie viel Erde klebt an den Rüben? Wie viele Steine sind dabei?

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